RZ-Kommentar: Merkel, die Europakanzlerin

Man weiß nicht genau, wann sie zu der Einsicht kam. Aber dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel entschieden hat, die Europapolitik zum Markenkern ihrer zweiten Amtszeit zu machen, dürfte am Mittwoch deutlich geworden sein.

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Man weiß nicht genau, wann sie zu der Einsicht kam. Aber dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel entschieden hat, die Europapolitik zum Markenkern ihrer zweiten Amtszeit zu machen, dürfte am Mittwoch deutlich geworden sein.

Selten hat die CDU-Chefin so eindringlich die Zukunft Deutschlands mit dem Gelingen des Projekts Europa verknüpft. Ein „Mehr an Europa“ müsse es geben, sagte sie. Dafür müsse man notfalls Tabus brechen (Kompetenzen auf die supranationale Ebene verlagern) und europäische Verträge korrigieren.

Merkel zielt auf ein Europa der finanziellen Solidität. Spät, aber vielleicht nicht zu spät, setzt damit die wichtigste Regierungschefin Europas die Leitlinien für die Kernsanierung des Hauses Europa. Hilfsmaßnahmen darf es künftig nur bei Gegenleistungen geben. Alle Staaten müssen sich auf einen verbindlichen Schuldenplan einigen. Wer seine Defizite auf Kosten anderer Länder nach oben schraubt, muss Einfluss und Stimme in europäischen Gremien verlieren.

Eindeutig hat die Kanzlerin darauf verwiesen, dass der von der Opposition gern benutzte Begriff der europäischen Solidarität nicht dazu führen kann, dass am Ende drei oder vier Staaten eine überschuldete Union finanzieren. Europa kann im Weltmarkt der Mächte nur mitspielen, wenn es sich entschuldet, finanzpolitische Politiken wie Steuern harmonisiert und dort, wo es möglich ist, eine funktionierende Arbeitsteilung vornimmt.

Das Europa der Zukunft sind keine Vereinigte Staaten von Europa. Dafür fehlen die gemeinsame Nation, die gleichen Wurzeln und Kulturen. Aber das Europa der Zukunft wird trotzdem ein vereinigtes sein. Die Finanz- und Haushaltspolitik muss koordiniert und Europa als Wirtschaftsraum arbeitsteilig organisiert werden. Warum sollen in Belgien von der EU subventionierte Windparks stehen, wenn sie in Griechenland das Zehnfache an Ertrag erlösen? Warum soll der Europäische Gerichtshof ein Land, das die Stabilitäts- und Schuldenkriterien nicht erfüllt, nicht für eine bestimmte Zeit von Gremienentscheidungen ausschließen können?

Das Europa der Zukunft muss ein Europa der finanziellen Solidität sein. Nur so lassen sich auch künftige Generationen für das Projekt begeistern. Die Schuldenorgien der Staaten jedenfalls lassen sich nur mit einem scharfen Regelwerk bekämpfen. Die Kanzlerin hat das klar formuliert. Merkel ist auf dem Weg zur Europakanzlerin.

E-Mail an den Autor: michael.broecker@rhein-zeitung.net