Rückschlag für die Aufklärung: Kriminologe kritisiert Zensur- und Kontrollwünsche der Kirche

Ob Beten in diesem Fall hilft? Die Missbrauchsstudie der katholischen Kirche in Kooperation mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut ist gescheitert.
Ob Beten in diesem Fall hilft? Die Missbrauchsstudie der katholischen Kirche in Kooperation mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut ist gescheitert. Foto: DPA

Es sollte die weltweit umfassendste Untersuchung werden: das Projekt zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Am Mittwoch aber kündigten die Bischöfe vorzeitig den Vertrag mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN).

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Der Missbrauchsbeauftragte, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, erklärte: „Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Direktor des Instituts und den deutschen Bischöfen ist zerrüttet.“ Hintergrund ist laut Ackermann ein Streit um die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. Professor Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts, sieht das anders: „Das Forschungsvorhaben scheitert an Zensur- und Kontrollwünschen der Kirche und daran, dass eine KFN-Anfrage, ob systematisch Akten von belasteten Priestern vernichtet worden sind, unbeantwortet geblieben ist.“

Im Juli 2011 hatten der Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) und das KFN das 450 000 Euro teure Forschungsprojekt vereinbart und einen entsprechenden achtseitigen Vertrag unterzeichnet. Zunächst lief alles gut. „Über fünf Monate hinweg wurde das KFN bei der Vorbereitung der verschiedenen Datenerhebungen von kirchlicher Seite engagiert unterstützt“, erklärt Christian Pfeiffer. „Dann scheiterte es an wachsenden Widerständen im VDD.“

Christian Pfeiffer leitet das Kriminologische Institut.
Christian Pfeiffer leitet das Kriminologische Institut.
Foto: DPA

Pfeiffer nennt Beispiele: Zwei (Erz-)Diözesen (München/Freising und Regensburg) machten schon Ende 2011 klar, dass sie mehr Kontrollrechte und einen entsprechend neuen Vertrag wollen. Laut Pfeiffer schloss sich der Verband der Diözesen Deutschlands dieser Meinung an. In dem neuen Vertragsentwurf ging es unter anderem darum, dass Forschungstexte, zwei Doktorarbeiten und eine Habilitationsschrift, die im Rahmen des Projekts entstehen sollten, nur veröffentlicht werden können, wenn sie vonseiten der Kirche vorher schriftlich genehmigt worden sind. Das lehnte Pfeiffer ab: „Solche Regelungen sind mit der Freiheit wissenschaftlicher Forschung nicht vereinbar“, sagt er. „Wissenschaftler sind allein der Wahrheit verpflichtet.“

Wurden Akten in den Diözesen gezielt vernichtet?

Weiteres Problem: „Persönlichkeiten aus der katholischen Kirche“ haben laut Pfeiffer glaubhaft berichtet, dass verschiedene Diözesen Akten vernichtet haben, in denen es um Priester und ihren sexuellen Missbrauch ging. Man habe sich dabei auf die kirchenrechtliche Vorschift Can 489 § 2 CiC berufen, wonach zehn Jahre nach der innerkirchlichen Verurteilung eines Priesters (oder ein Jahr nach dessen Tod) die Akte in dieser Strafsache zu vernichten sei.

Pfeiffer: „Die Vorschrift steht damit im krassen Widerspruch zu den Interessen der Opfer, der Öffentlichkeit und der Wissenschaft nach Aufklärung des innerkirchlichen Missbrauchsgeschehens und ist mit dem Forschungsvertrag nicht vereinbar.“ Das Kriminologische Institut fragte im Oktober 2012 schriftlich in allen 27 Diözesen nach, ob und in welchem Ausmaß Akten vernichtet wurden. Auf eine Antwort wartet Pfeiffer noch heute.

Dass der Verband der Diözesen Deutschland nun erklärt, das Projekt sei an einer mangelnden Einigung zu Datenschutzfragen gescheitert, kann Pfeiffer nicht nachvollziehen. „Wir hatten uns auf geradezu vorbildliche Regelungen geeinigt.“ Das Kriminologische Institut will jetzt versuchen, wenigstens die geplante Opferbefragung zu retten. „Wir appellieren an alle kirchlichen Missbrauchsopfer, freiwillig an einer anonymen Fragebogenerhebung des Kriminologischen Instituts mitzuwirken“, sagt Christian Pfeiffer.

Das Forschungsprojekt hatte ursprünglich fünf große Ziele. Die Untersuchung sollte erstens belastbare Zahlen zum sexuellen Missbrauch durch Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige liefern – von 2010 zurück bis ins Jahr 1945. Pfeifer nennt das eine sich über 65 Jahre erstreckende „Tiefenbohrung“.

Dazu sollten die Daten von neun Diözesen ausgewertet werden. Pfeiffer erklärt: „Die große Mehrheit der bekannt gewordenen Fälle hat sich in den 50- er-, 60er- und 70er-Jahren ereignet. Für die vergangenen drei Jahrzehnte zeichnet sich dagegen ein starker Rückgang ab, der in den vergangenen zehn Jahren besonders ausgeprägt ist.“ Das ergebe sich auch aus den Altersangaben der Missbrauchsopfer, die sich bei der Hotline der Bischofskonferenz gemeldet und schriftlich an Kirchenvertreter gewandt haben. Pfeiffer sagt: „Dieser sich damit in Deutschland abzeichnende Unterschied von Vergangenheit und Gegenwart sollte möglichst klar herausgearbeitet werden.“

Auch Forschungsergebnisse aus den USA, Irland, Österreich und den Niederlanden belegen laut Pfeifer diese Entwicklung. Opfer und Täter sollten in Interviews befragt werden Außerdem sollte zweitens das Missbrauchsgeschehen aus Sicht der Opfer nachvollzogen werden: Wie bahnte sich der Missbrauch an? Wie verlief er? Welche Folgen hatte er für die Betroffenen? Drittens sollte das Handeln der Täter analysiert werden. Ziel war es, sie möglichst auch in Interviews zu befragen, um Erkenntnisse zu verschiedenen Tätertypen zu bekommen. Viertens sollte die Untersuchung klären, wie sich die katholische Kirche gegenüber Tätern und Opfern verhalten hat. Fünftens sollte das Präventionskonzept der Kirche überprüft und eventuell ergänzt werden.

Laut Pfeiffer hätte man erkennen können, ob die 2002 in Kraft getretenen Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang der Kirche mit Fällen sexuellen Missbrauchs Wirkung gezeigt haben.

Von Birgit Pielen