Brüssel

Verfassungsrichter pochen aufs Haushaltsrecht

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Euro-Rettung noch längst nicht in der Tasche: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss sie noch mehr Rücksicht auf die Rechte des Bundestags nehmen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Euro-Rettung noch längst nicht in der Tasche: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss sie noch mehr Rücksicht auf die Rechte des Bundestags nehmen. Foto: dpa

Die milliardenschweren Euro-Hilfen Deutschlands sind rechtens: Das Bundesverfassungsgericht hat den bisherigen Regierungskurs bestätigt und die Klagen von Ökonomen und Bundestagsabgeordneten gegen den Rettungsschirm für Pleite-Kandidaten sowie die Griechenland-Kredite zurückgewiesen.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Brüssel – Die milliardenschweren Euro-Hilfen Deutschlands sind rechtens: Das Bundesverfassungsgericht hat den bisherigen Regierungskurs bestätigt und die Klagen von Ökonomen und Bundestagsabgeordneten gegen den Rettungsschirm für Pleite-Kandidaten sowie die Griechenland-Kredite zurückgewiesen. Unsere Korrespondentin Anja Ingenrieth beantwortet Fragen zu dem Urteil:

Gegen welche Milliardenhilfen richtete sich die Klage?

Es geht um das 110 Milliarden Euro umfassende erste Hilfspaket für Griechenland vom Mai 2010, von dem Deutschland 22,4 Milliarden Euro trägt, und den im Frühjahr 2010 aufgelegten gemeinsamen Euro-Rettungsschirm EFSF. Hier bürgt Deutschland mit bis zu 148 Milliarden Euro. Mittlerweile wurde Athen bereits ein zweites Paket über 109 Milliarden zugesagt. Zudem wird der EFSF gestärkt und sein Kreditvolumen von 250 auf 440 Milliarden Euro erhöht. Dies hatte Karlsruhe aber nicht zu beurteilen.

Warum sind die Hilfen zulässig?

Weil sich Deutschland nach Ansicht der Karlsruher Richter dadurch keinem „unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren Automatismus einer Haftungsgemeinschaft unterwirft“. Die Kläger hatten argumentiert, Deutschland begebe sich in eine EU-Transfer- und Haftungsunion.

Die deutschen Garantien entsprechen aber zwei Dritteln des Bundesetats. Droht damit nicht die Handlungsunfähigkeit des Staates, wie die Kläger behaupten?

Nach Ansicht von Karlsruhe behält die Bundesregierung ihre souveräne Entscheidungskraft. Der Grund: Die Hilfspakete sind klar begrenzt und werden nur unter Reformauflagen gewährt. Im Finanzstabilitätsgesetz seien der Umfang der Unterstützung und ihr Zweck sowie ein überschaubarer Zeitraum festgelegt. Zudem würden die Kredite nur nach einvernehmlicher Billigung der EU-Staaten vergeben, was Berlin ein Veto sichere.

Setzt Karlsruhe eine Maximalhöhe für die finanziellen Lasten fest?

Nein. Eine Obergrenze für die künftige Höhe von Bürgschaften setzt das Verfassungsgericht nicht fest. Selbst wenn die Garantien aus dem Griechenland-Paket und dem europäischen Rettungsschirm EFSF komplett verlorengingen, wären die Verluste noch refinanzierbar, argumentierten die Richter – „wenngleich möglicherweise unter Verlust von Wachstumsmöglichkeiten und Bonität“. Wie viele Schulden Deutschland verkraften könne, liege im Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers.

Und was ist mit den Rechten des Bundestags?

Laut dem Karlsruher Urteil ist das Haushaltsrecht des Bundestags bisher nicht ausgehebelt worden. Allerdings mahnen die Richter für die Zukunft eine stärkere Beteiligung des Bundestags an.

Was heißt das konkret?

Weitere Finanzhilfen darf die Bundesregierung nur zusagen, wenn sie grünes Licht des Haushaltsausschusses dafür hat. Bisher musste sie lediglich Einvernehmen mit den Abgeordneten suchen, konnte dann aber in Brüssel notfalls gegen den Willen der Abgeordneten weitere Garantien übernehmen. Das geht nun nicht mehr. Daher ist das Urteil „keine Blanko-Ermächtigung für weitere Rettungspakete“, so die Karlsruher Richter.

Was heißt das für die anstehende Bundestagsentscheidung in Sachen Euro-Rettung?

Mit dem Urteil hat das Gericht keine neuen Hürden für den Ende September geplanten Bundestagsbeschluss über eine Stärkung des EFSF errichtet. Die schwarz-gelbe Koalition muss dabei um eine eigene Mehrheit zittern. Das Urteil soll nun in den weiteren Gesetzesberatungen zur EFSF-Reform berücksichtigt werden. Union und FDP haben sich bereits auf Leitlinien für deutlich mehr Mitspracherechte des Parlaments verständigt. Demnach muss die Regierung bei allen wichtigen Entscheidungen in den EFSF-Gremien mit Nein stimmen, wenn zuvor nicht das Parlament entschieden hat. Dies soll auch eilige und vertrauliche Entscheidungen betreffen.

Kann die Bundesregierung bei der Euro-Rettung also weitermachen wie bisher?

Das ist fraglich. Probleme könnte es bei der ausstehenden Abstimmung im Bundestag zur Einrichtung des permanenten Rettungsfonds ESM geben. Denn die rote Linie aus Karlsruhe heißt: Es darf bei Zahlungen keinen Automatismus geben, der die Haushalts- und Kontrollrechte der Abgeordneten aushebelt. Bisher entfallen auf Berlin 21,7 Milliarden Bareinzahlung und 168,3 Milliarden Euro Garantien für den ESM. Doch in den Statuten über den Dauer-Hilfsfonds für Pleite-Kandidaten ist eine Nachschusspflicht festgeschrieben, sodass die deutschen Lasten sich automatisch erhöhen könnten.

Ist denn die deutsche Handlungsfähigkeit in Sachen Euro-Rettung nicht durch den Bundestags-Vorbehalt erheblich eingeschränkt?

Davor haben die EU-Partner Angst. Doch de facto ist diese Gefahr gering. Denn der Haushaltsausschuss ist im Krisenfall schneller zusammenzutrommeln als das Plenum des Bundestags. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger meint denn auch: „Mit diesem Urteil bleibt die Handlungsfähigkeit der deutschen Politik in europäischen Finanzangelegenheiten gewahrt.“

Was bedeutet das Karlsruher Urteil für die Einführung der umstrittenen Euro-Bonds?

Die rückt in weite Ferne. Denn der Bundestag darf dem Urteil zufolge seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen quasi per Blankoermächtigung auf andere Akteure übertragen. Deshalb dürfe es keine dauerhaften völkerrechtlichen Mechanismen geben, durch die Deutschland zur Haftung von Schulden anderer Euro-Staaten verpflichtet wäre, erklärten die Richter. Genau dies wäre aber bei Gemeinschaftsanleihen der Fall. Anja Ingenrieth