Rheinland-Pfälzer unterstützen Partnerland: Warum Ruanda ganz nah ist

Ein Bild, das sich bei der Reise der Delegation um Innenminister Roger Lewentz in Ruanda wiederholte: Wie hier an der Partnerschule des Lahnsteiner Johannes-Gymnasiums in Nyarurema strömten die Ruander immer in großer Zahl zusammen, um ihre Dankbarkeit zu zeigen. Fotos: Ulf Steffenfauseweh​
Ein Bild, das sich bei der Reise der Delegation um Innenminister Roger Lewentz in Ruanda wiederholte: Wie hier an der Partnerschule des Lahnsteiner Johannes-Gymnasiums in Nyarurema strömten die Ruander immer in großer Zahl zusammen, um ihre Dankbarkeit zu zeigen. Fotos: Ulf Steffenfauseweh​ Foto: ulf

Es ist eine stolze Summe, und sie ist noch zurückhaltend geschätzt: 100 Millionen Euro sind seit Gründung der Landespartnerschaft von Rheinland-Pfalz nach Ruanda geflossen. In 35 Jahren sind rund 2000 Projekte realisiert worden: vom Schuluniformkauf bis hin zum Aufbau eines Krankenhauses, das heute als das zweitbeste Klinikum des ostafrikanischen Landes gilt. Unser Redakteur Ulf Steffenfauseweh hat Innenminister Roger Lewentz bei seiner Reise anlässlich des 35-jährigen Bestehens der Partnerschaft nach Ruanda begleitet.

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Zahlen, die Ruandas Minister Francis Kaboneka von einer „tiefen, verlässlichen und kontinuierlichen Freundschaft“ schwärmen lassen. Zahlen, die für den rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz „beweisen, dass ein mittelgroßes deutsches Bundesland wirklich Verantwortung in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit übernehmen kann“.

Im Gespräch mit unserer Zeitung betont Lewentz, dass es sich aber nicht vorrangig um eine Partnerschaft der Regierungen handelt. „Die vielen Vereine und örtlichen Organisationen sind das Rückgrat“, unterstreicht er, spricht von einer „Graswurzelbewegung“ und führt aus, dass es allein 200 Schulpartnerschaften im Land gibt. 30 Millionen Euro Spenden sind auf diesem Wege zu den 70 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt hinzugekommen. „Mindestens“, betont Lewentz und verweist darauf, dass teilweise Container mit Gütern auf den Weg gebracht worden sind, deren Wert sich nur schwer beziffern ließ.

1982 gegründet und als einzige Landespartnerschaft aktiv überlebt

1982 hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) alle elf damaligen Bundesländer aufgefordert, Partnerschaften in Afrika zu gründen. Die damalige rheinland-pfälzische Regierung unter Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) wählte Ruanda, und diese Freundschaft hat als einzige bis heute aktiv überlebt. Sie gilt mittlerweile als Musterbeispiel und findet weltweite Beachtung. „Wir haben bei der UNO vorgetragen, und der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit verweist in Berlin überall auf uns“, sagt Lewentz

Besonders stolz macht ihn dabei, dass die Partnerschaft heute nicht nur in Rheinland-Pfalz parteiübergreifend unumstritten ist, sondern auch den im Land fast alles umstürzenden Genozid 1994 (siehe Auslagerung) überstanden hat. „Vielleicht hat sie gerade dieses düstere Jahr überlebt, weil sie schon zwölf Jahre bestand und die Menschen das Elend dadurch noch näher empfunden haben“, überlegt Lewentz. „Wie wir 1945 lag das Land völlig am Boden und hat von uns Hilfe bekommen. Darauf können wir stolz sein, und das vergisst man uns in Ruanda auch nicht“, stellt er fest.

Die Dankbarkeit der Menschen lässt sich bei einer Fahrt durchs Land leicht nachvollziehen. Bei Besuchen an den Partnerschulen des Lahnsteiner Johannes-Gymnasiums, der Engerser Kunostein-Grundschule und des Ruanda-Komitees Bad Kreuznach, bei aus Landau, Bitburg und Hachenburg unterstützten Behinderteneinrichtungen oder in einer Kaffeekooperative, die ihre Bohnen über die Landespartnerschaft zu fairen Preisen verkaufen kann: Überall, wo die rheinland-pfälzische Delegation bei der jüngsten Reise zum 35-jährigen Bestehen auftauchte, war der Jubel groß. Menschenmengen strömten zusammen, tanzten und bedankten sich mit überschwänglichen Worten und Geschenken.

Auf der anderen Seite ist Lewentz sicher, dass auch die Rheinland-Pfälzer profitieren. „Bei vielen Begegnungen erlebe ich, dass die Menschen unglaublich stolz auf die Partnerschaft sind“, sagt er. „Viele Eltern haben mir erzählt, wie stolz ihre Kinder waren, dass sie für ihre Partner in Ruanda an Spendenläufen teilgenommen haben und dass sie dann noch eine Runde mehr und noch eine Runde mehr gerannt sind. Das ist doch die beste Erziehung zum Gedanken einer Welt, die man sich vorstellen kann“, ist er überzeugt.

Die Digitalisierung eröffnet der Partnerschaft neue Möglichkeiten

Unter dem Strich steht somit nach 35 Jahren vor allem ein „Weiter so“. Die bereits seit einiger Zeit verfolgte Stärkung der handwerklichen Ausbildung soll dabei weiter eine große Rolle spielen. „So geben wir jungen Menschen eine Chance im Land, und sie müssen sich nicht auf Wanderschaft in Richtung Europa und Deutschland begeben“, weiß der Innenminister. Auch das – für afrikanische Verhältnisse – Nischenthema der Förderung Behinderter soll weiter vorangetrieben werden.

Darüber hinaus müsse eine Verjüngung eintreten. „In einigen Vereinen mit langjährig Engagierten stehen Wechsel an. Das sehen wir als Auftrag“, macht Lewentz deutlich. Er hofft, auch die Hochschulen einbinden zu können, um jungen Menschen nach der Schule weitere Möglichkeiten zu bieten, sich zu engagieren. Daneben sollen die Chancen der Digitalisierung genutzt werden. „Dadurch gibt es Möglichkeiten der Begegnung, die in den ersten drei Jahrzehnten der Partnerschaft nicht vorhanden waren“, sagt Lewentz und erzählt, dass das Partnerschaftsbüro schon Skype-Konferenzen organisiert hat, bei denen die Schüler direkt in Kontakt treten konnten. Solche Aktionen seien fast wichtiger als die finanzielle Unterstützung. Sie füllen die Partnerschaft mit Leben.

Zwischen Demokratie und autoritärem Führungsstil

Kigali. Mit einer 22-köpfigen Delegation ist Innenminister Roger Lewentz (SPD) im Oktober eine Woche lang durch Ruanda gereist, hat Hilfsprojekte besucht und mit Regierungsvertretern gesprochen. Wir setzten uns mit ihm kurz vor dem Rückflug auf der Terrasse des Hotel Des Mille Collines („Hotel Ruanda“) zum Gespräch zusammen.

Es war Ihre elfte Ruanda-Reise. Nehmen Sie noch Neues mit?

Vor allem vertiefe ich Kontakte und Einblicke. Ein Beispiel: Das Johannes-Gymnasium Lahnstein unterstützt gemeinsam mit dem Land an seiner Partnerschule den Bau einer Construction Hall, in der Schüler Bauhandwerk und technisches Zeichnen lernen. Vergangenes Jahr war ich bei der Grundsteinlegung, dieses Jahr bei der Einweihung. Dadurch sehe ich, wie sich etwas entwickelt, was aus den Projekten wird. Am Schreibtisch Zuschussbescheide zu unterschreiben, ist das eine, selbst zu erleben, das andere. Und natürlich begegne ich immer neuen Menschen und sehe, wie sich der städtische Bereich rasant entwickelt. Ich war vor einigen Jahren mit Bernhard Vogel hier, der gesagt hat, dass er Ruanda noch auf den Hügeln wiedererkennt, aber nicht mehr in Kigali.

Um dem zu begegnen, gibt es den Kigali Masterplan 2040, den der Bürgermeister Ihnen vorgestellt hat. Der sah allerdings doch ein wenig wie ein Computerspiel aus. Bauen die Ruander Luftschlösser?

50 Prozent der Ruander sind unter 18 Jahren. In Kigali geht man davon aus, dass die Einwohnerzahl der Stadt bis 2040 von 1,2 auf 3,5, vielleicht sogar 5 Millionen Menschen wachsen wird. Das haben die Ruander erkannt. Natürlich ist im Masterplan auch vieles Wunschdenken. Aber die Tatsache, dass sie sich der Entwicklung stellen und offensiv damit umgehen, dass sie sagen, dass sie keine Slums haben wollen: Das ist ein riesiger Unterschied zu Nairobi, Kinshasa oder anderen Großstädten in der Region. Wenn man Großstädte in Asien und Südamerika anschaut – oder auch Neapel –, dann hat man das Gefühl, dass sie sich ungesteuert entwickeln. Außerdem spielt im Masterplan der Umwelt- und Naturschutz eine sehr große Rolle. Das begegnet mir an anderer Stelle in Afrika nicht. Ruanda ist insgesamt unglaublich sauber. Sie sehen kein Plastik, weil Plastiktüten verboten sind. Nirgendwo liegt Müll herum. Ich selbst wollte im Akagera-Nationalpark Apfelsinenschalen wegwerfen. Da haben mich die Ranger darauf aufmerksam gemacht, dass hier nichts weggeworfen wird. Daran sieht man den Grundgedanken.

Das radikale Plastiktütenverbot scheint in der Tat zu funktionieren. Ist das ein Punkt, in dem Deutschland von Ruanda lernen kann?

Absolut! Ich bin ja froh, dass sie mittlerweile Geld kosten und nicht als Beigabe ohne Begrenzung herausgeworfen werden, um wie Mc-Donald's-Verpackungen links und rechts der Autobahn zu landen. Wir müssen da drangehen. Die Produktion ist teuer und braucht Öl, die Tüten verrotten kaum in der Erde. Und es gibt tolle Alternativen. Da müssen wir uns umstellen und können vom konsequenten Handeln in Ruanda lernen.

Präsident Paul Kagame ist konsequent, aber umstritten. Botschafter Dr. Peter Woeste ist bei einem Empfang, an dem Sie und ruandische Regierungsvertreter teilgenommen haben, ungewöhnlich deutlich geworden. Er erinnerte an die DDR-Wahlen von 1989 und sagte, dass die Menschen „das Märchen von den 98 Prozent“ nicht mehr glauben wollten. Kagame ist offiziell mit 98 Prozent wiedergewählt worden. Wie schätzen Sie die politische Situation ein?

Ich will auf die schreckliche Zeit des Genozids zurückkommen. Wenn ein Volk so eine traumatische Situation wie einen Massenmord innerhalb kürzester Zeit erleben musste, ist das, was die Regierung jetzt bietet, schon ein hohes Gut an sich: absolute Sicherheit, die Ernährungslage ist – obwohl das Land bevölkerungsmäßig explodiert – im Griff, man setzt groß auf Bildung. Das sind wesentliche Punkte. Man muss immer noch von gesellschaftlichem Neuaufbau reden. So viele Menschen wurden Opfer von Gewalt. Deren Angehörige vergessen das so schnell nicht. Das ist ein ganz wesentlicher Erfolg dieser Regierung. Ich erlebe im Land auch eine ganz hohe Zustimmung zu dieser Regierung. Kagame könnte sich einer demokratischen Wahl nach unseren Maßstäben stellen.

Warum macht er es dann nicht?

Gute Frage. Man darf vielleicht nicht vergessen, in welchem Teil der Welt wir hier sind. Ruanda grenzt an Länder wie die sogenannte Demokratische Republik Kongo, die im Chaos untergegangen ist. Burundi ist in bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die Vergangenheit von Uganda ist uns noch bewusst. Man darf diese Region nicht mit den exakt gleichen politischen Ansprüchen messen, wie wir sie zu Hause haben. Allerdings ist klar, dass wir Rechtsstaatlichkeit einfordern. Wir schauen in unserer Partnerschaft nicht darüber hinweg. Ich habe mir Prozesse und Gefängnisse angesehen. Ich kann mich auch an eine Diskussion erinnern, als junge Leute einer rheinland-pfälzischen Delegation gefragt haben, wie es mit der Pressefreiheit aussieht. Kagame hat offen geantwortet, dass er eine Presse erlebt hat, die mit Hetze gegen einen Teil der Bevölkerung zu diesem Massenmord motiviert hat. Er hat klar gesagt, dass das nicht seine Vorstellung von Presse ist und dass sie zunächst eine gewisse Ruhe brauchen. Er ignoriert solche Fragen nicht, es gibt keine Vorgabe, dass Themen nicht angesprochen werden dürfen. Das halte ich für ein Zeichen einer gewissen Stärke des Präsidenten.

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