Schlaganfall: Expertenhilfe per Videokonferenz

Etwa 16.000 Schlaganfallpatienten werden jedes Jahr in rheinland-pfälzischen Krankenhäusern behandelt. Längst nicht in allen Kliniken kann sich ein versierter Neurologe um sie kümmern. Die gibt es meist nur in den sechs größeren Schlaganfalleinheiten (Stroke Units) im Land. Jetzt schließen sich mehrere Kliniken in Rheinland-Pfalz zu Netzwerken zusammen, bei denen sich Ärzte per Videokonferenz beraten.

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Privatdozent Dr. Martin Eicke ist Chefarzt der Neurologischen Klinik am Klinikum Idar-Oberstein und Mitinitiator des Telestroke-Netzwerks Rheinland-Pfalz. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt Dr. Eicke die Vorteile des Projekts für die Patienten:

Wann und warum ist in Rheinland-Pfalz die Idee für ein Schlaganfallnetzwerk entstanden?

Die Idee ist schon einige Jahre alt. Seit 1999 sind Schlaganfalleinheiten (Stroke Units) im Land etabliert, bei denen Neurologen und Internisten mit ihrer jeweiligen Fachkompetenz Hand in Hand Schlaganfallpatienten versorgen sollen. Es ist uns klar geworden, dass eine flächendeckende Versorgung in Rheinland-Pfalz mit neurologischen Hauptfachabteilungen nicht möglich ist. Dafür reicht die Zahl der Neurologen nicht aus. Dort, wo es keine neurologischen Hauptfachabteilungen gibt, werden Schlaganfallpatienten von Internisten behandelt, die eine gute Arbeit leisten. Doch es wäre gut, wenn sie neurologischen Sachverstand hinzuziehen könnten, etwa wenn es um die Entscheidung geht, ob bei einem Patienten ein Gerinnsel medikamentös aufgelöst oder ob es sogar mit einem Katheter entfernt werden sollte. Das ist die Idee des Netzwerks.

Es geht also um Konsultationen und nicht primär darum, dass größere Kliniken Patienten zu sich holen?

Das ist natürlich eine Möglichkeit, die als Ergebnis der Konsultation herauskommt, aber daran denken wir nicht in erster Linie. Es kann sein, dass der kleineren Klinik empfohlen wird, den Patienten zu verlegen. Das gilt besonders für die Fälle, in denen der Katheter zum Einsatz kommen muss. Das kann nicht jedes Krankenhaus leisten. Doch dies betrifft nur eine kleine Zahl von Patienten. In mehr als 90 bis 95 Prozent der Fälle geht es um eine Hilfestellung für kleinere Häuser, um die Entscheidung über die Behandlung im eigenen Haus besser treffen zu können.

Was können diese kleineren Kliniken denn tun?

Alle angeschlossenen Kliniken sind regionale internistische Schlaganfalleinheiten (Stroke Units) in mittelgroßen Krankenhäusern. Sie haben sich bereits auf die Schlaganfallbehandlung spezialisiert und können etwa eine medikamentöse Thrombolyse durchführen. Sie versuchen also, das Gerinnsel medikamentös aufzulösen. Allerdings haben diese Krankenhäuser keine neurologische Fachabteilung, die 24 Stunden lang besetzt ist.

Wie läuft die Kooperation ab?

Man kann sich das Ganze wie ein besseres und unter Datenschutzgesichtspunkten natürlich deutlich sichereres Skype-System vorstellen. Wir werden über ein Handy mit der Bitte angerufen, uns einen Patienten näher anzuschauen. Dann haben wir entweder eine Arbeitsstation in der Klinik oder einen Laptop zu Hause. Mit beiden können Videokonferenzen geführt werden. Der um Konsultation bittende Kollege hat die Hauptfragestellung schon in das System eingegeben. Mittels der Videokonferenz können wir als Konsultationsärzte den Patienten sehen und er uns. Dann schauen wir uns den Patienten zusammen mit dem behandelnden Arzt an, wir untersuchen ihn quasi zusammen. Wir schauen, wie gut sich der Patient noch bewegen kann. Wir können etwa das Gesicht heranzoomen. Dann können beide Ärzte beurteilen, wie stark die Ausfälle des Patienten sind und welche Gehirnregionen mutmaßlich geschädigt wurden. Wir können uns auch über einen eigenen Server zusammen CT-Bilder anschauen. Danach können wir gemeinsam entscheiden, welche Therapie der Patient braucht, ob etwa eine medikamentöse Thrombolyse sinnvoll ist. Am Ende steht eine Empfehlung, die auch schriftlich gegeben wird. Nach etwa 15 bis 20 Minuten ist der Fall dann für den Telearzt abgeschlossen.

Wann würden Sie dann eine Verlegung in eine größere Schlaganfalleinheit empfehlen?

Das sind insbesondere schwere Schlaganfälle, bei denen man nachweisen konnte, dass eines der großen Gefäße im Kopf verstopft ist. Man kann dann versuchen, das Gerinnsel medikamentös aufzulösen. Häufig reicht das aber nicht. Der Pfropf kann zu groß sein und muss zusätzlich mechanisch mit einem Katheter entfernt werden. Das ist ein Fall für eine größere Klinik. Möglich ist auch, dass ein Patient eine große Blutung hat, die neurochirurgisch versorgt werden muss.

Welche Vorteile bringt das Netzwerk den Patienten?

Der Patient hat den Neurologen am Ort, den er sonst nie gesehen hätte. Die beteiligten Neurologen sind Ober- und Chefärzte, die in der Behandlung von Schlaganfällen sehr erfahren sind. Die meisten Kliniken haben zwar eine Kooperation mit einem niedergelassenen Neurologen, der aber nicht ständig präsent ist. Jetzt steht diesen kleineren Kliniken diese Expertise 24 Stunden am Tag zur Verfügung.

Bringt das mehr Patientensicherheit?

Das denke ich schon. Es gibt ähnliche Projekte bereits seit 10 bis 15 Jahren in Bayern. Die Zahlen von dort zeigen, dass sich die Patientenversorgung deutlich verbessert hat. Die Zahl der Patienten, bei denen eine bleibende Pflegebedürftigkeit zurückgeblieben ist, konnte durch das Netzwerk deutlich gesenkt werden. Außerdem waren einige kleine Kliniken vorher eher zurückhaltend bei medikamentösen Thrombolysen. Sie haben gezögert, Patienten mit dieser potenziell sehr effektiven, aber auch gefährlichen Therapie zu behandeln. Später sind die Lyse-Zahlen deutlich angestiegen, ohne dass die Sicherheit der Patienten gefährdet wurde. Auch in Rheinland-Pfalz sind die Lyse-Zahlen bei den jährlich 16 000 Schlaganfallpatienten ausbaufähig. Ziel muss aber eine abgewogene Entscheidung über eine Lyse-Behandlung sein. Das Netzwerk hilft, eine patientenorientierte Abwägung zu treffen.

Man sagt, dass Zeit Hirn ist. Wie schnell sind Sie denn als Konsultationsärzte verfügbar?

Wir sollen innerhalb von 15 Minuten verfügbar sein. Abgeschlossen wäre ein Konsil dann innerhalb von 45 Minuten. Das ist ambitioniert, aber machbar.

Wie wird das Projekt finanziert?

Derzeit haben internistische Fachkliniken ohne neurologische Fachabteilung das Problem, dass sie den bereits geleisteten zusätzlichen Aufwand bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten von den Kassen nicht refinanziert bekommen. Das ändert sich dann, wenn durch ein Netzwerk teleneurologische Visiten stattfinden. Dann haben diese Häuser die Voraussetzung geschaffen, aus einem „Fall“ mehr Geld zu erlösen. Aus diesen Mehrerlösen zahlen sie in einen Topf ein, aus dem die Zusatzleistungen der größeren Kliniken bezahlt werden. Unterm Strich dürften aber auch für die kleinen Häuser Zusatzeinnahmen bleiben. Das Land hat die Anschubfinanzierung für die Technik übernommen.

Das Gespräch führte Christian Kunst