Cincinnati/Mainz

SPD-Fraktionschef Schweitzer über seine Erlebnisse im US-Wahlkampf: Trumps Gift bleibt

Knapp eine Woche lang ist der rheinland-pfälzische SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer in den US-Präsidentschaftswahlkampf eingetaucht. Zusammen mit seinem schleswig-holsteinischen Parteikollegen Ralf Stegner und weiteren Genossen reiste er durch den Swing State Ohio.

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Schweitzer unterhielt sich mit Vertretern beider Parteien, moderierte eine Veranstaltung mit der rechtspopulistischen Tea Party und besuchte einen Auftritt von Donald Trump. Eine einschneidende Erfahrung: „Trump wird gehen, aber das Gift wird bleiben“, ist Schweitzer überzeugt. Über seine Lehren aus dem amerikanischen Populismus und dem Wahlkampf spricht er im Interview mit unserer Zeitung:

Sie waren zu Beginn Ihrer Reise bei einer Trump-Veranstaltung. Er gilt in Deutschland als Bad Guy der Präsidentschaftswahl. Wie haben Sie ihn erlebt?

Trump ist tatsächlich so, wie er medial transportiert wird. Insofern ist er authentisch. Er liefert das, was die Menschen, die zu seinen Veranstaltungen kommen, suchen. Würde er sich moderater geben, wären viele wohl enttäuscht. Ich würde aber bestreiten, dass dieses gezeichnete Bild dem entspricht, wie er als Person ist und wie er im tatsächlichen politischen und wirtschaftlichen Leben agiert.

Wie haben Sie ihn aus Sicht eines deutschen Politikers wahrgenommen?

Das politische Koordinatensystem ist in den USA ein anderes als in Deutschland. Kanzlerin Merkel würde in den USA wohl als moderate Demokratin gelten. Nach europäischen Vorstellungen ist Trump ein Rechtspopulist. Das entspricht auch seinen Äußerungen. Die sind im negativen Sinn atemberaubend. Aber er hat damit bisher viel Erfolg. Und er hat die stolze republikanische Partei mit ihrer langen Tradition, die bis auf Abraham Lincoln zurückreicht, in ihren Grundfesten zerstört. Für viele Republikaner, die ich getroffen habe, geht es nach der Präsidentschaftswahl auch darum, was aus der republikanischen Partei wird, ob sie sich teilt, sich neu aufstellt oder sich von Trump emanzipiert.

Was ist Ihre Prognose?

Wenn er die Wahl nicht gewinnt, dann werden seine Verschwörungstheorien noch radikaler werden. Er wird eine Dolchstoßlegende aufbauen: Er wird sagen, dass die Niederlage nichts mit ihm, seinem Verhalten oder den Vorwürfen gegen ihn zu tun hat, sondern am Mangel an Loyalität unter den Republikanern, besonders im Establishment. Deshalb werden die Republikaner nach einer Niederlage nicht viel Zeit haben, sich zu sammeln und neu zu erfinden. Vermutlich werden sie aber zunächst in eine große Depression verfallen. Klar ist: Trump wird gehen, aber das Gift bleibt. Deshalb wird es Aufgabe der gesamten amerikanischen Demokratie sein, dieses Land wieder neu auszurichten.

Wie haben Sie die Zuschauer bei Trump wahrgenommen?

Das waren fast ausschließlich Weiße, bis zu 80 Prozent Männer, überwiegend älter als 50 Jahre, Mitglieder der Working class. Das sind abhängig Beschäftigte von großen Industrie- und Agrarunternehmen, die gerade in Ohio in den vergangenen Jahren ihren Job verloren haben oder dies befürchten. Sie waren früher auch für die Demokraten erreichbar. Jetzt setzen sie ihre Hoffnungen auf die völlig illusorischen Positionen Trumps. Er will die Globalisierung stoppen, Jobs aus China und Mexiko zurückholen und eine Mauer bauen. Es ist für einen Deutschen meiner Generation gruselig, wenn in einem Saal Tausende rufen: Bau die Mauer! Das hat mich sehr schockiert, weil die Amerikaner doch auf der richtigen Seite standen, als es um die deutsche Einheit und die europäische Freiheit ging. Trump steht für das exakte Gegenteil. Sollte er Präsident werden, dann müssen wir uns große Sorgen um die US-Außenpolitik machen.

Foto: Oakozhan – Fotol

Wie haben Sie sich gefühlt?

Es war eine sehr aggressive Veranstaltung. Es lag die Atmosphäre einer Wirtshausschlägerei in der Luft. Trump bastelt ja schon an der Entschuldigung für seine Niederlage. Hauptschuldige sind schon jetzt die sogenannten Mainstreammedien. Trump hat die Zuschauer richtiggehend aufgehetzt gegen die Kameraleute und Journalisten im Saal. Die Zuschauer haben sich regelmäßig umgedreht und aggressiv in Richtung der Journalisten gestikuliert und sie ausgebuht. Ich selbst sah nicht wie ein Trump-Anhänger aus und wurde als Journalist identifiziert. Für mich war das keine friedliche demokratische Veranstaltung. Zugleich habe ich ein großes Bedauern empfunden, weil ich ja weiß, dass nichts von dem, was Trump ankündigt, umsetzbar ist. Und die, die jetzt ihre letzte Hoffnung auf ihn setzen, werden zwangsläufig enttäuscht sein. Das ist das Kernproblem mit dem Populismus: Es werden Probleme benannt, aber keine tragfähigen Lösungen aufgezeigt. Eine solche Politik kann auf Dauer die Demokratie zerstören.

Ist das eine Stimmung wie am Ende der Weimarer Republik?

Mir geht dieser Vergleich, den manche Journalisten in den USA ziehen, zu weit. Aber ich sehe Übereinstimmungen in den Argumentationen von Populisten in den USA und Europa. Es gibt immer einen Schuldigen, eine große Verschwörung und die sogenannte Lügenpresse. Diesem Muster bedienen sich in Deutschland AfD und Pegida. In den USA kann man sehen, was passiert, wenn wir dem nicht Einhalt gebieten. Dort wurde diese Sicht seit Jahren in Blogs und Radiosendungen vorbereitet. Trump spielt damit nur auf besonders zynische Weise

Sie haben bei Trump ja eine klassische SPD-Klientel erlebt. Welche Lehre ziehen Sie daraus für die SPD mit Blick auf die AfD, die diese Wähler ja auch stark anzieht?

Das, was in den USA passiert, darf den Gewerkschaften und der demokratischen Linken in Deutschland nicht passieren: Sie dürfen diese Menschen nicht verlieren. Es darf überdies nicht sein, dass die Demokratie aus der Mitte der Gesellschaft angegriffen wird, wie dies Trump macht. Seine Anhänger glauben ja schon längst nicht mehr an die Rechtmäßigkeit des politischen Systems. Deshalb ist die Frage, über die wir in den USA viel gesprochen haben: Wie kann die Demokratie wieder geheilt werden?

Was ist Ihre Antwort?

Die wichtigste Antwort lautet, dass man den Menschen ihren Zorn nicht vorwerfen darf, dass man ihnen Wege aufzeigen und ihnen die Grundlage für ihren Zorn – ihre persönliche Hoffnungslosigkeit – nehmen muss. Diese Menschen haben das Gefühl, dass eigene Lebensentwürfe zerstört werden. Die Angst vor Verlust spüre ich auch bei uns. Es muss eine der Hauptaufgaben der deutschen Sozialdemokratie sein, dafür zu sorgen, dass Menschen die Möglichkeit bekommen, einen erfolgreichen Lebensweg aufzubauen. Es kommt also auf Bildung, fair bezahlte Jobs, eine gute Wohnsituation und gute Lebenschancen für Familien an. Politik in diesem Sinne entzieht dem Populismus den Nährboden.

Was können deutsche Politiker vom US-Wahlkampf lernen?

Es gibt in den USA eine richtige Graswurzelbewegung. Wahlkampf ist dort nicht Sache weniger Funktionäre, sondern vieler junger ehrenamtlicher Freiwilliger. Sie sind thematisch unheimlich fit und werfen sich mit Haut und Haaren in den Wahlkampf. Das ist ein zeitlich begrenztes Engagement, ohne dass sie sich für ihr ganzes Leben verpflichten müssten. Die Demokraten verstehen es sehr gut, ihre Themen auf wenige klare Punkte herunterzubrechen und für jede Zielgruppe zu adressieren. Ich denke: Eine solche Graswurzelbewegung können wir in Wahlkampfzeiten auf Deutschland übertragen. Für mich ist die Mitgliedschaft in der SPD weiterhin zentral, aber ich denke, wir müssen stärker die Menschen erreichen, die politisch interessiert, aber nicht in Parteien engagiert sind. Das Begeistern für die Demokratie gelingt mit dem US-Modell besser.

Das Gespräch führte Christian Kunst