RZ-EINWURF: Was für ein Spektakel

Jochen Krümmel zur Popularität des Mittelalters

Lesezeit: 1 Minute
Anzeige

Damals stand an jeder Ecke ein Galgen oder brannten Scheiterhaufen. Schon ein fauler Zahn konnte den Tod bedeuten. Und fremde Neuankömmlinge brachten nicht Multikulti und Latte macchiato, sondern es waren Wikinger oder Mongolen, die ein bisschen plündern und schänden wollten. Für Elend und Gebrechen gab es weniger Linderung als heutzutage, sie kamen wuchtiger und quälender. Die schneidende Kälte und das bange Dunkel des Winters waren gottgegeben. Ehre und Reichtum wurden inbrünstiger und gieriger genossen, sie unterschieden sich noch schärfer als heute von bitterer Armut und zügelloser Verworfenheit.

Damals, als die Welt noch ein Jahrtausend jünger war, hatten alle Geschehnisse im Leben des Menschen viel kontrastreicher umrissene Formen. Zwischen Leid und Freude, zwischen Glück und Unglück war der Abstand größer als für uns. Vielleicht machen gerade diese Unterschiede die mittelalterliche Welt für uns Heutige so faszinierend: Sie war – gleichwohl von Dreck und Dunkelheit gefärbt – alles in allem bunter, vielgestaltiger, intensiver.

In Rollenspielen oder auf Mittelaltermärkten kann jeder von uns für ein paar Stunden Krieger sein, ohne Blut zu vergießen, als Hexenmeister zaubern, ohne Höllenstrafen zu fürchten, oder Schwerter schmieden, ohne diesen Stand gleich auf seine Kinder und Kindeskinder vererben zu müssen. Und das Schöne an dem ganzen Spektakel: Man muss nicht allzu viel Ahnung von Geschichte haben. Im Gegenteil: Seine große Popularität verdankt das Mittelalter zu einem guten Teil den vagen Vorstellungen, die wir im Allgemeinen von dieser Epoche haben. Sie machen das Jahrtausend von 500 bis 1500 nach Christus so attraktiv als schier unerschöpflichen Vorrat an Identitäten, die es so schon lange nicht mehr gibt.

Leben (fast) wie im Mittelalter – ein schönes Rollenspiel für ein paar nette Stunden. Um sich danach wohlbehalten und frisch geduscht wieder ins eigene saubere Bett legen zu dürfen.

E-Mail: jochen.kruemmel@rhein-zeitung.net