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RZ-REPORTAGE aus dem Schlachthof: Unser täglich Fleisch

„Töten ist ein schmerzlicher Eingriff in das Leben eines Tieres – das ist den meisten Menschen, die Fleisch essen, heute gar nicht mehr bewusst.“
Ulrich Bayer (53) betreibt seinen eigenen Schlachthof im Taunus
„Töten ist ein schmerzlicher Eingriff in das Leben eines Tieres – das ist den meisten Menschen, die Fleisch essen, heute gar nicht mehr bewusst.“ Ulrich Bayer (53) betreibt seinen eigenen Schlachthof im Taunus Foto: Benjamin Stöß

In den vergangenen 50 Jahren hat sich der weltweite Fleischverbrauch vervierfacht. Vor allem in Industrie- und Schwellenländern wuchsen die Fleischportionen auf den Tellern. Diesen ungezügelten Hunger findet selbst ein heimischer Schlachter nicht schön.

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In den vergangenen 50 Jahren hat sich der weltweite Fleischverbrauch vervierfacht. Vor allem in Industrie- und Schwellenländern wuchsen die Fleischportionen auf den Tellern. Diesen ungezügelten Hunger findet selbst ein heimischer Schlachter nicht schön.


„Töten ist ein schmerzlicher Eingriff in das Leben eines Tieres – das ist den meisten Menschen, die Fleisch essen, heute gar nicht mehr bewusst„: Ulrich Bayer (53) betreibt seinen eigenen Schlachthof im Taunus

Vier ganze Rinder verdrückt jeder Deutsche im Lauf seines Lebens, 46 Schweine, genauso viele Puten, 37 Enten, zwölf Gänse und eine Horde von 945 Hühnern. Im Schnitt wohlgemerkt – und unter der Annahme, dass unser Essverhalten bleibt, wie es ist. Die Agrar- und Lebensmittelindustrie nährt sich jedoch von einer anderen Statistik. Die besagt, dass der Hunger nach Fleisch seit Jahren verlässlich wächst.

Der einstige Sonntagsbraten ist zu unserem täglichen Brot geworden. Mit dem Ergebnis, dass die industrielle Tier- und Fleischproduktion zu den profitabelsten Zweigen der Landwirtschaft geworden ist. Im Jahr 2011 setzte Tönnies, der größte deutsche Fleischkonzern mit Sitz im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück, 4600 Millionen Euro um. Tiere werden heute nicht mehr auf Bauernhöfen, sondern in Fabriken gehalten – Ställe mit 40 000 Hühnern oder 2000 Schweinen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel, wie im “Fleischatlas 2013„ nachzulesen ist. Geschlachtet wird im Sekundentakt: Im größten Geflügelschlachthof im niedersächsischen Wietze sterben stündlich 27 000 Tiere. Allein dieser eine Betrieb bringt also im Jahr 135 Millionen Hühner um.


Die Deutschen und der Fleischkonsum im Laufe ihres Lebens. Grafik: (CC-BY-SA) Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, Le Monde diplomatique

Zum Fleischessen gehört, dass dafür Tiere sterben. Höchste Zeit, der Wahrheit einmal ins Auge zu blicken. Doch wer das will, rennt erst einmal gegen viele verschlossene Türen. Meinhard Born, Sprecher von Westfleisch in Münster, dem viertgrößten Fleischkonzern, würde nach eigener Aussage ja “gern Offenheit zeigen„. Doch er weiß: Der zeitliche und hygienische Aufwand, den es bedeutet, Journalisten durch die Produktionsstätten zu schleusen, lohnt sich für den Betrieb am Ende nicht. “Wir versprechen uns von dieser Art von Beiträgen kein Heil für die Branche„, gibt Born am Telefon offen zu. Für den Konzern sind solche Reportagen nur schlechte Werbung. Weil wir nämlich gar nicht so genau wissen wollen, was passiert, bis ein Schwein zum sauber verpackten, pfannenfertigen Schnitzel im Supermarktregal geworden ist.

Statt Werbung regelmäßig Tag der Offenen Tür

Rinder werden mit einem gezielten Bolzenschuss in die Stirn getötet.

Benjamin Stöß

Folge dem Licht: Am Ende des Kanals werden die Schweine per Elektroschock betäubt und mit einem schnellen Schnitt in die Kehle getötet.

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Schweine sind äußerst sensible Tiere. Daher wird bereits vor der Schlachtung darauf geachtet, mit weitläufigen Stallungen, ausreichend Wasser und gut geschultem Personal den Stress möglichst gering zu halten.

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Ulrich Bayer, Inhaber des Schlachthofs in Niederwallmenach, zeigt, wie die Tötung bei Schweinen erfolgt. Sein Schlachtbetrieb erfüllt sogar die strengen Demeter-Richtlinien, die Wert darauf legen, das

Benjamin Stöß

Die Schlachtung ist für angehende, wie gestandene Metzger immer wieder ein sensibler, aber leider notwendiger Moment – mit dem jeder anders umgeht.

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Nach der Tötung geht alles sehr schnell: Über ein Schienensystem an der Decke werden die Tiere an verschiedenen Stationen von Metzgern nach und nach zerlegt.

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Schweine werden vor der Weiterverarbeitung “abgeflämmt„, um die Haare zu entfernen und anschließend gewaschen bevor sie weiter zerlegt werden können.

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Im Vergleich zu Konzernen wie Tönnies, Vion, PHW, Westfleisch und Haristo, ist der Betrieb von Ulrich Bayer ein Zwerg. Marktführer Tönnies hat 2011 laut Geschäftsbericht mehr als 16 Millionen Schweine geschlachtet.

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Bei der Entnahme der Innereien ist Fingerspitzengefühl gefragt, um eine Verunreinigung zu vermeiden.

Benjamin Stöß

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Das Schlachten von Rindern und Schweinen ist strikt getrennt. Daher muss nach jedem Schlachtdurchgang die gesamte Produktionsstraße komplett gereinigt werden.

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Der Weg eines Tieres wird von der Aufzucht bis zum fertigen Schnitzel dokumentiert.

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Ein externen Prüfer hält die Kennzeichnung fest und entnimmt im Anschluss Proben, um den Fettgehalt zu ermitteln.

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Nachdem die Tiere zerteilt sind, kommen sie auf schnellstem Weg ins Kühlhaus.

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Bevor das Fleisch weiterverarbeitet wird, muss es eine Zeit lang “reifen„.

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Das Handwerkszeug eines Metzgers.

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Ein Lehrling blickt gebannt auf eine Reihe von Keulen, an denen ein Ausbilder ihm die verschiedenen Fleischbestandteile erklärt.

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An einer Keule demonstriert der Ausbilder einem Lehrling das sachgemäße Zerteilen.

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Nicht alles landet auf dem heimischen Tisch. Einige Bestandteile werden ins Ausland exportiert, da sie nicht unseren Essgewohnheiten entsprechen.

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Im Betrieb von Ulrich Bayer werden 90 Prozent der Ware veredelt: zerlegt, zu Wurst verarbeitet und für den Handel teils schon gebrauchsfertig verpackt und portioniert.

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Schlachten ist ein blutiges Geschäft – auch wenn es der heimische Schlachthof mit Sorgfalt und größtmöglicher Sensibilität betreibt. Ulrich Bayer ist der Inhaber solch eines mittelständisches Betriebes.

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Ulrich Bayer ist einer, der diesen Job netterweise für uns erledigt. Und übrigens der Einzige, der sich dabei auf die Finger schauen lässt. “Wir haben keinen großen Werbeetat„, sagt er. “Dafür machen wir regelmäßig einen Tag der offenen Tür.„ Der Chef eines familiengeführten Schlachthofs in Niederwallmenach (Rhein-Lahn-Kreis) ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Er hätte zum Beispiel gar nichts dagegen, wenn die Leute etwas weniger Fleisch essen würden. “Wir bewegen uns heute so wenig, wir brauchen die Energiemenge, die uns der enorme Fleischkonsum liefert, doch gar nicht mehr„, sagt er. “Hinzu kommt, dass auch für die zehn Billigwürstchen, von denen Sie am Ende sechs achtlos wegwerfen, ja auch ein Tier gestorben ist. Und wissen Sie, selbst ich als Metzger finde das Schlachten nicht unbedingt schön.„ Das Töten eines Tieres ist für Bayer ein hochsensibler Akt, über den er sich viele Gedanken macht. Gerade deshalb will er nicht bloß mit totem Fleisch hantieren, sondern den Umgang mit dem lebenden Tier in der Hand behalten – damit der “wenigstens einigermaßen human passiert„.

Bayer ist seit 1982 Fleischermeister, seitdem hat sich der Beruf komplett verändert, sagt er. Noch in den 1990er-Jahren verließen die Schweine zu 90 Prozent in Hälften seinen Hof. Heute sind 90 Prozent seiner Ware bereits veredelt: zerlegt, zu Wurst verarbeitet und für den Handel teils schon gebrauchsfertig verpackt und portioniert.

Anforderungen an Schlachtbetrieb steigen – die Preise aber nicht

Sein mittelständisches Unternehmen ist Teil einer globalen Produktionskette. Damit steht Bayer auch mit der ganzen Welt im Wettbewerb. Das macht es schwierig, sagt er.

“Die Anforderungen an Schlachtbetriebe werden immer höher, aber die Preise für Fleisch steigen nicht.„ So kommt's, dass es Betriebe wie den Fleischhof Bayer in Deutschland inzwischen schon fast gar nicht mehr gibt. 85 bis 90 Prozent des Fleischmarktes teilen sich die fünf größten Industrieschlachtereien Tönnies, Vion, PHW, Westfleisch und Haristo.


Die größten Schlachtereien Deutschlands. Grafik: (CC-BY-SA) Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, Le Monde diplomatique

Marktführer Tönnies, der Aldi und Lidl, aber auch Rewe beliefert, hat 2011 laut Geschäftsbericht mehr als 16 Millionen Schweine geschlachtet. 900 Schweine und 50 bis 60 Rinder aus der Region tötet Bayer insgesamt an zwei Tagen pro Woche – dafür bräuchte Tönnies noch nicht einmal eine Stunde.

Rein betriebswirtschaftlich betrachtet, dürfte Bayer eigentlich gar nicht mehr schlachten. Aus dieser Perspektive gilt seine Anlage nämlich als nicht ausgelastet, und das ist unwirtschaftlich. Aber ohne massive Einbußen beim Tierwohl ließe sich der Takt bei der Schlachtung nicht erhöhen, meint er. Und noch eins steht für den Schlachthofbetreiber fest: “Wenn wir hier nicht mehr wären, fiele die Rinder- und Schweinemast in der Region ganz weg.„ Für die rund 200 Landwirte aus der Eifel, dem Hunsrück, Taunus und Westerwald, die Bayer beliefern, würde sich der Transport ihrer wenigen Tiere bis zu einem weiter entfernten Großschlachthof schlicht nicht mehr lohnen.

Nach Skandalen steigt der Umsatz an – dann gehen die Kunden wieder zum Discounter

Aus der Region für die Region: “Eigentlich müssten uns die Kunden in unserem strukturschwachen Gebiet die Bude einrennen„, sinniert Bayer. Das tun sie auch. Nach Skandalen bemerkt er, dass sein Umsatz kurzfristig steigt. Aber nach ein paar Wochen kaufen die Leute dann doch wieder beim Discounter. Der Metzgermeister findet das ein bisschen schizophren. Denn angeblich sind die Kunden doch am Tierwohl und der Herkunft ihres Fleisches interessiert.

Um den Stress für die Tiere auf ihrem letzten Weg zu reduzieren und damit letztlich eine gute Fleischqualität zu garantieren, hat Bayer vor einigen Jahren seinen Schlachtvorgang optimiert. Bei ihm rollen die Bauern noch persönlich mit ihren Traktoren auf den Hof, wenn sie ihre Schweine und Rinder zum Metzgen bringen.

Schweinen schlägt die letzte Stunde ganz ruhig

Folge dem Licht: Am Ende des Kanals werden die Schweine per Elektroschock betäubt und mit einem schnellen Schnitt in die Kehle getötet.
Folge dem Licht: Am Ende des Kanals werden die Schweine per Elektroschock betäubt und mit einem schnellen Schnitt in die Kehle getötet.
Foto: Benjamin Stöß
Die Schweine, äußerst sensible Tiere, dürfen sich in Bayers Stall in kleinen Gruppen auf einem beheizten Betonboden fläzen. Zur Beruhigung werden sie von oben mit lauwarmen Wasser berieselt. An ihre Artgenossen gekuschelt, verbringen die Tiere ihre letzten Stunden sichtlich entspannt. Zur Schlachtbank lotst sie ein Lichtstrahl durchs Dunkel, so muss man sie weniger treiben.

Vom neuen Tierschutzlabel für Supermarktfleisch aus artgerechter Haltung hält der 53-jährige Metzgermeister trotzdem nichts. “Die Konzerne brauchen das, bei uns gehört der artgerechte Umgang zum Standard„, erklärt er. Bayer erfüllt beim Schlachten sogar die strengen Demeter-Richtlinien, die Wert darauf legen, dass das Tier nach biologisch-artgerechter Aufzucht auch möglichst schonend von der Laderampe zur Schlachtbank geführt wird. Der Tötungsvorgang ist am Ende für alle Tiere gleich. Jetzt aber wollen die Kunden womöglich auch Bayers Fleisch mit dem neuen Label. Dafür muss er sich erst zertifizieren lassen, und das kostet – am Ende einen Preis, den der Käufer dann vielleicht nicht mehr akzeptiert.

Alles anders – nur bei den Preisen ist die Massenschlachtung Maßstab

Aber irgendwann muss sich das nachhaltige Arbeiten Bayers und seiner Landwirte doch lohnen, findet er. In Sachen Qualität fällt es dem Mittelständler nach eigener Aussage nicht schwer zu konkurrieren. Nur bei den Preisen, die vom Markt gefordert werden. Bayer beschäftigt noch gelernte Metzger aus der Region und keine Billiglohnkräfte aus Osteuropa, wie es in der Branche längst üblich ist. “Aber beim Endprodukt werden wir doch mit dem aus der Massenschlachtung verglichen, es ist ein steiniger Weg„, sagt er. Und dann wird's ernst.

Der Hausherr teilt Schutzoverall, Haarnetz und zwei Plastiktüten aus: Wegwerfgummistiefel. Die schützen die Straßenschuhe, vor allem aber den äußerst sensiblen Schlachtbereich. Dann geht's über die Hygieneschleuse, wo wir Hände und Schuhe desinfizieren, dann pirschen wir uns behutsam von hinten an den Schlachtvorgang ran.

Vorbei an fahrbaren Edelstahlcontainern, in denen sich, fein sortiert, Innereien, Schwarten, Schweinsfüße oder Masken, also abgezogene Schweinsgesichter, stapeln. “Die Ohren, Füße und Schwarten gehen gesammelt nach Asien„, erklärt Bayer. “Und von den Schweinebäuchen isst der deutsche Kunde nur die mageren. Dafür essen die Chinesen lieber Schweinebauch als Schinken und lassen für einen Schweinsfuß jedes Filet liegen.„

Ein paar Schritte weiter steht sich ein Dutzend Metzger am langen Zerlegetisch gegenüber. Schweinehälften hängen an riesigen Fleischerhaken, sie werden über Rohrbahnen, die sich unter der Decke durch den ganzen Schlachthof schlängeln, aus dem Kühlhaus hereintransportiert. Die Reihe der Metzger schärft ihre Klingen, einer von ihnen legt einen Probelauf mit der Handkreissäge ein. Dann kommt das erste Schwein an einer riesigen Kreissäge vorbeigefahren, sie teilt den Schinken vom Kotelett.


Der Fleisch- und Wurstkonsum in Deutschland pro Tag: Frauen in Rheinland-Pfalz essen im Schnitt am wenigsten. Grafik: (CC-BY-SA) Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, Le Monde diplomatique

An der ersten bemannten Station wartet ein sehniger Metzger und trennt mit besagter Handkreissäge den Rippenstrang vom Rumpf. Schräg gegenüber steht sein Kollege, dem wie Käpt'n Hook ein Fleischerhaken aus dem Handschuh ragt. Den schlägt er mit Schwung in den toten Tierleib und schneidet mit einem Messer die Schulter vom Kotelett. Sein Nachbar kappt dem Schwein die Backen und wirft sie in hohem Bogen in den Entschwarter. Aus der Schwarte wird Gelatine, etwa für Gummibärchen, das gut bindende, kollagenhaltige Backenfleisch wandert in die Wurstproduktion ab.

Der Rest vom Rumpf wird gegenüber entbeint. Kotelett, Schulter, Bauch und Schinken kriegen ein Schleifchen durchgejagt und zuckeln an Fleischerhaken wieder in Richtung Kühlraum ab.

Der Klassifizierer bestimmt Qualität – und letztlich den Preis

Eine Tür weiter steht der Klassifizierer, ein vereidigter Sachverständiger, der an einem digitalisierten Kontrollstand die Fleischqualität prüft. Per Augenschein und mit Sonden beurteilt er das Verhältnis von Muskeln und Fett, den Wuchs des Tieres und bestimmt, was für den Landwirt, der das Tier geliefert hat, letztlich maßgeblich ist: den Preis. Die Bauern können sich in das EDV-System einloggen und auf ihrem Hof in Echtzeit mitverfolgen, wie viel in barer Münze ihnen ihre Arbeit einbringt. Hier wird auch kontrolliert, was in Zeiten von Lebensmittelskandalen stets in aller Munde ist: der Herkunftsnachweis.

Jede Tierhälfte – nach den Schweinen sind gerade die Rinder dran – trägt einen Stempel sowie ein Etikett, das der Ohrmarke entspricht, die jedes europäische Rind von Geburt an trägt. Darauf lässt sich nicht nur ablesen, wo und von welchem Muttertier es geboren wurde, sondern auch, wo es aufgewachsen und gestorben ist und schließlich zerlegt wurde. Auch das Schlachtgewicht und die Fleischqualität werden hier vermerkt. Bayer führt in seinem Schlachthof den Nachweis bis zum einzelnen Tier und nicht bloß, wie es der Gesetzgeber verlangt, zu einer Charge, die ihm der Bauer geliefert hat.

Nur einen Schritt weiter geht's ans Eingemachte, Achtung, letzte Ausstiegsmöglichkeit für Menschen mit sensiblem Magen: An Fleischerhaken fahren keine Tierhälften mehr, sondern zu sauberen Päckchen gebündelte Innereien vorbei. Spätestens jetzt machen sich die kniehohen Plastiküberzieher über den Schuhen bezahlt, denn wir waten durch Blutlachen und absolvieren einen surrealen Hindernislauf, indem wir uns an riesigen Rinderhälften vorbeidrängen, Herz-Lunge-Leber-Nieren-Paketen ausweichen und über Blutpfützen hüpfen.

“Geht's gut?„, fragt der Hausherr besorgt und weist darauf hin, dass der Geruch jetzt gleich strenger wird. Kein Wunder, denn vor uns tut sich eine Gasse aus Metzgern auf, die auf Hubpodesten stehen und eine riesenhafte Säge in einen kopfüber hängenden Rinderleib tauchen, um ihn haarscharf in der Mitte zu durchtrennen und anschließend auszuweiden.

Vom Tier zum Produkt – Etappe um Etappe

Das ist Schwerstarbeit, und neben der Anstrengung der Metzger heizen die noch lebenswarmen Tierkörper den Schlachtraum auf. Im Arbeitsschritt davor legt ein Lehrling einem Rind mit gespreizten Läufen Ketten an die schon huflosen Vorder- und Hinterbeine. Mittels einer Winde wird dem Tier so das Fell über die Ohren gezogen. “Das ist schonender als mit dem Messer", erklärt Bayer. Und dass aus der möglichst unversehrten Tierhaut nach dem Gerben und Färben ein edler Autositz werden wird.

Eine Etappe weiter, noch bevor das Tier mit einem gekonnten Schnitt enthauptet wird, steht der Metzger mit dem mit Abstand blutigsten Job: Der Abstecher durchtrennt dem Tier die Kehle, aus der in einem Schwall gut 20 Liter Blut auf den Boden schießen.

Dennoch kann es nicht dieser Anblick sein, der die Artgenossen nebenan laut aufschreien lässt. Vor dem finalen Moment werden die Rinder vom Stall in eine stählerne Bucht getrieben. Bevor sie merken, dass sie nicht mehr vor-, rück- oder seitwärts können, sind sie von dem engen Verschlag in die Zange genommen. Weil Herdentiere nach vorn fliehen, bleibt ihnen nichts übrig, als irgendwann den Kopf durch die letzte verbliebene Lücke zu stecken, wo ein guillotinenähnlicher Greifarm den Kopf des Tieres arretiert. Darauf wartet der Metzger geduldig – unvorstellbar in einer Schlachtfabrik, wo die Maschine dem Tier den Takt vorgibt.

Irgendwann streckt die Kuh ihren Kopf dem Bolzenschußgerät entgegen

Im Vergleich zu Konzernen wie Tönnies, Vion, PHW, Westfleisch und Haristo, ist der Betrieb von Ulrich Bayer ein Zwerg. Marktführer Tönnies hat 2011 laut Geschäftsbericht mehr als 16 Millionen Schweine geschlachtet.
Im Vergleich zu Konzernen wie Tönnies, Vion, PHW, Westfleisch und Haristo, ist der Betrieb von Ulrich Bayer ein Zwerg. Marktführer Tönnies hat 2011 laut Geschäftsbericht mehr als 16 Millionen Schweine geschlachtet.
Foto: Benjamin Stöß
Die Augen der Kuh sind vom Schreck geweitet, sie tritt mit den Hufen gegen die Seiten des Verschlags, rutscht, lärmt, lässt einen weiteren Angstbrüller los. Der Mann, der sie gleich töten wird, weicht aus ihrem Blickfeld. Er bewegt sich in Zeitlupe, spricht nicht, wartet ab, bis die Kuh irgendwann doch ihren Kopf durch den einzigen Ausgang steckt.

Dann geht alles schnell: Der Greifarm hält den Kopf der Kuh fest, der Metzger setzt ihr das Bolzenschussgerät an die Stirn und drückt ab. Mit dem Knall sackt das Tier zusammen, die Box öffnet sich seitlich und die Kuh fällt raus.

Schweine werden durch Stromschlag betäubt

Ganz so schnell sterben die Schweine nicht. Auch sie wittern Ungemach, den Treibern bleibt nichts anderes übrig, als ihnen mit einer Art Paddel auf die Schinken zu klatschen, um sie zu ihren letzten Schritten zu bewegen. Dann stehen sie eins ums andere in einem Gitterkäfig und bekommen im Nacken eine pneumatische Zange angesetzt. Eine Herzelektrode fährt an den Bauch und versetzt ihnen einen betäubenden Stromschlag, den ein Datenkabel überwacht.

Das Tier kullert plump wie ein Sack auf die Schlachtbank, wo ihm der Schlachter mit einem Hohlmesser einen gekonnten Stich in die Kehle versetzt und gleich einen Großteil seines Bluts aussaugt, das zur Wurstbereitung aufgefangen wird. Die Tiere sterben durch Ausbluten, das muss schnell gehen. Danach sieht man ihre Muskeln lange zucken, manches Schwein scheint noch mit geöffneter Kehle kopfüber vom Haken hüpfen zu wollen, bis ihm ein Lehrling gnädig einen zweiten Stromstoß versetzt.

Es ist eine schlichte Erkenntnis, die am Ende verblüfft: Dass selbst ein Bio-Rind nach Ablauf seines zweijährigen Lebens nicht in den ewigen Schlaf gesungen wird. Nebenan bietet sich ein vertrautes Bild: In der riesigen Räucherkammer hängen zu Hunderten fertige Würste, wie wir sie vom Einkauf kennen. Im Laden sieht man ihnen ihre Geschichte nicht mehr an.

NICOLE MIEDING