Spuk des Golfkriegs ist nicht verflogen

Deutschland schickt keine Soldaten in Kriege, es entsendet Aufbauhelfer. Wenn der Bundespräsident von wirtschaftlichen Interessen bei Auslandseinsätzen spricht, dann gerät er so stark unter Druck, dass er wenig später zurücktritt. Auch 20 Jahre nach Ausbruch des Golfkriegs ist das Verhältnis der Deutschen zu kriegerischen

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Deutschland schickt keine Soldaten in Kriege, es entsendet Aufbauhelfer. Wenn der Bundespräsident von wirtschaftlichen Interessen bei Auslandseinsätzen spricht, dann gerät er so stark unter Druck, dass er wenig später zurücktritt. Auch 20 Jahre nach Ausbruch des Golfkriegs ist das Verhältnis der Deutschen zu kriegerischen Auseinandersetzungen, zu „Out-of-area“-Einsätzen ungeklärt. Damals wie heute gibt es keine breite öffentliche Debatte über außenpolitische Interessen und darüber, ob diese notfalls auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen sind. Desinteresse paart sich dabei gern mit offener Ablehnung solcher Einsätze.

Der Golfkrieg, die Antwort der USA und ihrer Alliierten auf die irakische Invasion in Kuwait, kam 1991 wie ein Gewitter über das frisch vereinte Deutschland. Politik und interessierte Öffentlichkeit suchten eifrig Schutz vor der Unbill, die mit dem Krieg auf Deutschland zukam. Die Friedensbewegung gefiel sich in einer Nabelschau. Die Politik verschleierte mit ihrer Scheckbuchdiplomatie die tatsächliche Beteiligung deutscher Soldaten an dem Krieg. Ein Rückblick auf einen Konflikt, der Deutschland aufwühlte:

Scheckbuchdiplomatie: Erst Monate nach dem Ende des Golfkriegs deckte der Journalist Michael Inacker auf, dass die Regierung Kohl alles andere als unbeteiligt an der alliierten Invasion war. 17 Milliarden D-Mark – ein Drittel des Verteidigungshaushalts – waren geflossen, um sich von der Beteiligung eigener Soldaten freizukaufen. Doch ganz so unbeteiligt war man gar nicht: Alpha-Jets wurden zum Schutz vor irakischen Angriffen in der Türkei stationiert, Minensuchboote in den Persischen Golf verlegt; 2700 Soldaten leisteten logistische Hilfe.

Doch darüber hüllte die Regierung den Mantel des Schweigens. „Hier zeigte sich die Außenpolitik des wiedervereinigten Deutschlands auf ihrem ersten Tiefpunkt“, urteilt der Politologe Christian Hacke. Dies tat die Regierung sicherlich mit Blick auf die ersten gesamtdeutschen Wahlen im Dezember 1990. Und vor allem vor dem Hintergrund einer heftigen innenpolitischen Debatte, die im zweiten Golfkrieg 2003 wieder aufflammte und bis heute Regierungen zur Rücksichtnahme bei Auslandseinsätzen zu nötigen scheint.

Kein Blut für Öl: Diese Kampfvokabel der damaligen Friedensbewegung ist entlarvend. Denn Interessen sind das Wesen von Politik. Über die Mittel, mit denen sie verfolgt werden, mag man streiten. Doch haben die Friedensbewegten nie begriffen, dass auch diplomatische Forderungen notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden müssen, um ihnen Nachdruck zu verleihen.

Natürlich ging es bei diesem Krieg um Ölinteressen. Außerdem standen das fragile Mächtegleichgewicht im Nahen Osten und vor allem die Souveränität als Grundprinzip des internationalen Systems zur Disposition. Auch deshalb handelte der UN-Sicherheitsrat so einmütig wie danach nie wieder.

Dies übersah man in Deutschland gern. Stattdessen offenbarte sich bei vielen Golfkriegsgegnern ein kruder Antiamerikanismus bis hin zu einer anti-israelischen Haltung, als es um die Lieferung deutscher Abwehrraketen zum Schutz der israelischen Bevölkerung vor irakischem Giftgas aus deutscher Produktion ging. Viele Linke und Friedensbewegte lehnten dies ab.

Krieg der Worte: Während der Antiamerikanismus heute sicherlich überwiegend in der Linkspartei überlebt hat, entspannte sich das Verhältnis der Deutschen zu Auslandseinsätzen nur in Teilen. Zwar erlaubte das Verfassungsgericht Auslandseinsätze mit Zustimmung des Parlaments im Jahr 1994. Doch die öffentliche Aufregung über diesen Satz von Ex-Bundespräsident Horst Köhler sagt viel über die verkrampfte deutsche Debatte: „Meine Einschätzung ist, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren.“ Auch 20 Jahre nach dem Ende des Golfkriegs scheint der Krieg der Worte noch längst nicht beendet zu sein.

Von unserem Redakteur Christian Kunst