Hoyerswerda

Sieben Tage in Hoyerswerda: Vor 25 Jahren eskalierte die Gewalt gegen Ausländer

Eine Stadt im Ausnahmezustand: In Hoyerswerda kapitulierte 1991 der Staat vor rechtsextremer und fremdenfeindlicher Gewalt. Die Polizei bekam die Situation kaum mehr in den Griff. Neonazis warfen unter Beifall Hunderter Schaulustiger Brandsätze und Steine gegen zwei Heime, in denen Ausländer untergebracht waren. Am Ende mussten die Opfer die Stadt verlassen. Foto: dpa
Eine Stadt im Ausnahmezustand: In Hoyerswerda kapitulierte 1991 der Staat vor rechtsextremer und fremdenfeindlicher Gewalt. Die Polizei bekam die Situation kaum mehr in den Griff. Neonazis warfen unter Beifall Hunderter Schaulustiger Brandsätze und Steine gegen zwei Heime, in denen Ausländer untergebracht waren. Am Ende mussten die Opfer die Stadt verlassen. Foto: dpa

Sieben Tage haben sie zugeschaut und Beifall geklatscht, mitgemacht oder weggesehen. Dann sind die Hoyerswerdaer die 230 Ausländer in ihrer Stadt los. Die Neonazis, die Steine und Molotowcocktails gegen ein Flüchtlingsheim und ein Wohnheim mit rund 120 Vertragsarbeitern aus Mosambik und Vietnam geworfen hatten, feiern ihren Sieg später, prahlen, dass es ihnen gelungen ist, Hoyerswerda zur ersten „ausländerfreien“ Stadt der Bundesrepublik zu machen. Die Staatsgewalt hatte vor ihnen kapituliert – nachhaltig.

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Es wird fast 23 Jahre dauern, bis es Politiker wieder wagen, Asylbewerber in der ostsächsischen Stadt unterzubringen. Fast ein Vierteljahrhundert wird an Hoyerswerda vorüberziehen, bis sie ein Mahnmal aufstellen, um an die pogromartigen Ereignisse vom 17. bis 23. September 1991 mit 32 Verletzten zu erinnern – an den Auftakt einer Serie gewalttätiger Aktionen gegen Ausländer in ganz Deutschland.

Mosambikaner erkannte Kollegen

Vom ersten fremdenfeindlichen Vorfall am Dienstag, 17. September, erfährt der Hoyerswerdaer Journalist Uwe Schulz noch aus den Medien. Mindestens acht jugendliche Neonazis hatten vietnamesische Händler angegriffen. Die Opfer flüchten in das Heim für Vertragsarbeiter. Schulz ist damals 20 Jahre alt und arbeitet als Fotograf für die Lokalzeitung „Hoyerswerdaer Wochenblatt“. Er ahnt nicht, dass dieser Übergriff nur der Anfang ist.

An den folgenden Tagen versammeln sich immer mehr Neonazis und deren Unterstützer vor dem Heim für die Vertragsarbeiter aus Vietnam und Mosambik, die zu DDR-Zeiten zur Verstärkung unterbesetzter Arbeitsbereiche angeworben wurden. Vertragsarbeiter waren normalerweise für eine begrenzte Zeit angestellt – eine dauerhafte Integration der Menschen war nicht vorgesehen. Auch das rächt sich jetzt, im Herbst 1991. Vor dem Heim spitzt sich die Situation zu. „Schaulustige gingen schon am Nachmittag zum Heim und warteten darauf, dass etwas passiert“, erinnert sich Schulz.

Als die Situation endgültig eskaliert, hat Uwe Schulz Wochenenddienst, auch an dem Wochenende danach, als linke Demonstranten und Polizisten in Hoyerswerda aneinandergeraten. Schulz fotografiert auf Volksfesten, dem Erntedankfest, bei den rassistischen Krawallen und den linken Gegendemonstrationen. „Es war skurril. An dem einen Ort flogen Steine und Polizisten setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, nur fünf Kilometer weiter feierten die Menschen das Leben, tanzten und hatten Spaß – beides war an diesen Wochenenden meine Stadt“, erzählt der Journalist.

Asylbewerber können den Hass nicht verstehen, der ihnen besonders in den neuen Bundesländern entgegengebracht wird. Mit einem Streit zwischen jungen Rechtsradikalen und vietnamesischen Zigarettenverkäufern beginnen am 17. September 1991 die fremdenfeindlichen Übergriffe in Hoyerswerda. Der siebentägige Ausnahmezustand richtet sich gegen ausländische Vertragsarbeiter und Asylbewerber. Foto: dpa
Asylbewerber können den Hass nicht verstehen, der ihnen besonders in den neuen Bundesländern entgegengebracht wird. Mit einem Streit zwischen jungen Rechtsradikalen und vietnamesischen Zigarettenverkäufern beginnen am 17. September 1991 die fremdenfeindlichen Übergriffe in Hoyerswerda. Der siebentägige Ausnahmezustand richtet sich gegen ausländische Vertragsarbeiter und Asylbewerber.
Foto: dpa

Am 20. September werfen Rechtsradikale Steine und Brandsätze gegen das Wohnheim der Vertragsarbeiter. Schaulustige sehen sich das Spektakel an, einige klatschen Beifall. „Ich habe nur wenige Skinheads gesehen, nicht mehr als 15. Die meisten waren unsere Nachbarn, Leute, die mit uns gearbeitet haben und die in Hoyerswerda gewohnt haben, viele Jugendliche, und die Eltern haben ihnen Mut gemacht, gebrüllt und Beifall geklatscht“, sagt später ein mosambikanischer Vertragsarbeiter im Dokumentarfilm „Ich habe viele erkannt“ von Helmut Dietrich, Lars Maibaum und Julia Oelkers. Das Argument, dass die hohe Arbeitslosigkeit in der ehemaligen Braunkohlestadt Hoyerswerda ein maßgeblicher Grund für die Übergriffe waren, lässt der Augenzeuge nicht gelten. „Die Betriebszeitung der Laubag (Lausitzer Braunkohle AG) hatte angekündigt, uns alle nach Hause zu schicken. Jeder bei der Laubag wusste das. Es gab keinen Grund, uns anzugreifen.“

Später bringt man die Vertragsarbeiter aus der Stadt, einige davon in Bussen mit Polizeibegleitung. Kurz darauf ziehen die Neonazis weiter, zum Flüchtlingsheim der Stadt. Wieder fliegen Steine und Brandsätze. Am 23. September dann verlassen die letzten Flüchtlinge Hoyerswerda – in Begleitung eines Spezialeinsatzkommandos. Die Filmautorin Julia Oelkers war damals Studentin im ehemaligen Westberlin. „Die Situation, dass tagelang Heime belagert werden und die Situation schließlich damit endet, dass die Flüchtlinge aus der Stadt gebracht werden, statt die Angreifer zu stoppen, hat mich schwer erschüttert. Ich dachte, ich lebe in einem anderen Land“, sagt Oelkers heute.

Polizeikräfte blockieren am 23. September 1991 Straßen in Hoyerswerda. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Foto: dpa
Polizeikräfte blockieren am 23. September 1991 Straßen in Hoyerswerda. Hoyerswerda war am 17. September 1991 der erste Ort in Deutschland, in dem nach der Wiedervereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte.
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Wie ein Opfer die Ereignisse erlebt hat und wie es die Übergriffe bewertet, hat Oelkers mit Kollegen in einem 25-minütigen Film dokumentiert, der 1992 ausgestrahlt wurde. In den Jahren danach besuchte sie immer wieder Hoyerswerda, filmte, sprach mit den Menschen und beobachtete die Wandlungen der Stadt. In einer stetig wachsenden Internetdokumentation, die in den nächsten Tagen startet und bis zum Jahrestag der fremdenfeindlichen Übergriffe von Rostock-Lichtenhagen (22. bis 26. August 1992) laufen soll, veröffentlicht sie die Ergebnisse ihrer Recherchen – mit bisher unveröffentlichtem Material. „Wir wollten die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen“, sagt Oelkers, die kritisiert, dass es in der Berichterstattung zu Hoyerswerda meist nur um die Angreifer ging, kaum um die Opfer, von denen nach den Ereignissen viele in ihre Heimatländer abgeschoben wurden.

„Die Stadt war wie ein Kriegsgebiet. Kamerateams kamen in die Stadt, ganze Horden von Journalisten“, erinnert sich Schulz. Als junger Fotoreporter beobachtet er damals Kollegen, die schon auf Ursachenforschung gehen, als die Krawalle noch in vollem Gange sind, und ernsthaft recherchieren. Und ein TV-Team, das Hoyerswerdaern 100 Mark anbietet, wenn sie vor laufender Kamera einen Hitler-Gruß zeigen. „Das war meine wichtigste journalistische Lehrstunde.“

Die Erinnerung tut weh

25 Jahre nach den rassistischen Übergriffen ist Hoyerswerda noch immer mit der Aufarbeitung der Ereignisse des Herbstes 1991 beschäftigt. Julia Oelkers bezeichnet die Erinnerungskultur in der Bevölkerung als schwierig. „Es gibt einen Hang zur Verdrängung“, sagt sie. Lange musste etwa die Initiative Pogrom 91 dafür kämpfen, dass mit einem Mahnmal an die Ausschreitungen erinnert wird.

Auch die Frage, warum sich der Hass 1991 im ostsächsischen Hoyerswerda entlud, ist 25 Jahre nach den Ausschreitungen nicht komplett geklärt. Christoph Wowtscherk hat eine Doktorarbeit über diese Frage geschrieben, mehrere Jahrzehnte dafür in den Blick genommen. Die 1957 gebaute Neustadt von Hoyerswerda mit ihren Wohnblocks hat seiner Meinung nach die Entstehung eines tragfähigen sozialen Gefüges der vielen Tausend neuen Einwohner erschwert. Auch die Abschottung der Vertragsarbeiter in der DDR verhinderte Integration. „Vorurteilsbelastetes und fremdenfeindliches Handeln ist seit Beginn der Aufnahme ausländischer Arbeitskräfte dokumentiert“, schreibt Wowtscherk auf Anfrage. Seine Recherchen ergaben, dass es rechtsextreme, NS-affine Jugendszenen in Hoyerswerda spätestens ab der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre gab. „Diese längerfristigen Ursachen wurden durch die sozialen Verwerfungen ab 1990 verdichtet und verstärkt.“

Wowtscherk hält es für gerechtfertigt, die Ausschreitungen Pogrom zu nennen, interpretiert sie aber als sozialen Protest. „Die zunehmende Arbeitslosigkeit führte zu Verunsicherung über die eigene Zukunft. Ein tragfähiges soziales Gemeinwesen gab es in Hoyerswerda nicht. Solidarität gegenüber ‚Fremden’ oder Asylsuchenden lag in dieser Situation nicht im Vorstellungsbereich vieler (nicht aller) Menschen“, schreibt Wowtscherk.

Vor zwei Jahren nahm Hoyerswerda die ersten 120 Flüchtlinge seit den Ereignissen im Herbst 1991 auf. „Ich fürchtete damals, dass wieder etwas passiert, denn eine Neonaziszene gibt es in unserem Landkreis (Bautzen) durchaus noch“, sagt Uwe Schulz. Passiert ist wenig – für sächsische Verhältnisse in diesen Zeiten: Nein-zum-Heim-Demonstrationen, eine kaputte Fensterscheibe, ein Brandanschlag auf eine Notunterkunft.

Von unserem Redakteur Stefan Hantzschmann

Die Internetdoku von Julia Oelkers finden Sie unter der Adresse www.hoyerswerda-1991.de