Teheran

Vom Hoffnungsträger zum Symbol des Vertrauensverlusts: Was Iraner vom Atomdeal halten

Von unserem Teheraner Korrespondenten
Im Juli 2015 feierten viele Menschen wie hier in Teheran den Abschluss des Atomabkommens – der erhoffte Aufschwung blieb aus vielen Gründen aus. Derzeit liegt der Deal auf Eis.
Im Juli 2015 feierten viele Menschen wie hier in Teheran den Abschluss des Atomabkommens – der erhoffte Aufschwung blieb aus vielen Gründen aus. Derzeit liegt der Deal auf Eis. Foto: picture alliance / Ebrahim Noroozi/AP/dpa

Wenn in diesen Tagen auf den Straßen Irans bereits in der fünften Woche für Menschenrechte und gegen das Regime protestiert wird, ist in westlichen Medien immer wieder die Rede vom Atomabkommen. Die Verhandlungen über einen mögliche Neustart dieses „gemeinsamen umfassenden Aktionsplans“ („Joint Comprehensive Plan of Action“ oder kurz JCPOA) liegen auf Eis, was womöglich auch die Reaktion mancher Staaten auf die Ereignisse im Iran beeinflusst.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Ein Blick auf die Geschichte des Vertragswerks, das eine Einigung über das iranische Atomprogramm umfasst und am 14. Juli 2015 in Wien nach langen Verhandlungen unterzeichnet wurde: Vertragspartner waren der Iran, die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates China, Frankreich, Russland, Großbritannien, USA plus Deutschland – sowie die Europäische Union. Auslöser war im August 2002 die von Paris aus agierende Widerstandsbewegung „Nationaler Widerstandsrat des Iran“, die die Existenz von zwei nicht deklarierten Nuklearanlagen zur Schwerwasserproduktion und zur Urananreicherung enthüllte.

Trump wollte besseren Deal

Im Februar 2003 bestätigte der iranische Präsident Mohammad Chatami die Existenz dieser Anlagen und erklärte, dass der Iran „Anreicherungsversuche in kleinem Maßstab“ unternommen habe, um schwach angereichertes Uran für Kernkraftwerke herzustellen. Ende Februar besuchten Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) eine Anlage, im Mai 2003 gestattete der Iran den IAEA-Inspektoren zwar den Besuch der Kalaye Electric Company, untersagte ihnen jedoch die Entnahme von Proben.

Über Jahre zogen sich die Verhandlungen, um den Iran dazu zu verpflichten, sich auf die ausschließlich zivile Nutzung von Kernenergie zu beschränken und internationale Kontrollen zu ermöglichen. Im Gegenzug sollten wesentliche Sanktionen und weitere Handelsbeschränkungen aufgehoben werden. Das 2015 schließlich ratifizierte Abkommen basiert auf den Regeln des Atomwaffensperrvertrags und regelt die Kontrollmöglichkeiten der IAEA.

Nachdem die Trump-Regierung dem Iran 2017 zweimal die Einhaltung des Abkommens bescheinigt hatte, zogen sich die Vereinigten Staaten im Mai 2018 einseitig aus dem Abkommen zurück, Präsident Trump kündigte an, ein „besseres Abkommen“ auszuhandeln. Er wurde aus dem Amt gewählt, ohne dieses Versprechen eingelöst zu haben, und internationale Beobachter stellten fest, dass der Iran seinerseits seit dem Rückzug der USA durch fortentwickelte Urananreicherung der Möglichkeit der Entwicklung einer Atomwaffe nähergekommen war.

Aus Sicht der Bevölkerung des Irans war das Atomabkommen über Jahre hinweg ein großer Hoffnungsträger geworden. Mit ihm sollten wirtschaftliche Probleme überwunden werden, der Vertrag wurde in der über lange Jahre hinweg isolierten Islamischen Republik vielfach zur Eintrittskarte zur Welt stilisiert, die ein in jeder Hinsicht besseres Leben ermöglichen würde. Doch nach bald 20 Jahren der Diskussionen, des Zustandekommens, des Endes und der Neuverhandlungen, die mit der Regierung des Reformers Mohammad Chatami begannen und mit der aktuellen Hardlinerregierung von Ebrahim Raisi enden, ist ein Großteil der iranischen Bevölkerung völlig enttäuscht vom Atomabkommen und betrachtet es als tot.

Die Frage, warum der Atomdeal zu keinen spürbaren Verbesserungen im Leben geführt hat und welche Hindernisse dem im Weg standen, ist in der Kürze nicht bis ins Detail zu beantworten. Aber Eckpunkte helfen, das Problemfeld abzustecken: Der größte Teil des Abkommens betrifft wirtschaftliche Aspekte, und in der Gesamtansicht der internationalen Wirtschaft sind auch die ungelösten Probleme zu finden. Zum einen blieben auch nach Vertragsabschluss weitere zentrale Sanktionen und Embargos gegen den Iran in Kraft, teils mit Hinweis auf andere Politikfelder wie etwa das außenpolitische Engagement des Landes in verschiedenen Konfliktherden.

Eine der spürbaren Erleichterungen nach der Vertragsunterzeichnung – der Wiederanschluss an das internationale Bankenüberweisungssystem Swift – war nach dem Rückzug der USA hinfällig, zusätzlich weigert sich der Iran nach wie vor, der überstaatlichen FATF (Financial Action Task Force) zur Vermeidung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung beizutreten. Dadurch steht das Land heute finanztechnisch isolierter da als zuvor.

Sind nur Sanktionen schuld?

Doch sind wirklich nur die Sanktionen für die Probleme des Iran verantwortlich? Seit rund fünf Jahren setzt sich zunehmend die Meinung in der Bevölkerung durch, dass vor allem die Behörden von den verhängten Sanktionen und Embargos profitieren. Mit anderen Worten: Die iranischen Behörden und ihre verschiedenen Organe konnten durch einen organisierten Schmuggel sowohl aus dem Iran heraus als auch in den Iran hinein mehr Geld für sich herausholen. In einer absolut intransparenten Situation vermehrte sich der Reichtum wohlhabender und regierungsnaher Schichten wie durch Zauberhand, während der Inflationsindex bis heute unablässig anstieg und ein zunehmender Anteil der Bevölkerung es kaum noch schafft, Grundbedürfnisse wie Wohnung und die Versorgung mit Lebensmitteln zu befriedigen.

Dieser Interessenskonflikt zwischen Bevölkerung und Regierung auch in Bezug auf eine Rückkehr des Atomabkommens trägt zum nicht mehr zu übersehenden Vertrauensverlust des Volkes in eine Regierung bei, deren Legitimität zunehmend infrage gestellt ist. Das zeigen auch die Proteste, die im Iran in den vergangenen Jahren in immer kürzeren Abständen aufflammten und sich nun aus Anlass des Todes der 22-jährigen Kurdin Mahsa Jina Amini in Polizeigewahrsam zur größten Widerstandsbewegung seit der Revolution von 1979 ausgebreitet haben.

Wegen der Situation im Iran haben wir uns entschieden, den Namen unseres Teheraner Korrespondenten zu dessen Sicherheit vorerst nicht zu veröffentlichen.