Sozialstaat: Fünfte Säule braucht Pflege

Foto: DPA/Oliver Berg

Lange Nachtsitzungen hinter verschlossenen Türen lagen hinter den Politikern, als der Bundestag am 22. April 1994 die Einführung der Pflegeversicherung beschloss. Der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) hatte das Projekt gegen den Widerstand der Wirtschaft, des Koalitionspartners FDP und auch gegen Vertreter seiner eigenen Partei verteidigen müssen.

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Von Claudia Rometsch

20 Jahre später stößt die Pflegeversicherung auf breite Akzeptanz. „Die Rechnung ist aufgegangen“, lobt der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU). Doch die in die Jahre gekommene Versicherung ist reif für Korrekturen.

Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Pflegeversicherung zeichnete sich bereits vor 20 Jahren deutlich ab. Familien und Kommunen waren mit den steigenden Kosten für die Pflege von immer mehr alten Menschen zunehmend überfordert. Schon damals kostete ein Platz im Seniorenheim bis zu 5000 Mark im Monat, also weit mehr, als die meisten Rentner zur Verfügung hatten. Die Folge: Rund zwei Drittel von ihnen waren auf Sozialhilfe angewiesen. Hier sollte die Pflegeversicherung Abhilfe schaffen.

Ein Kompromiss ermöglichte schließlich die Zustimmung im Bundestag: Als Kompensation für die Übernahme der Hälfte des Beitrags durch die Arbeitgeber wurde ein bezahlter Feiertag abgeschafft, in den meisten Bundesländern der Buß- und Bettag. Rund eine Million Menschen konnten 1995 erstmals Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen. Heute sind rund 2,5 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig.

„Die Pflegeversicherung hat eine gigantische Weiterentwicklung der Pflege in Deutschland in Gang gesetzt“, sagt Laumann, der von 2005 bis 2010 Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen war. Auch der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, sagt, die Versicherung sei die Grundlage dafür gewesen, dass Pflegeeinrichtungen geschaffen und eine flächendeckende Versorgung mit Pflegediensten aufgebaut werden konnte. Allein seit dem Jahr 2000 entstanden gut 330 000 neue Jobs im Pflegebereich.

Das Ziel, pflegebedürftige Menschen aus der Sozialhilfe zu holen, sei mit der Pflegeversicherung allerdings nur zum Teil erreicht, kritisiert die Vorsitzende des Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege, Renate Gamp. „Seit Jahren gibt es die alarmierende Tendenz, dass Pflegebedürftige immer häufiger nicht selbst für die Kosten ihrer Versorgung aufkommen können.“ Nach Angaben des Statistischen Bundesamts erhielten 439 000 Menschen in Deutschland im Jahr 2012 Hilfe zur Pflege, also Geld vom Staat, um ihre Pflegekosten zu bezahlen.

Ein Kernproblem liegt nach Ansicht von Experten darin, dass die Preise der Pflegeanbieter über die Jahre stetig gestiegen sind, die Versicherungsleistung jedoch nicht entsprechend angehoben wurde. Wenn sich aber Pflegebedürftige für ihre Beiträge immer weniger Pflege leisten könnten, gerate die Akzeptanz der Pflegeversicherung ins Wanken, warnt Meurer.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) plant deshalb eine Reform der Pflegeversicherung. Der von ihm vorgelegte Entwurf sieht eine Erhöhung der Geld- und Sachleistungen in allen Pflegestufen um 4 Prozent vor. Der weitgehend auf körperliche Einschränkungen beschränkte Begriff der Pflegebedürftigkeit soll um geistige Defizite erweitert werden. Es sind mehr Leistungen in der häuslichen Pflege und für Demenzkranke geplant sowie ein Vorsorgefonds. Die auf rund 3,5 Milliarden Euro bezifferten Kosten will Gröhe durch höhere Pflegebeiträge finanzieren: Sie sollen in zwei Schritten um 0,5 Prozent steigen auf dann 2,55 Prozent, für Kinderlose um 2,8 Prozent.

Die grüne Opposition indes bezweifelt, dass das Geld für die zweite Stufe der Reform reichen wird. Allein die Gleichstellung der Demenzkranken werde Berechnungen zufolge jedes Jahr mindestens 3 Milliarden Euro kosten, sagte die pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Elisabeth Scharfenberg. Einen von Gröhe gestarteten Testlauf für den Umbau der Pflegeversicherung bezeichnete sie als „Zeitschinderei“. Bei dem Modellvorhaben werde nichts Neues herauskommen, erklärte Scharfenberg: „Mir ist unverständlich, warum man zaudert und zögert.“


Pflegeleistungen der Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung wurde zum 
1. Januar 1995 als neuer Zweig der Sozialversicherung eingeführt. Träger sind die Pflegekassen, die unter dem Dach der Krankenkassen angesiedelt sind. Die Pflegeleistungen werden nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit bis zu bestimmen Höchstbeträgen gewährt. Die Einstufung in eine der Pflegestufen erfolgt durch ein medizinisches Gutachten. Wer keinen ambulanten Pflegedienst in Anspruch nimmt, erhält ein monatliches Pflegegeld. Dabei liegt der Höchstsatz für die höchste Pflegestufe III („schwerste Pflegebedürftigkeit“) bei 700 Euro. Die genaue Verwendung des Pflegegeldes ist der pflegebedürftigen Person beziehungsweise ihren Angehörigen freigestellt.

Bei der Nutzung ambulanter Pflegedienste dagegen rechnen die Dienste direkt mit der Pflegeversicherung ab, eine Auszahlung der sogenannten Pflegesachleistung an den Pflegebedürftigen ist nicht möglich. Hier liegt der monatliche Höchstsatz bei Pflegestufe III bei 1550 Euro. Auch eine Kombination aus Pflegesachleistung und Pflegegeld ist möglich, wenn der Höchstbetrag der Sachleistung nicht voll ausgeschöpft wird.

Für teilstationäre Pflege, das heißt die stundenweise Betreuung in einer Einrichtung, können weitere Leistungen gewährt werden. Vollstationäre Pflege ist gegenüber der häuslichen und teilstationären Pflege nachrangig. Bei Pflegebedürftigen mit Pflegestufe III wird die Notwendigkeit der vollstationären Pflege aber vorausgesetzt. In diesem Fall zahlt die Pflegeversicherung an das Pflegeheim eine monatliche Pauschale, der Höchstsatz liegt für Härtefälle bei 1918 Euro.

Für die Pflege demenzkranker Menschen gelten höhere Pauschalen. Auch ohne Pflegestufe haben Demenzkranke seit 2008 einen Anspruch (Pflegestufe 0): Dieser liegt bei 120 Euro bei einer Betreuung durch Angehörige und bei 225 Euro bei einer Betreuung durch einen Pflegedienst.