Unruhen: In Ferguson explodiert die Wut

Aufmacher Foto: dpa

Schwarzer Rauch zieht über die South Florissant Road. In der Mitte der Straße brennt ein Auto, eigentlich bloß noch ein Torso. Nur noch die Umrisse des Rahmens sind zu erkennen von dem Streifenwagen der Polizei, den wütende Protestler in Brand gesteckt haben. Und während er traurig auf die Flammen blickt, die aus der Ferne wirken, als hätte jemand eine Feuerschale aufgestellt, um in der eiskalten Nacht Wärme zu spenden, muss sich Michael Robinson eingestehen, dass er gescheitert ist mit seiner Friedensmission.

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Robinson, Pfarrer einer afroamerikanischen Kirche, hatte sich extra ein orangefarbenes T-Shirt übergestreift. Grelles Orange, es sollte weithin sichtbar sein. Geistliche aus dem Ballungsraum St. Louis haben sich zusammengeschlossen in dem Versuch, das drohende Chaos zu bannen. Er wolle dafür sorgen, dass sich Polizisten und Demonstranten an Absprachen halten, hatte der Pastor erklärt, als noch Ruhe herrschte. Keine Flaschen, keine Steine, keine Brandbomben. Auf der anderen Seite Zurückhaltung, keine Handschellen, kein Tränengas.

Jetzt, abends nach zehn, bleibt Robinson nichts anderes übrig, als kopfschüttelnd zuzuschauen, wie die Lage an der South Florissant Road eskaliert. „Auf den Bürgersteig! Treten Sie auf den Bürgersteig!“, kommandieren behelmte Polizisten, die Gesichter mit Plastikschilden geschützt. „Wer diesem Befehl nicht Folge leistet, wird verhaftet.“ Der Pfarrer zerrt am Ärmel eines Teenagers, er rudert mit den Armen, aus Leibeskräften ruft er, dass man zurückweichen soll. Vergebens. Die Polizisten schieben und schubsen. Ein Wort ergibt das andere. Bald ist die Kreuzung vor Marley’s Bar & Grill erfüllt von Schreiduellen. Zum Glück treibt ein böiger Wind die Tränengasschwaden bald wieder weg.

Schal hoch ins Gesicht gezogen

Brianna, eine junge Frau, die ihren Familiennamen nicht gedruckt sehen will, hat sich einen olivgrünen Schal hoch ins Gesicht gezogen, sodass er Mund und Nase bedeckt. „Ich bin hier, um dem Land zu zeigen, dass es nicht okay ist, wenn unsere Leute getötet werden und dann nichts geschieht“, sagt sie. Wer einen Menschen erschießt, habe sich vor einem Richter zu verantworten, wenigstens dies. „Das hier ist inakzeptabel. Also verhalten auch wir uns inakzeptabel.“ Die Ladenbesitzer, deren Geschäfte in Flammen aufgehen, sollten ihren Frust an der Polizei auslassen, nicht an den Demonstranten. Während Brianna vor Marley’s Kneipe steht wie eine Säule, eisern entschlossen, kann man Carmen Sherman nur im Gehen interviewen. Bloß keine Verhaftung! Festnahmen kann sich eine sechsfache Mutter nicht leisten. Sobald sich Beamte nähern, huscht sie davon. Darren Wilson, sagt Carmen Sherman, hätte einen Prozess kriegen müssen, ein öffentliches Verfahren „vor den Augen Amerikas“, nur das hätte die Wogen geglättet.

Eine Grand Jury, neun weiße, drei schwarze Geschworene, hat nach 25 geheimen Sitzungen anders entschieden. Keine Anklage. Robert McCulloch, der zuständige Staatsanwalt, hatte vom Mittag bis zum Abend gewartet, ehe er es verkündete – warum so lange, kann keiner erklären. Wilson, der weiße Polizist, der am 9. August den schwarzen Teenager Michael Brown erschoss, bedankt sich kurz darauf bei seinen Anhängern. Die Geste könnte zusätzlich Öl ins Feuer gießen. Jedenfalls hat ihn die Jury in allen Punkten entlastet, und McCulloch, der Sohn eines Polizisten, zeichnet die Skizze eines Ordnungshüters, der in akuter Notwehr handelte. Demnach heftete sich Wilson in seinem Streifenwagen an Browns Fersen, nachdem der in einem Laden Zigarren gestohlen hatte, nicht nur, weil der 18-Jährige mitten auf der Straße lief, wie es anfangs hieß.

Als er die Tür seines Autos zu öffnen versucht, stemmt sich der Hüne von außen dagegen, während er durchs offene Fenster auf Wilson eindrischt. Als Brown nach Wilsons Pistole greift, gelingt es dem Polizisten, sie ihm zu entwinden. Noch im Auto schießt er zweimal. Brown läuft davon, Wilson setzt ihm nach, fordert ihn auf, sich auf den Boden zu legen. Stattdessen dreht sich der Teenager um und rennt auf ihn zu. Er habe noch mehrmals gefeuert, bis Brown zu Boden stürzte, gibt Brown am Tag nach der Tat zu Protokoll. McCulloch wiederholt es in allen Details.

Als der Staatsanwalt fertig ist, steht Lesley McSpadden vorm Polizeirevier an der South Florissant Road und lässt ihren Emotionen freien Lauf. „Das ist falsch!“, protestiert die Mutter Mike Browns. Ein Anwalt verliest eine Erklärung der Familie des toten Jungen: Man sei zutiefst enttäuscht, dass der „Killer“ für seine Tat nicht geradestehen müsse, gleichwohl bitte man darum, den Ärger darüber in Bahnen zu lenken, die einen Wandel zum Guten bewirken – die Worte verhallen in dieser Nacht.

Pizzarestaurant abbgefackelt

An der South Florissant gehen als erstes Schaufensterscheiben zu Bruch, das Pizzarestaurant „Little Caesar’s“ wird geplündert und abgefackelt, auch vom „St. Louis Fish Chicken and Grill“ nebenan bleiben nur verkohlte Reste. Die Feuerwehren rücken erst nach Mitternacht aus; vorher ist es zu riskant, da Schüsse gemeldet werden. Am späten Abend wird der Flughafen St. Louis für ein paar Stunden gesperrt. Die Einflugschneise führt knapp an Ferguson vorbei, und solange dort geschossen wird, ist es zu gefährlich für Landeanflüge.