TTIP: Höhlt das Handelsabkommen deutsche Umweltstandards aus?

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Rund 240 Seiten des amerikanischen Vertragsentwurfes für das Freihandelsabkommen TTIP sind seit Montag im Internet abrufbar. Mit der Veröffentlichung eigentlich geheimer Dokumente hat Greenpeace einen neuen Streit entfacht. Viele der Bestimmungen gehen tief in die Details des gegenseitigen Handelsverkehrs. Doch was zeigen die bislang geheim gehaltenen Dokumente nun wirklich? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

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Was ist TTIP noch mal genau?

TTIP steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership, also eine transatlantische Partnerschaft für Handel und Finanzmarkt. Die USA und die EU wollen einen gemeinsamen Markt für rund 800 Millionen Verbraucher schaffen. Vor allem die gegenseitigen Zölle sollen in einem ersten Schritt abgeschafft werden. Sie liegen – quer über alle Wirtschaftsgüter – im einstelligen Bereich. Zum zweiten geht es um Standards in der Wirtschaft – wie einheitliche Stecker bei Ladegeräten oder Vorgaben für Maschinen- und Autohersteller. Und zum dritten sollen auch sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse beseitigt werden. Darunter werde solche Vorschriften verstanden, die ein Partner erlassen hat und die den Handel behindern können.

Was ist das zum Beispiel?

Das europäische CE-Kennzeichen zeigt, dass der Hersteller den Sicherheitsbestimmungen der EU einhält. In den USA gilt es nicht und muss aufwändig neu beantragt werden. Auf der anderen Seite fordert die EU, dass die Vereinigten Staaten bei der öffentlichen Auftragsvergabe nicht mehr nur amerikanische Anbieter zulassen, sondern sich auch für europäische öffnen.

Was steht denn noch konkret in den Geheimpapieren?

Es geht dabei um viele Details, die aber für die Wirtschaft wichtig sein können. So soll zum Beispiel ein Container nicht noch einmal bei der Einfuhr kontrolliert werden, wenn er bereits bei seinem Versand gecheckt wurde. Einen breiten Raum nehmen Lebensmittelvorschriften ein, die für die USA eine große Rolle spielen. So heißt es in dem Rohentwurf der amerikanischen Seite, dass die EU die Zölle für Agrarprodukte senken und den Markt für Lebensmittel öffnen sollen, um mehr landwirtschaftliche Güter von US-Farmern zu kaufen. Im Gegenzug sei man bereit, auch die Einfuhrabgaben für europäische Autos zu senken.

Warum ist das ein Problem?

Es geht um einen weitgehenden Paradigmenwechsel. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip. Produkte und Lebensmittel werden zugelassen, wenn sich nachweisbar nicht schädlich sind. In den USA dagegen dürfen diese Waren so lange verkauft werden, bis ihre Gefährlichkeit nachgewiesen wurde. Im konkreten Einzelfall ist das schwierig. Aus amerikanischer Sicht gibt es keine Probleme, genmanipulierte Lebensmittel oder Fleisch, das mit Wachstumshormonen behandelt wurde, zu verzehren. Die EU verlangt zumindest einen deutlichen Hinweis auf der Verpackung, was viele US-Anbieter als Stigma und damit als Handelsbarriere empfinden. Ein mit Chlor behandeltes Hühnchen wollen die Europäer nicht, obwohl die US-Hersteller wissenschaftlich belegen können, dass diese Art der Desinfektion weder ein Risiko beinhaltet noch schädlich ist.

Was würde es bedeuten, wenn sich der US-Standpunkt durchsetzen würde?

Zum einen würde die bisherige Umwelt- und Verbraucherschutz-Gesetzgebung der EU auf den Kopf gestellt – sie ist darauf ausgerichtet, Risiken und Gefahren schon präventiv auszuschließen. Zum anderen wollen die Vereinigten Staaten die Europäer sogar zwingen, künftig die „Notwendigkeit einer Verordnung“ zu prüfen sowie „Kosten und Nutzen von Alternativen“ darzulegen. Das könnte nach Einschätzung von Fachleuten dazu führen, dass sich die EU-Mitgliedstaaten schwertun werden, überhaupt neue Umwelt- oder Verbraucherschutzstandards zu erlassen.

Akzeptiert man in Washington denn den europäischen Kompromissvorschlag für Schiedsgerichte?

In den nun veröffentlichten Papieren wird darauf kein Bezug genommen, aber ein eigener Vorschlag präsentiert. Die Brüsseler EU-Kommission hatte ja für öffentlich tagende Handelsgerichte plädiert, die von beiden Partner mit Richtern besetzt werden. Dagegen setzen die USA nun ihre Idee von weiterhin privaten Schiedsgerichten, wie es sie im internationalen Handel seit vielen Jahrzehnten gibt. Allerdings sollen diese transparenter werden. Verhandlungen könnten im Internet übertragen werden, Vertreter der Zivilgesellschaft sollen an den Verhandlungen teilnehmen dürfen. Öffentliche Gerichte lehnt aber weiter Washington ab.

Was passiert denn jetzt?

Die Echtheit der Papiere vorausgesetzt, zeigen die Dokumente nur die amerikanische Maximalforderung, mit der man in die nächsten Verhandlungsrunden geht. So sieht man das auch in Brüssel. Am vergangenen Freitag trafen in Washington die beiden Delegationsleiter zusammen. Dabei wurde deutlich, dass man sich über den Abbau von rund 97 Prozent der Zölle einig ist – da geht es nur noch um Übergangsfristen und unterschiedlich lange Laufzeiten. Bei den restlichen drei Prozent scheint es allerdings wirklich schwierig zu werden, weil es vorrangig um Lebensmittel geht. Und das ist für beide Seiten ein überaus hochsensibles Thema.

Wie sind die Reaktionen in Deutschland?

Höchst unterschiedlich. Die deutsche Chemieindustrie wirft Greenpeace unlautere Methoden vor. Es sei völlig normal, dass in handelspolitischen Verhandlungen zum Teil Maximalforderungen gestellt würden, heißt es. Ähnlich sieht es die Autoindustrie. Die Organisation Brot für die Welt erklärte, TTIP widerspreche „elementaren Anforderungen an eine faire und nachhaltige Handelspolitik“. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter erklärte: „Die Dokumente scheinen zu bestätigen, was viele befürchtet haben.“ Die einflussreichen SPD-Linken im Bundestag fordern den Abbruch der Verhandlungen. Agrarminister Christian Schmidt(CSU) betonte hingegen, Deutschland werde keine Absenkung von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards akzeptieren.

Detlef Drewes