Standardwerk: Vom Vollpfosten zur Vorständin
Von unserer Redakteurin Birgit Pielen
Wie gelingt es einem Wort, in den Duden aufgenommen zu werden? In der Berliner Redaktion durchforsten zehn Redakteure eine riesige Textsammlung – Sachbücher, Belletristik und ganze Zeitungsjahrgänge – nach neuen Wortschöpfungen. „Wir prüfen, ob ein Wort nur in einer Quelle vorkommt, weil es vielleicht das Lieblingswort eines Autors ist, oder ob es in verschiedenen Quellen auftaucht“, erklärt Werner Scholze- Stubenrecht, Leiter der Duden-Redaktion.
„Das ist schon mal ein Pluspunkt.“ Danach wird geprüft, ob ein Wort auch über mehrere Jahre hinweg immer wieder gebraucht wird. Besonders viele Neuschöpfungen tauchen aus den Bereichen der Finanzpolitik und Unterhaltungstechnik auf. So haben es die Schuldenbremse, der Eurostabilitätspakt und das Zockerpapier in den Duden geschafft.
Aus dem Bereich der neuen Medien sind unter anderem Shitstorm, streamen und skypen sowie der Liveticker aufgenommen worden. Da wird sich mancher fragen, was das mit dem Deutschen zu tun hat. „Wir machen keine sterile Sprachbetrachtung, die sich nur dem Standard widmet, sondern wollen Sprache in ihrer ganzen Vielfalt und Breite darstellen“, erklärt Scholze-Stubenrecht.
Dazu gehört eben auch der Wortschatz aus dem Web 2.0. Eine Flut von Anglizismen ist deshalb nicht zu befürchten: Der Anteil der Fremdwörter aus dem Englischen beträgt gerade mal 3,7 Prozent. Nach wie vor sind die beiden wichtigsten Gebersprachen Latein (5,6 Prozent) und Griechisch (4,2 Prozent). Auch umgangssprachliche Schimpfwörter wie der Vollpfosten finden Gnade bei der Duden- Redaktion – und ernten weniger Kritik als beispielsweise die Vorständin.
Mancher Sprachwissenschaftler unkt, dass die deutsche Sprache auf die Frauen in Vorstandsetagen nie vorbereitet war. Doch Scholze-Stubenrecht hat keine Probleme mit der femininen Variante. „Wir finden, das Wort wird gebraucht“, sagt er. „Es stimmt einfach nicht, dass der Vorstand nur ein Gremium ist. Aufsichtsrat und Stadtrat bezeichnen immer auch eine Person – und da kann es neben der männlichen eben auch die weibliche Form geben.“
Diese Frage stellt sich beim Kannkind nicht – es ist und bleibt wie das Klaukind neutral. Aber wer sich wundert, warum das Kannkind bei der Bolognareform trotz Bildungsgutschein zur Schnappatmung neigt, warum sich seine Nanny nach einer Low-Fat- Diät mit Analogschinken gern zum Speeddating im Körperscanner trifft, der sollte sich vielleicht den neuen Duden zulegen.
Denn dann lernt er auch, dass ein Digital Native selten einen E-Book-Reader hat, dafür aber gern den Induktionsherd und die Einparkhilfe nutzt, bevor er an der klimaneutralen Stromtankstelle seinen Wagen auflädt und eine E-Zigarette raucht– die er sich trotz hartzen immer noch leisten kann. Abends beim Dschungelcamp ist ihm nur noch nach einem zumute: einem herzhaften Lol.