Keine Villa

Servus, Horst Haitzinger: RZ-Karikaturist geht mit 80 Jahren in den Ruhestand

Von Michael Defrancesco
Seit Jahrzehnten hat Horst Haitzinger (80) die Menschen mit seinen Karikaturen, aber auch mit seinen Ölgemälden begeistert.
Seit Jahrzehnten hat Horst Haitzinger (80) die Menschen mit seinen Karikaturen, aber auch mit seinen Ölgemälden begeistert. Foto: Roland Eckl

Horst Haitzinger (80) lebt in einem Reihenhaus irgendwo im Norden von München. Eine Wohnung hat er für sich und seine Frau hergerichtet, übern Flur liegt die zweite kleine Wohnung: sein Atelier. Wir besuchen den legendären Karikaturisten aus einem Grund, der für all seine Fans ein trauriger ist: Horst Haitzinger will den Zeichenstift niederlegen. Am 30. November erscheint seine letzte Karikatur in unserer Zeitung. Wir haben ihn in München besucht und mit ihm über seinen Abeschied gesprochen.

Lesezeit: 8 Minuten
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Für Ihre Fans ist der November ein trauriger Monat: Zum Monatsende hören Sie auf.

Ja, ich bin ehrlich gesagt froh, nicht mehr zu allem und jedem eine Meinung haben zu müssen. Ich habe das Gefühl, dass die Politik mittlerweile so kompliziert ist, dass sie sich einer Vereinfachung entzieht. Aber davon lebt die Satire, die Karikatur oder das Kabarett. Ich denk mir oft bei Kabarettsendungen: „Wenn du über die Pointe zweimal nachgedacht hättest, würdest du sie nicht bringen“ – weil sie einfach so falsch ist. Aber man nimmt das gar nicht mehr wahr aufgrund des Tempos, in dem unsere Zeit lebt. Ich bekomme mit zunehmendem Alter immer mehr Skrupel und haue nicht mehr einfach drauf und schaue hinterher, was man getroffen hat.

Altersmilde? Owei.

Ja, owei, da sagen Sie was. Altersmilde ist tödlich für einen Karikaturisten. Altersmilde und die Frage: „Was würde ich an der Stelle dessen tun, den ich gerade zeichne?“ (lacht) Wenn Sie altersmilde sind, können Sie nur noch Schrebergärtner werden.

Gerade haben wir 30 Jahre Mauerfall gefeiert: Strengen Jahrestage Sie an?

Ehrlich gesagt: Gedenktage sind ein Horror. Denn ich habe ja schon alles abgehandelt, als damals die Geschichte passiert ist. Die ganze politische Geschichte wiederholt sich ja immer, es ist eine stetige Abfolge von Wahlen, Korruption, Rücktritten. Es gab nur sehr wenige wirkliche Unterbrechungen in meiner Karriere, und das waren die Wiedervereinigung und der Zusammensturz des Ostblocks. Das waren wirklich Ereignisse, die so gigantisch waren, dass man mit der Satire nicht mehr hinterherkam. Alles andere sind unendliche Varianten vom Immergleichen – mit wechselnden Personen.

So etwas wie der Mauerfall oder die Wiedervereinigung: Hat Sie das überrascht, oder haben Sie es geahnt?

Nein, da hab ich nichts geahnt. Im Gegenteil. Ich habe mich lange über die lustig gemacht, die von der Wiedervereinigung sprachen. Heute schäme ich mich dafür.

Wann sind Sie am besten drauf: Wenn Sie sofort eine Idee zu einer Karikatur haben, oder wenn es zäh läuft?

Die Frage ist sehr berechtigt. Wenn mir nix einfällt, bin ich unausstehlich und unansprechbar. Zuerst werde ich nervös, weil ja die Zeit drängt. Wenn ich bis 16 Uhr keine Karikatur geschickt habe, dann werden die Redaktionen ungeduldig. Und dann habe ich vielleicht eine Idee, aber ich weiß nicht, ob die jeder kapiert oder nur ich selbst. Folgen alle meinen Gedankengängen? Meine Frau ist dann oft die erste Instanz – wenn sie es kapiert, dann ist es gut.

Oder wenn sie sagt: „Horst, das ist zu böse.“

Böse darf es sein, wenn es noch einen charmanten Schmunzler hat. Böse allein um des Bösen Willen bin ich nicht. Ganz wichtig ist auch, dass man nichts erfindet. Ich sage gern: „Der Karikaturist darf aus einer Mücke einen Elefanten machen, aber die Mücke sollte da und real sein. Wenn die erfunden ist, wird es unsachlich.“

„Ich bin froh, nicht mehr zu allem eine Meinung haben zu müssen“, sagt Karikaturist Horst Haitzinger. Seit 1976 hat er für unsere Zeitung gezeichnet, nun geht er in Rente.
„Ich bin froh, nicht mehr zu allem eine Meinung haben zu müssen“, sagt Karikaturist Horst Haitzinger. Seit 1976 hat er für unsere Zeitung gezeichnet, nun geht er in Rente.
Foto: Roland Eckl

Mussten Sie sich schon entschuldigen für eine Ihrer Karikaturen?

(überlegt) Ein einziges Mal. Das war auch gar nicht absichtlich. Damals spitzte sich die Engholm-Barschel-Geschichte zu. Und ich schickte gegen Mittag eine Karikatur los, in der Barschel in einem Müllcontainer entsorgt wird. Das war eine rein politische Metapher. Damals hatte ich kein Fax, sondern ich habe die Kopien meiner Karikaturen per Eilpost in die Redaktionen geschickt. Ich war also fertig, alles war im Postkasten und weg – und ich höre zu Hause noch mal Nachrichten und höre, dass Barschel sich umgebracht hat. Da wurde mir heiß, das können Sie mir glauben – auf einmal bekam meine Karikatur einen völlig neuen Kontext. Ich habe wie ein Wilder herumtelefoniert und versucht, die Redaktionen zu stoppen, dies zu drucken. Das wäre ja monströs gewesen – und so war es gar nicht gemeint.

Sie hören die Nachrichten immer noch im Radio?

Ja. Mein Tagesablauf ist von schöner Gleichmäßigkeit. Ich schlafe bis 9 Uhr, dann höre ich die Nachrichten im Radio, frühstücke dabei und überlege mir, welche Nachricht so wichtig ist, dass mir dazu etwas einfallen muss. Dann sitze ich mit dem Skizzenpapier da, notiere Stichworte, suche nach Metaphern. Gegen 12 Uhr mittags möchte ich schon wissen, wo es thematisch langgeht. Wenn ich bis 14 Uhr keine Idee habe, fange ich an, nervös zu werden.

Haben Sie keine Schublade für den Notfall?

In meinen ersten drei Wochen als Karikaturist hatte ich eine Notfallschublade, aber so etwas mache ich schon ewig nicht mehr.

Sind Sie immer zufrieden mit dem, was Sie losschicken?

Manchmal zweifele ich da an meinem Urteilsvermögen. (lacht) Es kam schon vor, dass ich nicht ganz zufrieden war – und alle Leute lachten und beglückwünschten mich. Und dann dachte ich ein anderes Mal, ich hätte den großen Wurf gezeichnet und die Republik würde mich feiern, und keiner hat reagiert. (lacht)

Haben Sie eine Mission beim Zeichnen? Wollen Sie das große Rad drehen und die Welt verändern?

Nein, vom großen Rad halte ich mich fern. Ich bin froh, wenn ich kompetent an einem kleinen Rädchen drehe und Beobachterstatus habe. Den Größenwahn, die richtige Meinung gepachtet zu haben, habe ich nicht. Ich bin ein nachdenklicher Mensch, ja. Und das Ergebnis dieser Nachdenklichkeit findet sich in meinen Karikaturen. Aber immer unter dem Vorbehalt „Irrtum möglich“.

„Also abgemacht, wir bleiben sachlich!“ (1976 – Die erste Haitzinger-Karikatur, die in unserer Zeitung erschien)

Jung Siegfried und jede Menge Hagen! (1985 – Haitzinger liebt Metaphern aus Sagen)

„Castor, Opa, nicht Castro!“ (1996 – Eine der persönlichen Lieblingskarikaturen von Horst Haitzinger)

Frei nach Georg Christoph Lichtenberg (1994 – Regierung wie Opposition sind angeschlagen)

Homoehe in Kraft (2001 – Eine der persönlichen Lieblingskarikaturen von Horst Haitzinger)

Der Sonderzug aus Pankow (1989 – Immer wieder überholt die Realität die Satire)

„Hier bin ich, Freunde!“ (1998 – Zur Einführung der Telekom-Aktie, die nicht so gut startete wie erwartet)

Darf Satire alles?

Eben nicht. Das ist der Spruch, den der ansonsten sehr kluge Tucholsky garantiert nicht so gemeint hat. Eine Satire, die alles darf, läuft so ins Leere wie eine, die nichts darf. Satire heißt für mich, dass ich Grenzen nur verletzen kann, wenn ich Grenzen wahrnehme und anerkenne. Was Böhmermann mit bestimmten Gedichten macht, ist nicht meins, das ist für mich die grenzenlose Variante.

Sie sprechen das Gedicht an, das er über den türkischen Präsidenten gemacht hat?

Genau. Ich würde nie eine Karikatur mit Erdogan und Ziegen zeichnen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das ist nicht lustig – und ich fahnde auch vergebens nach Sinn.

Sie haben schon Konrad Adenauer gezeichnet, Ihr erstes Titelbild hatten Sie 1958 im „Simplicissimus“. Gab es in all den Jahren einen Lieblingspolitiker?

Kurzfristig gibt’s die immer, aber irgendwann hängt einem auch der Lieblingspolitiker zum Hals raus, und man ist dankbar für eine Abwechslung. Natürlich waren Strauß oder Kohl griffige Typen, aber das ist die Merkel auch.

Ich sehe auch heute noch Ihren ganz markanten Gerhard Schröder vor mir.

Ja, der lag mir sehr. (lacht)

Der Schröder war schon putzig, wenn man ihn nur gesehen hat.

(lacht schallend) Danke sehr, dass der Schröder putzig war, hört er bestimmt gern. Aber der Strauß hat mit seinem Kopf am meisten hergegeben. Ich habe ihn als Lokomotive gezeichnet, als Vulkan, das ging alles bei ihm.

Gab es Feedback von Politikern? Oder Drohungen à la: „Wir wissen, wo Sie wohnen“?

(lacht) Nein, Drohungen gab es keine, aber immer wieder Begegnungen. Strauß habe ich einige Male getroffen, und es war immer ein lockerer Plausch. Den Theo Waigel habe ich auch immer wieder getroffen. Der war im Übrigen auch nicht so einfach zu zeichnen. Die Augenbrauen waren markant, ja, aber wenn Sie die mal weglassen, hat er eine ganz schwierige Physiognomie. Und mir war es immer zu wenig, einfach nur riesige Augenbrauen zu zeichnen. Übrigens: Als ich viel für die „Bunte“ gearbeitet habe, erzählte mir die Redaktion einmal, dass Lothar Späth angerufen und sich beschwert habe: Er käme zu selten in meinen Karikaturen vor. Das habe ich mal unter Fan-Reaktion abgebucht. (lacht)

Haben Sie Sorgen um die heutige Zeit?

Ja, immer wieder. Leute wie der Trump oder der Johnson oder so lachhafte Aktionen wie der Brexit – das wäre vor 20 Jahren schwer vorstellbar gewesen. Selbst wenn der Trump mal inhaltlich recht haben sollte, zum Beispiel wenn es um den Handel mit China geht, dann macht er es in einer Art und Weise, die katastrophal ist.

Wenn man mit Ihnen redet: Sie wirken geistig so fit und so auf der Höhe der Zeit. Warum hören Sie auf?

Das ist sehr lieb von Ihnen, aber zum einen bin ich jetzt 80 Jahre alt, und da darf man aufhören. Zum anderen merke ich aber auch, dass ich aus einer anderen Zeit komme. Zum Beispiel habe ich hier eine Karikatur gemacht, in der Johnson vor dem Grammophon sitzt, aus dem Trumps Stimme dröhnt – und dazu habe ich „His Master's Voice“ geschrieben. Nun verstehen aber alle Jungen und Mittelalten diesen Witz gar nicht, weil sie in einer Zeit aufgewachsen sind, in der es die Schallplatten von „Deutsche Grammophon“ und diesen Werbeslogan gar nicht gab. Ich verwende auch viele Metaphern aus der Bibel, aus Märchen oder zum Beispiel aus Wagner-Opern – Wagner ist ein Füllhorn für mich. Aber wer sich in der Bibel oder bei Wagner nicht auskennt – und das tun viele heute nicht mehr –, der versteht den Witz der Karikatur überhaupt nicht. Dann denke ich: „Ach, Horst, machst wieder Minderheitenprogramm.“ Früher habe ich mich mit Leidenschaft darüber aufgeregt – aber das tue ich nicht mehr. Denn ich habe erkannt, dass die jungen Leute dafür viele Dinge können und wissen, von denen ich keine Ahnung habe.

Wie werden Sie Ihren Ruhestand verbringen? Haben Sie Träume, die Sie jetzt endlich verwirklichen können?

Ich male leidenschaftlich gern, das möchte ich auf jeden Fall weiter machen. Mein allersehnlichster Wunsch ist, dass ich mit meinen Augen und dem Gehirn intakt bleibe, denn ich habe einen riesigen Nachholbedarf am Lesen. Was mir mein Leben lang auch immer wichtig war, war Musik – ohne dass ich da Kompetenz hab, aber ich höre Musik gern. Das möchte ich wieder mehr tun. Und natürlich werde ich meinen Saustall aufräumen. (lacht) All die vielen Karikaturen habe ich nie ordentlich sortiert und katalogisiert.

Können Sie eine Lieblingskarikatur benennen?

Das ist nahezu unmöglich, aber grundsätzlich kann ich sagen, dass ich oft die kleinen Schmunzler am liebsten mochte. Zum Beispiel, als die Ehe für alle erlaubt wurde. Da kommt ein schwules Pärchen aus dem Standesamt, einer dick, der andere dünn – und vorbei geht ein altes Ehepaar. Und die alte Frau deutet auf den dicken Mann und sagt: „Ah, schau, die mussten.“ (lacht schallend) Oder seinerzeit, als die Castortransporte anfingen zu rollen: Ich zeichnete eine große Demo, junge Leute blockieren die Schienen. Mitten unter ihnen steht ein alter Mann mit einem Schild „Fidel, go home!“ Und ein junger Demonstrant herrscht ihn an: „Castor, Opa, nicht Castro!“ – Das sind die Karikaturen, über die ich mich selbst am meisten amüsiert habe, mit einer gewissen Leichtigkeit.

Lachen Sie beim Zeichnen?

Nein. Aber als meine Kinder klein waren, fanden sie es immer witzig, wenn ich die Mimik der Personen nachgemacht habe, die ich gerade gezeichnet habe. Offenbar neige ich dazu, dies zu machen.

Planen Sie Ihre Abschlusskarikatur?

(schmunzelt)

Na los. Ein Feuerwerk? Noch einmal die größten Köpfe der vergangenen Jahrzehnte? Oder Horst Haitzinger als einsamer Cowboy auf dem Pferd, der in den Sonnenuntergang reitet, auf dem „The End“ steht …

(lacht) Hören Sie auf, ich werde es Ihnen nicht verraten.

Och.

Es wird eine sehr private Karikatur sein. Ganz persönlich. Lassen Sie sich überraschen.

Unser Journalchef Michael Defrancesco hat den 80-jährigen Karikaturisten Horst Haitzinger in München besucht und mit ihm über seine Anfänge beim „Simplicissimus“ gesprochen, über Höhen und Tiefen seiner Karriere und die Frage, was er nun mit der gewonnenen Freiheit im Ruhestand anfangen möchte. Ein Auszug des Interviews wurde in einem kleinen Video festgehalten:

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