Voll im Trend: Vegan ist das neue Bio

Vegan ist das neue Bio Foto: picture alliance

Vegetarismus war gestern, heute gilt nur noch Vegansein. Bücher, Zeitschriften, Kochsendungen, alle sagen es. Man könnte glatt meinen, bloßer Fleischverzicht sei nur was für Weicheier.

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Vegetarismus war gestern, heute ist Vegansein in. Wer durch Buchläden bummelt, Kochzeitschriften durchblättert oder sich durch Kochsendungen zappt, könnte glatt meinen, bloßer Fleischverzicht sei nur was für Weicheier. Auf dem Ernährungsmarkt, wo ein Trend den nächsten jagt, ist jedenfalls gerade Komplettverzicht der letzte Schrei.

Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

Auf dem Ernährungsmarkt, wo ein Trend den nächsten jagt, ist jedenfalls gerade Komplettverzicht der letzte Schrei. Kein Fleisch, keine Milch, keine Eier: Veganer definieren sich in erster Linie über das, was sie nicht essen. Mit dem, was übrig bleibt, lässt sich aber immer noch eine Menge Geld verdienen.

So hat Szeneguru Attila Hildmann sein Kochbuch „Vegan for Fun“ satte 300.000-mal verkauft und macht mit seiner Ernährungstheorie, die schlank, gesund und messbar jünger machen soll, gerade ein Vermögen. Im Kochbuchranking des Internetbuchhändlers Amazon sind unter den Top 20 sechs vegane Titel. In der Buch- und Lebensmittelbranche herrscht Goldgräberstimmung.

Umfrage
Veganer, Frutarier, Flexitarier – schon mal damit geliebäugelt?

Ganz „normales Essen“ – das ist schon fast unnormal. Was würden/haben Sie schon einmal ausprobiert?

Ovo-Lakto-Vegetarier (kein Fisch/Fleisch, aber Milch, Eier, Honig)
4%
30 Stimmen
Ovo- oder Lakto-Vegetarier (kein Fleisch/Fisch, aber Milch oder Eier)
3%
23 Stimmen
Pescetarier (kein Fleisch, aber Fisch/Meeresfrüchte)
3%
23 Stimmen
Frutarier (am liebsten nur Fallobst und Nüsse)
0%
3 Stimmen
Flexitarier (Gelegenheits-Vegetarier, wenig Fleisch/Fisch)
12%
96 Stimmen
Veganer (keine Tiere/-Produkte in Nahrung und Kleidung)
7%
52 Stimmen
Ich esse wie ein Mensch – alles
71%
558 Stimmen

So hat der Unternehmer Jan Bredeck in Berlin die erste Vollsortiment-Supermarktkette Veganz gegründet. Innerhalb der nächsten zwei Jahre will er sie europaweit ausbauen und peilt 30 Millionen Euro Umsatz an. Im Ransbach-Baumbach (Westerwaldkreis) hat die Firma BioVegan, Hersteller für vegane Backzutaten, im vergangenen Jahr beim Umsatz um 50 Prozent zugelegt. Das Familienunternehmern, 1986 gegründet, zählt zu den Pionieren. Auch in diesem Jahr rechnet Geschäftsführerin Nicol Gärtner wieder mit deutlichem Wachstum, das sich nicht zuletzt an einem neuen Firmengebäude ablesen lässt, das in Bonefeld (Kreis Neuwied) gerade entsteht.

Zehn Prozent Vegetarier, ein Prozent Veganer

Rund 7 Millionen Vegetarier leben nach offiziellen Angaben in Deutschland, die Zahl der Veganer wird aktuell auf 800.000 geschätzt. Das entspricht etwa 1 Prozent der Bevölkerung. Doch die Zahl der Menschen, die sich gegen Nahrungsmittel tierischen Ursprungs entscheiden, wächst. Und zwar deutlich schneller als die der Vegetarier: um 20 bis 30 Prozent pro Jahr, schätzt der Vegetarierbund.

Ob nun aus ethischen, ökologischen, gesundheitlichen oder religiösen Gründen: Veganismus ist von einer exotisch anmutenden Ernährungsweise zu einer Frage der Haltung und des Lebensstils geworden. Die Bewegung hat es vom Rand der Gesellschaft in ihre Mitte geschafft. Das ist auch an einem Wandel im Handel zu erkennen. Inzwischen bieten nicht mehr nur Reformhäuser und Bioläden, sondern auch Supermarktketten und sogar große Discounter in ihrem Sortiment Sojamilch und Tofuschnitzel an.

Soll auch Spaß machen können

Und noch etwas hat sich geändert: Statt Genussfeindlichkeit und Griesgramgesicht wird Veganern heute ein gesunder, aufgeklärter, ethisch einwandfreier Lebenswandel zugeschrieben, der sogar Spaß machen kann. Zum guten Aussehen gibt's das gute Gewissen – die Welt zu retten, ist nur noch ein Nebeneffekt. Weil in unserer Gesellschaft längst kein Mangel mehr herrscht, wird der Verzicht auf Nahrung zum Ausdruck von Aufgeklärtheit, Luxus und Distinktion. Mit diesem Image von Fitness und Selbstoptimierung können sich offenbar immer mehr Menschen identifizieren und entscheiden sich, Fleisch, wenn überhaupt, nur noch in Ausnahmen zu konsumieren.

Aber ist es auch gesund?

Ob die rein pflanzliche Ernährungsweise für den Menschen tatsächlich die gesündeste ist, darüber streiten die Fachleute noch. Es gibt Studien, die auf ein geringeres Risiko für Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Adipositas sowie einen Rückgang von Entzündungskrankheiten wie Rheuma oder Neurodermitis verweisen. Dagegen kann sich die Gefahr, an Osteoporose zu erkranken, durch vegane Ernährung erhöhen. Wegen möglicher Mangelernährung rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung von veganer Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Säuglingen und Kindern ab. Wer dennoch vegan leben will, sollte nicht einfach nur das Tier vom Speiseplan streichen, sondern zuvor seinen Gesundheitszustand überprüfen lassen und sich eine gehörige Portion Ernährungswissen anschaffen. Bei der Wahl der Lebensmittel gilt es, auf ausreichende Versorgung mit Eisen, Zink, Calcium und Vitamin B12 zu achten.

Einfach ist die Versorgung mit rein veganen Lebensmitteln aber selbst für aufgeklärte Verbraucher nicht. Denn um tierische Inhaltsstoffe im Einkaufswagen auszuschließen, genügt der Blick auf die Zutatenliste nicht. Angaben wie „rein pflanzlich“ oder „vegan“ bieten strengen Veganern keine Reinheitsgarantie, warnt die Verbraucherzentrale. So muss beispielsweise bei Zusatzstoffen, Aromen und Vitaminzusätzen nicht angegeben werden, ob sie tierischer Herkunft sind. Auch als Trägerstoffe und Lösungsmittel finden tierische Bestandteile in der Lebensmittelindustrie Verwendung. Verbraucherschutzorganisationen fordern seit Langem eine verbindliche Kennzeichnungspflicht. Bislang gibt es die nicht.

Eine Frage der Definition

Um der steigenden Nachfrage zu begegnen, kennzeichnen Hersteller und Handel ihr wachsendes Sortiment an vegetarischen und veganen Produkten teils mit selbst entworfenen Veggi-Labeln. Da es an einer verbindlichen Definition für die Begriffe vegetarisch und vegan fehlt, entscheidet jeder Produzent selbst, was er darunter versteht. Verlass ist lediglich auf das V-Label, betont die Verbraucherzentrale. Es wurde von der Europäischen Vegetarierunion entwickelt, die Vergabe wird vom Vegetarierbund Deutschland überprüft. Wer das Siegel nutzen will, muss nicht nur die Zutatenliste, sondern den kompletten Herstellungsweg seines Produkts dokumentieren, sich zudem Stichproben und Betriebskontrollen unterziehen. Das Siegel wird in vier Varianten vergeben (ovo-lakto-vegetarisch, ovo-vegetarisch, lakto-vegetarisch und vegan). Die Internetseite www.v-label.info/de nennt die Kriterien und listet auf, welche Produkte es bereits im Handel gibt.

Lesen Sie morgen im Journal unserer Zeitung: „Mein veganes Experiment“ – unsere Redakteurin Birgit Pielen entschließt sich mit ihrer Familie, eine Woche lang auf tierische Eiweiße zu verzichten.