Berlin

Stresstest macht es Röttgen schwer

Nuclear power plant of Cattenom
Die AKW-Prüfer bescheren Umweltminister Röttgen einen schwierigen Auftrag. Foto: DPA

Als Norbert Röttgens Sprecherin mit dem Karton die Treppen hinaufschreitet, strahlt sie: „Der Bericht ist bis jetzt nicht durchgestochen worden.“ Sekunden später wird ihr der 116-seitige AKW-Check der Reaktorsicherheitskommission (RSK) aus der Hand gerissen.

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Berlin – Als Norbert Röttgens Sprecherin mit dem Karton die Treppen hinaufschreitet, strahlt sie: „Der Bericht ist bis jetzt nicht durchgestochen worden.“ Sekunden später wird ihr der 116-seitige AKW-Check der Reaktorsicherheitskommission (RSK) aus der Hand gerissen. Dass er nicht zuvor durchsickerte, lag daran, dass bis zuletzt an dem mit Spannung erwarteten Report gefeilt wurde. Koalitionskreise streuen, Bundesumweltminister Röttgen (CDU) sei mit ersten Ergebnissen nicht zufrieden gewesen, soll doch das Papier die Basis für einen raschen Atomausstieg liefern.

Doch eine Abschaltempfehlung für bestimmte Atomkraftwerke liefern die 100 Experten nicht, die seit April im Auftrag der RSK die Risiken bei den 17 Kernkraftwerken noch einmal durchrechneten. Einzelne AKW, die beim Flugzeugabsturz schlecht abschneiden, stehen bei der Notstromversorgung besser da. Für die Regierung wird es nun nicht einfacher. Der Erste, der den Reigen der Interpretationen eröffnet, ist Röttgen selbst, er muss nun Risiken abwägen. Nachdem er anfangs betont, es sei ein differenziertes Ergebnis, das er noch zu bewerten habe, wird er im weiteren Verlauf der Präsentation deutlicher.

Die sieben seit März stillstehenden Kernkraftwerke, die vor 1980 ans Netz gegangen sind, hätten keinen oder kaum einen Schutz gegen Flugzeugabstürze, sagt der für Reaktorsicherheit zuständige Minister. Zwar kann Isar I den Aufprall eines Starfighters aushalten, nicht aber den eines mittelgroßen Flugzeugs vom Typ Phantom. Erstmals wird nicht in geheimen Papieren, sondern amtlich bestätigt, dass die RWE-Anlage Biblis A, der Vattenfall-Meiler Brunsbüttel und das EnBW-Kraftwerk Philippsburg I gar keinen Schutz vor Flugzeugabstürzen haben. Bei Biblis B gibt es zwar einen geringen Schutz, aber ob der Reaktor die Erschütterungen eines Aufpralls aushält, ist unbekannt.

Aus denselben Gründen empfiehlt übrigens auch die Ethikkommission zum Atomausstieg die Abschaltung der sieben ältesten AKW sowie das Aus für den Pannenmeiler Krümmel. Röttgen macht deutlich, dass die vier am schlechtesten gegen Abstürze geschützten Anlagen nach Ende des Moratoriums im Juni durch das Sieb fallen könnten – aber letztlich könnten es auch alle sieben sein. Denn eine dickere Hülle ist technisch kaum machbar. Zudem würden der Bau Jahre dauern und die Kosten den Betrieb unrentabel machen.

Das Thema Flugzeugabstürze ist damit ein guter Hebel zur Begründung möglicher Abschaltungen. Der Minister betont, dass der Mangel nicht neu sei. In seinem Ministerium kursierte vor der Laufzeitverlängerung im Herbst eine Liste mit Nachrüstempfehlungen im Volumen von 50 Milliarden Euro, die auch einen besseren Schutz gegen Flugzeugabstürze vorsah. Dies wurde aber letztlich verworfen.

Mit Blick auf die damalige Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre ist der Bericht mit der fehlenden Festlegung sogar von Vorteil. Wenn bestimmte AKWs klipp und klar zur Sofortabschaltung empfohlen werden, stünde die Regierung blamiert da, weil sie ihnen ein sattes Laufzeitplus beschert hatte. Allerdings bekommt kein AKW einen Persilschein – einem Absturz großer Maschinen würde kein Reaktor standhalten, was Röttgen wiederum Argumente liefert, an seiner Atomkehrtwende festzuhalten.

RSK-Chef Rudolf Wieland scheut jede Festlegung auf ein Datum für den Atomausstieg und bescheinigt den Anlagen einen „hohen Robustheitsgrad“ – besonders bei den ältesten Meilern: So hätten Biblis A und B in anderen Prüfkategorien, etwa dem Schutz vor Überschwemmungen, Bestnoten erhalten.

Das macht das Urteil so schwierig, in dem Bericht schneiden die ältesten Anlagen nicht immer am schlechtesten ab: „Ein guter Gebrauchtwagen muss nicht schlechter sein als ein Neuwagen“, wird in Regierungskreisen argumentiert, wobei kein Mensch einen Wagen aus den 80er-Jahren wohl noch als Neuwagen bezeichnen würde. Georg Ismar