Mainz/Berlin

Unisex-Tarife: Versicherer pokern

Noch gibt es für Männer und Frauen bei Versicherungen unterschiedliche Tarife. Ab Dezember müssen Versicherer allerdings Unisex-Tarife anbieten.
Noch gibt es für Männer und Frauen bei Versicherungen unterschiedliche Tarife. Ab Dezember müssen Versicherer allerdings Unisex-Tarife anbieten. Foto: DPA

Was sich derzeit in der Versicherungsbranche abspielt, beschreibt Michael Wortberg von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz als das Mikado-Prinzip: „Wer sich als Erstes bewegt, der verliert.“

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Fest steht, dass die Konzerne ab 21. Dezember einheitliche Tarife für Frauen und Männer, Unisex-Tarife, anbieten müssen. Schuld sind zwei Belgier, die zusammen mit einem Verbraucherverband gegen die Ungleichbehandlung der Männer bei Kfz-Versicherungen geklagt haben. Die Richter am Europäischen Gerichtshof gaben ihnen Anfang März 2011 recht. Und sie verpflichteten die Versicherer in allen 27 EU-Mitgliedstaaten, ab 21. Dezember 2012 Unisex-Tarife anzubieten.

Doch kein Anbieter will bislang damit herausrücken, wie teuer die neue Versicherungswelt ist. Es gilt das Mikado-Prinzip. Doch je näher der Termin rückt, desto größer werden die Befürchtungen des Versicherungsexperten Wortberg. Seine Prognose: Es wird für alle teurer. Hier Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Warum spielte das Geschlecht bislang eine so große Rolle?

Ob ein Versicherter männlich oder weiblich ist, war bislang einer der wichtigsten Faktoren bei der Kalkulation des Beitrags und der Versicherungsbedingungen. Beispiel: Statistisch gesehen sterben Männer fünf Jahre früher und beziehen daher entsprechend kürzer Rente. Bislang zahlen sie daher geringere Beiträge für die private Altersvorsorge. Künftig müssen sie mehr berappen und subventionieren so quasi die Rente der Frauen. Beispiel Kfz-Versicherung: Hier mussten die Männer bislang tendenziell mehr bezahlen, weil sie statistisch gesehen mehr Unfälle verursachen. Jetzt wird die Versicherung für Frauen teurer.

Für wen gelten die neuen Unisex-Tarife?

Grundsätzlich nur für neue Verträge, die nach dem 21. Dezember abgeschlossen werden. Bestandspolicen sind ausdrücklich ausgenommen. „An den ursprünglich geschlossenen Vertrag mit den vereinbarten Bedingungen sind Versicherer und Versicherungsnehmer gebunden“, heißt es seitens des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Auch für Änderungen oder Optionen auf zusätzliche Leistungen, die nach dem Stichtag ausgeübt werden, aber im alten Vertrag bereits vereinbart wurden, bleibt es beim ursprünglichen Tarif. Hierzu zählt laut GDV auch eine vereinbarte Beitragsdynamik.

Gibt es dabei Ausnahmen?

Ja. Der Schlüsselbegriff heißt „wesentliche Änderungen“. Sind diese einschlägig, dann kommen Unisex-Tarife zur Anwendung. Dazu zählen nachträgliche Änderungen der Versicherungssumme oder eine neue Laufzeit, falls diese nicht im Ursprungsvertrag vereinbart wurden. Bei der Ergänzung einer Police um zusätzliche Leistungsarten, etwa die Abrundung einer Rentenversicherung durch eine Berufsunfähigkeitspolice, dürfte auch eine Umstellung fällig sein. Möglicherweise räumt der Versicherer aber auch die Option ein, den alten Baustein im alten Tarif zu belassen und lediglich den neuen geschlechtsneutral zu kalkulieren – vieles ist noch Auslegungssache.

Was sind definitiv keine wesentlichen Änderungen?

Eine automatische Vertragsverlängerung, eine geänderte Bankverbindung, andere Begünstigte oder ein anderer Selbstbehalt stellen keine wesentliche Änderung dar. Dann bleibt alles beim Alten.

Worauf sollte man noch achten?

Zum Teil versteckt sich ein Hinweis auf die Umstellung in den Versicherungsbedingungen der Altverträge. Beispiel Beitragsdynamik: Steht im Kleingedruckten „zum Zeitpunkt des Erhöhungstermins“, wird im Prinzip ab 21. Dezember auf Unisex-Basis kalkuliert, für die vorher gezahlten Erhöhungen jedoch nach Bisex. Steht „auf Basis der bei Vertragsabschluss geltenden Bedingungen“ im Papier, bleibt der alte Tarif weiter gültig. Achtung: Auch wer einen beitragsfrei gestellten Altvertrag wieder aktivieren will, sollte auf solche Formulierungen achten.

Welche Versicherungen sind besonders von den Unisex-Tarifen betroffen?

Besonders eklatant werden die Beitragssprünge bei der privaten Krankenversicherung sein. Hier drohen laut Wortberg Steigerungen von bis zu 43 Prozent. Noch dramatischer ist die Lage bei Pflegetagegeldversicherungen, wo ein Anstieg von 40 bis 70 Prozent befürchtet wird, sowie bei Risikolebensversicherungen (50 bis 60 Prozent). Akuter Handlungsbedarf besteht bei Männern, die eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen wollen. Laut Wortberg lohnt es sich da auch nicht mehr abzuwarten, wie das Mikado-Spiel der Versicherungen ausgehen wird.

Von Christian Kunst /dpa