Malmö

Song Contest: Dracula jagt die Discoqueen

Wer holt sich die Krone beim 58. Eurovision Song Contest – die barfüßige dänische Elfe Emmelie, der in höchsten Tonlagen jaulende „Graf Dracula“ aus Rumänien oder vielleicht doch die deutsche Natalie? Die Frontfrau von Cascada hat es als blonde Discoqueen ja auch schon auf einen anderen Thron geschafft.

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Aber vor dem Finale führt die 20-jährige Emmelie de Forest mit „Only teardrops“ so überlegen auf den Listen der Buchmacher und Experten, dass vielleicht nur eine schwache Tagesform oder ein böses Malheur ihr den Sieg noch nehmen können. „Auf die Fresse fliegen“, beschrieb Natalie Horler in einem Interview, wie so ein Malheur für sie beim Start für Deutschland als Nummer 11 in der Malmö-Arena aussehen könnte.

Die 31-Jährige aus Bonn wird mit dem Dance Song „Glorious“ durchaus im vorderen Feld erwartet. Aber für eine Wiederholung des rauschenden Osloer Eurovisionserfolges 2010 von Lena Meyer-Landrut dürfte es wohl nicht reichen. Zu sehr ein Aufguss des letzten schwedischen Siegertitels „Euphoria“ von Loreen, ist auch in Malmö immer wieder zu hören.

Einige heben sich von der braven Konkurrenz ab

„Ach, ich glaube, die meisten Songs hier sind nicht mit Mozart zu vergleichen“, kontert Horler Meinungen, dass es bei dem Wettbewerb um allerlei anderes als musikalische Qualität gehe. Schrill gegen brav zum Beispiel. Von etlichen netten, adretten jungen Sängern, die man zwei Sekunden nach dem „Thank you, Europe, I love you“ vergessen hat, hebt sich auf jeden Fall der rumänische Countertenor Cezar („It's my life“) ab.

Optisch als eine Art Graf Dracula im blutrot eingetauchten Bühnenbild und akustisch mit einer in die höchsten Falsetttöne hochgeschraubten Stimme. Bunt oder bescheuert oder beides: Die kleine Finnin Krista Siegfrids hat es mit ihrem musikalischen Wunsch „Marry me“ beim zweiten Halbfinale am Donnerstag genauso ins Finale geschafft wie der isländische Wikingernachfahre mit dem schweren Namen Eythór Ingi Gunnlaugsson („Ég á líf“).

Und vorher schon die dänische Superfavoritin samt ihrer ebenfalls hoch gehandelten Konkurrentin Margaret Berger aus Norwegen im atemberaubenden Eiskönigin-Look („I feed you my love“) . Schweden ist im Finale eine starke Hausmacht

Zusammen mit dem als Gastgeber automatisch qualifizierten Schweden Robin Stjernberg („You“) stellen die Nordeuropäer unter den 26 Finalteilnehmern eine wahrlich starke Hausmacht in der recht kleinen Malmö-Arena.

Umgekehrt sind alle Länder aus Ex-Jugoslawien in den Halbfinals weggestimmt worden. Das dürfte einiges für nationale Sympathien bei der Zuschauerwertung bis zu den von allen ersehnten „douze points“, der Höchstpunktzahl zwölf, bedeuten. Aber was? „Bis zum Ende weiß keiner, wie es ausgeht“, meint Natalie Horler schwer widerlegbar zu all den Expertentipps, Wettlisten und Sterndeutern in Sachen Siegchancen. Dass der deutsche Eurovisionsveteran Ralph Siegel (67) für den von ihm komponierten Beitrag San Marinos die Sängerin Valentina Monetta („Crisalide“) mit einer mächtig von innen beleuchteten Kristallkugel vor dem Bauch ausstatten ließ, half jedenfalls nichts.

Das Halbfinale war Endstation für die 18. Siegel-Komposition bei diesem europäischen Wettbewerb, den man früher „Schlagerfestival“ genannt hat. Heute sagt auch in Deutschland jeder „Song Contest“, und unter dem Strich setzten sich in Malmö unter den 33 Beiträgen der ersten Halbfinaldurchgänge eher die netten als die ausgefallenen durch.

So wird den 125 Millionen erwarteten TV-Zuschauern ein Hip-Hop- Duo aus Montenegro in Raumanzügen mit Innenbeleuchtung im Helm ebenso vorenthalten wie die Schweizer Gruppe Takasa von der Heilsarmee, bei der ein 95-Jähriger den Bass zupfte.

Von Thomas Borchert