Berlin

TV-Film „Terror – Ihr Urteil“: Im Namen des Fernsehvolks

Urteil im Namen des Fernsehvolks Foto: ARD Degeto/Moovi

Der TV-Film „Terror – Ihr Urteil“ (ARD) hat eine breite gesellschaftliche Debatte über die Frage ausgelöst, ob die Bundeswehr ein entführtes Flugzeug abschießen darf, das von einem Terroristen in ein voll besetztes Stadion gelenkt wird. Der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) warnt allerdings davor, unter dem Eindruck der Terrorgefahr etwa die Verfassung zu ändern. Das hatte zuvor Thomas Wassmann, Waffensystemoffizier der Luftwaffe, ins Spiel gebracht.

Lesezeit: 3 Minuten
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Von unserem Redakteur Marcelo Peerenboom

In dem Fernsehfilm, dem das gleichnamige Theaterstück des Juristen und Buchautors Ferdinand von Schirach zugrunde liegt, wird der Fall eines Piloten verhandelt, der ein Flugzeug mit 164 Passagieren abgeschossen hat. Damit wollte er verhindern, dass die von einem Terroristen entführte Maschine in die Münchner Allianz Arena stürzt, in der sich 70.000 Menschen befinden.

Nach der fiktiven Gerichtsverhandlung hatten die Zuschauer die Möglichkeit, über „schuldig“ oder „nicht schuldig“ abzustimmen. Knapp 87 Prozent votierten am Ende für einen Freispruch. Auch nach den inzwischen mehr als 400 Theateraufführungen hatte sich bisher meist eine klare Mehrheit für „nicht schuldig“ ausgesprochen.

Umfrage
„Terror“: Abschuss eines Passagierflugzeugs

In der ARD-Sendung „Terror“ entschied in einer fiktiven Situation ein Pilot, mehr als 160 Passagiere eines Flugzeugs abzuschießen, um mehrere zehntausend Besucher eines Fußballspiels zu retten. Ist Pilot Lars Koch (Schauspieler: Florian David Fitz) schuldig oder nicht? Wie lautet Ihr Urteil?

schuldig!
46%
614 Stimmen
unschuldig!
40%
523 Stimmen
So einfach ist das leider nicht.
14%
184 Stimmen

Liberaler Politiker ist über das Ergebnis erschüttert

Der FDP-Politiker Gerhart Baum zeigte sich in der anschließenden Sendung „hart aber fair“ erschüttert über die Abstimmung und über die Argumente, die ausgetauscht wurden. Seiner Auffassung nach hat das Publikum ganz klar gegen das Grundgesetz gestimmt. Für ihn wäre der Pilot zu verurteilen gewesen. Baum kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu: Er hatte 2005 gemeinsam mit seinem Parteifreund Burkhard Hirsch Verfassungsbeschwerde gegen das Luftsicherheitsgesetz eingelegt, das in einem solchen Fall den Abschuss eines Passagierflugzeugs erlaubt hätte. Das oberste deutsche Gericht erklärte den Paragrafen für verfassungswidrig. Nach Auffassung der Richter war er nicht mit dem Recht auf Leben nach Artikel 2 und mit der Menschenwürdegarantie in Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbar.

Auch wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts insoweit völlig eindeutig ist, war es gerade die vom Autor gewählte Fallkonstruktion, die Zweifel aufkommen ließ. Ist es richtig, das Leben von 164 Menschen zu opfern, um das Leben von 70 000 Menschen zu retten? Ist dies das „kleinere Übel“? Macht sich ein Kampfjetpilot, der sich über Befehle, Gesetze und Urteile hinwegsetzt, strafbar – oder ist er ein Held? Wie ist das moralische Dilemma zu lösen? Der frühere Innenminister Baum meint, die Zuschauer seien verleitet worden, den Piloten freizusprechen. Der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hingegen sah sich bestätigt: Er hätte den Abschuss der Lufthansa-Maschine befohlen, gab er zu Protokoll. Er sprach von übergesetzlichem Notstand und erklärte, die Menschen im Flugzeug hätten ohnehin keine Chance gehabt zu überleben. Es gehe um das Lebensrecht der Menschen, die im Stadion seien.

Entscheidung zwischen „falsch“ und „falsch“

Folgt man der evangelischen Theologin Petra Bahr, dann ist es in Wahrheit eine Entscheidung zwischen „falsch“ und „falsch“. Für sie war klar: Der Pilot hat Schuld auf sich geladen, aber Menschen gerettet. Die Situation, die im Film geschildert wird, bezeichnete sie als „schier unerträglich“, es werde Würde gegen Würde ausgespielt. Das Recht stoße hier an seine Grenzen. Sie warnte allerdings davor, das TV-Urteil als Volksjustiz einzuordnen.

Ferdinand von Schirach selbst erklärte: „Ich wollte, dass wir darüber reden, wie wir leben wollen. Der Terrorismus ist die größte Herausforderung unserer Zeit, er verändert unser Leben, unsere Gesellschaft, unser Denken.“ Der Pilot wäre laut von Schirach in der Realität verurteilt worden – „völlig zu Recht“, wie er anmerkt. Der Fernsehabend hat der ARD Traumquoten beschert. Mit 6,3 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 22,5 Prozent war „Terror“ die meistgesehene Sendung am Montag. Allerdings hatte der Sender mit erheblichen technischen Problemen während der Abstimmung zu kämpfen: Die Internetseite war bisweilen schwer erreichbar, und die beiden Telefonnummern waren meist besetzt. Oft kam auch die Ansage: „Ihr gewünschter Gesprächspartner ist derzeit nicht erreichbar.“ Christine Strobl, Geschäftsführerin ARD Degeto und Co-Produzentin des Films, sagte: „Wir haben mit externen Dienstleistern, die die modernste Infrastruktur zur Verfügung gestellt haben, zusammengearbeitet.“ Offenbar stoße aber selbst modernste Technik bei einer so großen Beteiligung an ihre Grenzen. „Das ändert aber nichts an der Validität des Ergebnisses“, sagte sie. Den Senderangaben zufolge haben sich rund 600 000 Zuschauer an der Abstimmung beteiligt.