Berlin

Sozialdemokraten auf grosser Fahrt

SPD-Vizechef Olaf Scholz konnte in den vergangenen Monaten grantig werden, wenn ihn ein Journalist zu fragen wagte, warum die SPD als größte Oppositionspartei eigentlich so wenig von der Schwäche der Regierung und der Selbstzerfleischung der Linken profitiere. Dafür hatte die SPD selbst keine Erklärung.

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Berlin – SPD-Vizechef Olaf Scholz konnte in den vergangenen Monaten grantig werden, wenn ihn ein Journalist zu fragen wagte, warum die SPD als größte Oppositionspartei eigentlich so wenig von der Schwäche der Regierung und der Selbstzerfleischung der Linken profitiere. Dafür hatte die SPD selbst keine Erklärung. Nun haben die Genossen die 30-Prozent-Marke in einer Emnid-Umfrage übersprungen. Ihr aktuelles Hoch hat eine Reihe von Gründen.

1. Erneuerung über die Länder: In der zweiten Kanzlerschaft der Regierung Merkel erodiert die Macht der CDU in den Ländern: NRW wird rot-grün regiert. In Hamburg hat die SPD die absolute Mehrheit errungen. In ihrem Stammland Baden-Württemberg wurde die CDU aus der Regierung gejagt. Zwar muss sich die SPD dort mit der Rolle des Juniorpartners hinter den Grünen begnügen, ihr gelingt es aber, als Regierungspartei wahrgenommen zu werden. In Berlin steht am kommenden Sonntag ein souveräner Sieg des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit bevor. Er wird sich voraussichtlich seinen Koalitionspartner aussuchen können. In Schleswig-Holstein kann sich der SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig für das kommende Jahr ernsthaft Chancen auf einen Wahlsieg ausrechnen. Der neue Mut der SPD reicht sogar so weit, dass sie ernsthaft daran glaubt, 2013 die Vormacht der CSU in Bayern zu brechen. Dafür schickt sie den beliebten Münchner Oberbürgermeister Christian Ude ins Rennen.

2. Beliebtes Personal: In der Euro-Krise erinnern sich die Deutschen daran, dass die Große Koalition eine gute Regierung war und das Land geschickt durch die weltweite Finanzkrise gesteuert hat. Neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten daran Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ihren Anteil. Dies honoriert das Wahlvolk nun. Es gibt in der Öffentlichkeit offenbar auch eine Sehnsucht nach dem geräuschlosen, geschlossenen Agieren der Koalition in der ersten großen Finanzkrise. Damals waren die Kanzlerin und der Finanzminister an die Öffentlichkeit getreten und hatten eine Garantie für die Spareinlagen der Bevölkerung abgegeben. Zurzeit erhält das Volk vor allem Signale der Verunsicherung.

3. Peer Steinbrück: Die Tatsache, dass der scharfzüngige frühere Finanzminister aktuell als Favorit für die Rolle des nächsten SPD-Kanzlerkandidaten gehandelt wird, macht die SPD stärker. Die Beispiele Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zeigen, dass die SPD in der breiten Bevölkerung als umso wählbarer gilt, je unbeliebter der Kanzlerkandidat in den eigenen Reihen ist.

4. Schwäche der anderen: Die SPD ist auch der einäugige König unter den Blinden. Die Regierungsparteien wirken zerrissen. Die Liberalen stecken in einer historischen Krise. Es darf bezweifelt werden, dass das riskante Spiel mit einer möglichen Pleite Griechenlands von Parteichef Philipp Rösler aufgeht und den Liberalen den gewünschten Auftrieb beschert. Auch CSU-Chef Horst Seehofer ringt um Profil. Seine Störfeuer in den Beratungen der Pflegereform laufen nach dem gleichen Muster ab wie bei der Gesundheitsreform. Punkte kann er damit offenbar nicht mehr sammeln. Auch die anderen Oppositionsparteien schwächeln gerade. Die Linken sind mit gründlicher Selbstdemontage beschäftigt. Und die Grünen haben nach der Befriedung der Atomfrage und dem glücklosen Agieren ihrer Fraktionschefin Renate Künast im Berliner Wahlkampf an Glanz verloren.

5. Von ein paar gestiegenen Umfragewerten bis ins Kanzleramt liegt allerdings noch ein steiniger Weg vor den Sozialdemokraten. Sollte die schwarz-gelbe Bundesregierung tatsächlich an der Euro-Frage auseinanderbrechen, könnte sich die SPD noch nicht wirklich regierungsfähig präsentieren. Sie steckt mitten in einer heftig umstrittenen Parteireform. Auch konzeptionell sind viele Fragen offen. So wurde die Debatte um die Rente mit 67 bislang unterdrückt. Sie war immerhin von einem SPD-Arbeitsminister in der Koalition eingeführt worden.

6. Auch die Machtfrage in der Partei wird für Sprengstoff sorgen, wenn es ernst wird. Selbst wenn sich die Genossen auf einen Kanzlerkandidaten Steinbrück einigen, ist doch der Zusammenhalt der Troika aus Parteichef Sigmar Gabriel, Steinbrück und Steinmeier labil. Zumal Trios an der Spitze der SPD sich bislang immer gegenseitig zerfleischten. Ein Spitzengenosse aus den Ländern zeigt sich äußerst skeptisch, ob die drei Männer besser miteinander kooperieren, als dies bei früheren SPD-Machttrios der Fall war: „Ich hoffe, dass sie es schaffen“, sagte er. Im Willy-Brandt-Haus herrscht ebenfalls nicht nur eitel Sonnenschein: Das Verhältnis von Parteichef Gabriel und seiner Generalsekretärin Andrea Nahles gilt als belastet.

Von unserer Berliner Korrespondentin Eva Quadbeck