USA, Großbritannien, Italien: Die Stunde der Populisten

Donald Trump
Der neugewählte US-Präsident Donald Trump. Foto: Albin Lohr-Jones/Archiv

Die Welle hatte sich lange aufgebaut. 2016 kam sie so richtig ins Rollen. Populismus trug Donald Trump ins Weiße Haus, trieb Großbritannien aus der EU. Italien, Schweden, Ungarn, die Niederlande, Österreich, Finnland – so verschieden die Gründe für die gravierende Umformung des Bestehenden sind und für das Driften nach rechts, so sehr eint sie eines: Der Populismus steht in voller Blüte.

Lesezeit: 6 Minuten
Anzeige

In den Niederlanden hat die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders gute Karten, bei der Parlamentswahl im März stärkste Kraft zu werden. Und in Frankreich kann im Frühjahr mit einem Sieg der Rechten Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl der nächste entscheidende Schritt bevorstehen. Vor der Bundestagswahl im Herbst, bei der alle auf das Abschneiden der AfD schauen, kann Trump schon bewiesen haben, ob er seine autoritativen Züge auch in der Position leben möchte, die einmal „Führer der freien Welt“ hieß.

Die Welle kam nicht über Nacht

Wie alle politischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen ist auch die derzeitige Welle nicht über Nacht gekommen. Manche tiefen Gründe des Populismus liegen Jahrzehnte zurück, reichen bis in die 1960er-Jahre, den Beginn einer schleichenden Deindustrialisierung. Mit dem Nachlassen religiöser Prägekräfte verloren die Parteien alten Zuschnitts allmählich ihren Zugriff. Im folgenden Vierteljahrhundert reduzierten Volksparteien ihr ideologisches Angebot. Parteien mit begrenztem Angebot entstanden, die klassischen erhielten weniger Zulauf, definierten sich mehr über Funktionseliten. „Für Wähler wurden sie ununterscheidbar“, schreibt der Wissenschaftler Cas Mudde im Magazin „Foreign Affairs“. In den folgenden Jahren gestanden Parteien und Amtsträger ein, sie könnten viele zentrale Entwicklungen in Politik und Wirtschaft nicht mehr beeinflussen. Sie verwiesen auf die Europäische Union (EU), den Internationalen Währungsfonds (IWF), auf Zentralbanken. Supranationale Organisationen übernahmen die Zuständigkeit für die Geldpolitik oder die Grenzen.

Der Kolumnist Roger Cohen schreibt in der „New York Times“: Mit dem Ende des Kalten Krieges hatten die liberalen Demokratien und neoliberale Ökonomien ihren Zenit erreicht. Ein Vierteljahrhundert später seien nun Autoritarismus und Antiliberalismus auf dem Vormarsch.

Cohen nennt ein Bündel von Gründen: Zu lange hätten westliche Gesellschaften keine positiv prägenden Erlebnisse oder „Siege“ erlebt. Technologie und Digitalisierung, oft bejubelt, verändern Wirtschaft und Arbeit grundstürzend. „Sinnlose Kriege wurden geführt, Wanderungsbewegungen setzten ein. Die Verantwortlichen haben für ihre Fehler nie bezahlt.“ Zeitlich parallel wuchs das Internet praktisch exponentiell. Medien verloren ihre Deutungshoheit, der politische Diskurs zerfaserte, die Anschlussmöglichkeiten für alle Meinungen und Theorien wurden entgrenzt, ebenso für Gruppenbildungen aller Art.

In einer herausragenden Harvard-Studie weisen Ronald Inglehart und Pippa Norris nach, dass die Wähler populistischer Kandidaten als wichtigste Faktoren weniger wirtschaftliche Gründe benennen (Ungleichheit, Stagnation, internationaler Handel), sondern kulturelle Veränderungen.

Es setzte eine große Sehnsucht nach einem romantisierten Früher ein. Die Gegenwart wurde prekär, die Unsicherheit groß. Der wachsende Unterschied zwischen Metropolen und Peripherie tat das Seine dazu.

Nach der schweren Wirtschaftskrise ab 2007 brach sich Enttäuschung über die Verhältnisse Bahn. Die Wut über das Gefühl des Abgehängtseins wuchs. All das düngte den Nährboden für Populismus. Der Stimmenanteil für populistische oder autoritäre Parteien ist in den 34 Ländern der OECD seit Ende der 1970er-Jahre kontinuierlich angestiegen. Er liegt jetzt bei durchschnittlich 8 Prozent.

Populismus wird oft auch als Kampfbegriff benutzt. Reine Kritik an den Herrschenden wird so rasch diffamiert. Tatsächlicher Populismus hat aber verschiedene Spielarten mit einer Gemeinsamkeit: Feindlichkeit gegenüber Eliten, etablierter Politik und Institutionen. Er sieht sich als Vertreter „einfacher“ oder „normaler“ Leute und oft als Stimme eines wahren Patriotismus. Wenig vereint seine Anhänger so wie das negativ besetzte Thema Integration.

Polarisierung und Elitenkritik

Die Rufe lauten „Wir wollen unser Land zurück“, man ist überzeugt, dass es mit der eigenen Heimat bergab gehe. Heute sind in den Parlamenten der meisten europäischen Länder populistische Parteien vertreten. In nationalen Wahlen der vergangenen fünf Jahre in 16 Ländern Europas hat je mindestens eine populistische Partei mindestens 10 Prozent erhalten. Im Schnitt sind es 16,5 Prozent, er wird durch Ungarns Fidesz besonders hochgetrieben.

Der künftige US-Präsident Donald Trump gilt als das aktuell herausragendste Beispiel eines Populisten. Er teilt die Gesellschaft in zwei Lager: „das Volk“ und „die Eliten“. Trump ist stolz auf seinen Anti-Intellektualismus. Kultur und Wissen stellt er Instinkten hintan. Er polarisiert mit Vorliebe und dämonisiert seine Gegner. Er macht keinen Hehl aus seiner Verachtung für eine freie Gerichtsbarkeit, eine freie Presse und etablierte Parteien. Als entscheidender Faktor für den Faschismus fehlt hier der Einsatz von Gewalt, schreiben US-Denkfabriken. Noch? Denn nach rechts bietet Populismus oft gefährlich gleitende Übergänge. Wie nah er am Faschismus oder am Autoritarismus ist, belegen Studien und Umfragen.

Das Buch „Was ist Populismus?“ des in Princeton lehrenden deutschen Politologen Jan-Werner Müller ist eines der wichtigsten Werke zum Thema. Er sagt: „Populismus ist nicht nur antiliberal, er ist antidemokratisch. Er ist eine permanente Bedrohung der repräsentativen Demokratie.“ Müller legt Wert darauf, Elitenkritik nicht mit Populismus gleichzusetzen: „Sollten wir nicht alle kritische Bürger sein?“ Populistische Anführer aber nähmen für sich in Anspruch, sie und nur sie allein repräsentierten das Volk.

Dieser Populismus sei vor allem eine Zurückweisung des Pluralismus, sagt Müller. Die Ablehnung der Vielfältigkeit einer Gesellschaft finde sich nur im Rechtspopulismus, nicht aber bei Politikern, die viel Zulauf hätten, wie etwa Bernie Sanders in den USA. An der Macht bauten Populisten aus ihrem Moralmonopol einen Staat, der alle ausschließe, die nicht ihrer Definition vom „echten Volk“ entsprächen. István Hegedüs von der Ungarisch Europäischen Gesellschaft sagt, das Endergebnis heiße dann „Nur wir sind das Volk“.

Populisten an der Regierung seien darauf aus, so schnell wie möglich Wünsche des Wahlvolks zu erfüllen, sagt Benedetta Barbisan vom Max-Planck-Institut für Internationales Recht. „Für mittel- oder langfristige Konsequenzen haben sie nicht viel übrig.“ Dieser Maßstab könnte, 2017 an Trumps Ankündigungen angelegt, gut passen. Bisher verspricht er für reale Probleme eher magische Lösungen.

In Europa hätten sich die Populisten ihren Feind selbst zusammengebaut, sagt Amr Hamzawy von der Carnegie-Stiftung: aus der politischen Elite, aus EU-Bürokraten, aus Minderheiten und aus Unternehmen, die ökonomisch von der Globalisierung profitieren.

Interessanterweise hat Lateinamerika seine populistische Welle von links vielerorts hinter sich. „In einem verblüffenden Rollenwechsel ist es nun diese Weltgegend, die atemlos zusieht, wie Populisten andernorts in früher prosperierende Volkswirtschaften einfallen“, schreibt Shannon O'Neil vom Rat für auswärtige Beziehungen, einer Denkfabrik in Washington. Für sie der Beweis, dass Bürger sich wehren und ihre Institutionen reformieren können und nicht alles tolerieren.

„Die wichtigsten Treiber des Populismus sind Stagnation oder wirtschaftliche Unsicherheit, Ungleichheit in der Gesellschaft, Wanderungsbewegungen und Frust über die etablierten Parteien“, sagt Thomas Carother vom Carnegie Institute. „Es gibt keinen Grund zu glauben, dass sich daran nächstes Jahr etwas ändern wird.“ Außerdem gibt es keine Bestrebungen und auch kaum Möglichkeiten, etwas so komplexes wie Globalisierung zu regulieren.

Sergey Lagodinsky von der Böll- Stiftung ist pessimistisch. „Die Frage ist nicht, ob der Populismus bleibt, sondern ob die Demokratie geht.“ Experten wie Hegedüs fordern daher eindringlich, nicht darauf zu vertrauen, dass Fakten von allein wieder attraktiver würden als Lügen und Verschwörungstheorien. „Wir müssen den politischen und ökonomischen Liberalismus wiedererwecken“, sagt er.

Auf der Suche nach Lösungen ziehen sich zwei rote Fäden durch die Argumente. Der eine richtet sich an Medien und Politik: Nehmt die Sorgen in der Bevölkerung ernst, verlasst die Echokammern. Der andere: Die repräsentative Demokratie, bei vielen schon durch die Umdeutung direkter Demokratie in sozialen Medien ersetzt, muss ihre Attraktivität ganz neu erklären. Warum man es wichtig findet, mit Flüchtlingen human umzugehen. Warum Fairness, Gleichheit und Teilhabe wertvoll sind.

Überzeugungskraft neu erfinden

Mark Lilla schreibt in der „New York Times“, es reiche nicht mehr, Unterschiede wie sexuelle Orientierung oder Herkunft zu feiern. Man müsse ihren Sinn und ihren Reichtum neu begründen.

Wer Populisten schlagen will, sagt Wissenschaftler Mudde, indem er sie auch nur ein bisschen kopiert, der wird sie immer eher stärken als schwächen. Politik müsse transparenter werden, zugänglicher, sie müsse mehr Menschen beteiligen und besser reagieren, lauten die Forderungen.

Politologe Stefan Lehne von der Carnegie-Stiftung sagt: „Nur wenn die Menschen merken, dass ihre Stimmen gehört und ernst genommen werden, werden sie das Vertrauen in den politischen Prozess zurückgewinnen.“ Joseph Sternberg schreibt im „Wall Street Journal“: „Politik und Medien müssen härter daran arbeiten, die Attraktivität ihrer Positionen zu begründen. Wir müssen unsere Überzeugungskraft neu erfinden.“ Zu viele hätten gedacht, alles gehe wie von selbst immer friedlich weiter.

Eigentlich, sagt Experte Lagodinsky, solle man die Situation dieser entscheidenden Jahre grundsätzlich positiv sehen. „Die Menschen stehen jetzt vor einer ganz klaren Wahl. Wofür oder wogegen wollen sie sein?“

Martin Bialecki

Stichwort: Populismus

Sie geben simple Antworten auf schwierige Fragen und sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch: Populisten. Intellektuelle wie Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa zum Beispiel halten Populismus, etwa in Gestalt von Politikern wie Donald Trump, für eine der größten Bedrohungen heutiger Demokratien. Doch was genau bedeutet der Begriff? Laut Duden ist Populismus eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen“. Populisten mobilisieren vor allem bildungsferne, unpolitische Teile der Bevölkerung, indem sie etwa der angeblich korrupten Elite die moralische Überlegenheit des breiten Volkes entgegenhalten. Umstritten ist, ob Populismus an sich die Demokratie gefährdet oder eher Gradmesser für vernachlässigte Probleme in der Bevölkerung ist.