Berlin

Studie: Eltern machen sich den Stress selbst

Wer heute Kinder großzieht, gehört nach eigenen Angaben zu der am meisten gestressten Elterngeneration. Doch Mütter und Väter machen sich den Druck überwiegend selbst – der Spagat zwischen Beruf und Familie ist weniger Ursache für die Belastungen. Das hat eine Studie ergeben, für die das Institut Forsa im Auftrag der Zeitschrift „Eltern“ rund 1000 Frauen und Männer mit Kindern bis zwölf Jahren in Deutschland befragt hat.

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Von Jan Drebes und Angela Kauer

Unter Strom stehen die Eltern demnach vor allem, weil sie ihre Aufgaben perfekt erfüllen und keine falschen Entscheidungen treffen wollen: Vom Schnuller bis zum Autositz müssen Produkte für den Nachwuchs optimal sein, später sollen Tochter und Sohn die beste Tagesbetreuung und Schulbildung bekommen. 40 Prozent der Mütter und Väter gaben an, dass der Druck aus den eigenen Ansprüchen entsteht, bei den Frauen sagt das sogar jede zweite.

Laut dem Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Prof. Stefan Sell von der Hochschule Koblenz sind es vor allem Mütter und Väter der Mittelschicht, die diese Art Druck verspüren. „Eltern aus den unteren Einkommensbereichen haben auch Stress, aber das ist oft ein ganz anderer Stress“, sagte er im Interview mit unserer Zeitung. „Sie leiden darunter, dass unsere Gesellschaft eine extrem vergleichende Gesellschaft ist – und dass sie merken, dass ihre Kinder das spätestens in der Schule zu spüren bekommen.“

Job ist nicht Hauptstressfaktor

Der „Eltern“-Studie zufolge sehen nur 22 Prozent der Mütter und Väter die Ursachen für Druck und Hetze beim Arbeitgeber. Während also bisher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem für Mütter als eines der Hauptprobleme galt, zeichnet die Studie ein etwas anderes Bild. Demnach sind drei Viertel der berufstätigen Eltern mit ihrer Arbeitszeitregelung zufrieden, fast 80 Prozent sagen, sie hätten mit dem Arbeitgeber selten oder nie Probleme gehabt.

Doch 70 Prozent der Eltern gaben an, dass sie den eigenen Ansprüchen gelegentlich oder häufig nicht gerecht werden, bei den Müttern sind es sogar fast drei Viertel. Heinz Bude, Professor für Soziologie an der Uni Kassel, nennt das die „Dramatisierung des Kinderschicksals“, die dazu führe, dass betroffene Eltern den selbst produzierten Stress auch nicht einfach zurückdrehen können. „Das Schicksal des Kindes wird auch von immer mehr Vätern als Gradmesser der eigenen Leistung gesehen“, sagte Bude. Seine Formel lautet: „Je weniger Kinder, desto mehr Stress machen sich die Eltern.“ Und der sei auch deswegen so hoch, weil sich Eltern heute in ihren Rollen immer weniger ergänzen, sondern gemeinsam um Kompromisse ringen, sagte Bude. Die heutige „Aushandlungsfamilie“, wie es der Experte nennt, sei geprägt von einem Vater, der sich mehr als früher in die Kindererziehung einmischt, und von einer Mutter, die neben dem Mann nun auch berufstätig sein möchte.

Kinder spüren Belastung der Eltern

Für Familienpolitiker bringt die Studie eine ernüchternde Erkenntnis: 55 Prozent der Befragten gaben an, dass die Maßnahmen der Politik nicht zu einer Erleichterung des Alltags beitragen würden. 23 weitere Prozent sagten, das könne der Gesetzgeber gar nicht leisten. Widersprüchlich ist jedoch, dass sich dennoch mehr als 40 Prozent der Eltern mehr finanzielle Unterstützung vom Staat wünschen – und schon auf Platz zwei den Wunsch nach mehr Gelassenheit an sich selbst richten (38 Prozent).

Dass Kinder ihre Eltern aber offenbar sehr gut analysieren können, beweisen die Ergebnisse einer ergänzenden Umfrage des Marktforschungsinstituts iconkids&youth unter 700 Kindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren. Dort sagten 36 Prozent der Befragten, dass ihre Eltern gestresst sind, „weil sie immer alles perfekt machen wollen“. Und ebenso viele Kinder sagten, sie seien oft allein, weil ihre Eltern viel arbeiten würden. Doch am Ende stellen die befragten Kinder ihren Eltern fast durchweg ein Kuschelzeugnis aus. 92 Prozent sagten, sie könnten sich keine besseren Eltern vorstellen, 91 Prozent fühlen sich bei Mama und Papa immer wohl.