Moskau

Putin will das Gesicht Russlands bleiben

Foto: picture alliance / dpa

Russlands Präsident Wladimir Putin möchte im Amt und das internationale Gesicht seines Landes bleiben. Vor der russischen Präsidentenwahl am Sonntag kochen aber auch die Proteste gegen den umstrittenen Machthaber hoch. Die Kremlgegner formieren sich kurz vor dem Urnengang auch in der Provinz, sogar weit entfernt von Moskau in Sibirien.

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Moskau – Russlands Präsident Wladimir Putin möchte im Amt und das internationale Gesicht seines Landes bleiben. Vor der russischen Präsidentenwahl am Sonntag kochen aber auch die Proteste gegen den umstrittenen Machthaber hoch. Die Kremlgegner formieren sich kurz vor dem Urnengang auch in der Provinz, sogar weit entfernt von Moskau in Sibirien.

Barnaul ist die Gebietshauptstadt der Altai-Region in Sibirien. Die Stadt mit 612.000 Einwohnern liegt 180 Kilometer südöstlich von Nowosibirsk. Barnaul ist Standort für Metall verarbeitende Industrie. Auch dort stehen sie auf gegen Putin: Die Flugblätter sind gedruckt, der heiße Tee ist organisiert, die Pfannkuchen bestellt. Nur am geeigneten Tisch für die Präsentation der Unterlagen mangelt es.

Proteste für „ehrliche Wahlen“

Die Bürgerbewegung „Barnaul für ehrliche Wahlen“ ist noch dabei, das Protestieren zu lernen. Als bei der Dumawahl am 4. Dezember das Ergebnis zugunsten von Putins Partei Geeintes Russland gefälscht wurde, gingen in Barnaul spontan 7.000 Menschen auf die Straße. Seitdem gärt es in der sibirischen Provinzstadt. Ganz Russland schmunzelte über die „Nano-Demonstration“: Die Aktivisten stellten Spielzeugfiguren mit kleinen Protestplakaten in der Innenstadt auf. Bierernst prüfte die Staatsanwaltschaft, wer für den Aufmarsch der Lego-Männchen zur Rechenschaft zu ziehen sei.

Jetzt hocken zwei Dutzend meist junger Leute in einem kleinen Raum und planen ihre nächste Aktion. Die Adresse des Hinterhofbüros kennen nur Eingeweihte – ein oppositioneller Geschäftsmann hat es der Gruppe zur Verfügung gestellt. Olga Fotijewa kniet auf dem Fußboden und malt große Buchstaben auf Kartoffelsäcke. Auch die kommende Demo soll wieder spontanen Charakter haben. „Wir wollen das Rennen um die Präsidentschaft als Sackhüpfen inszenieren“, erklärt sie, „nur der Sack für Putin hat keinen Boden – so kommt er garantiert als Erster ins Ziel.“ Die Soziologie-Doktorandin mit den langen, dunklen Haaren engagiert sich schon länger in der Politik. Sie ist Mitglied der liberalen Jabloko-Partei. „Bei den Dumawahlen habe ich direkt in unserem Parteistab mitgekriegt, wie überall gefälscht wurde“, erzählt Olga, „das brachte mich richtig in Rage.“ Der Preis, den sie für ihr Engagement zahlt, ist hoch. An der Universität hat man ihr bereits mit Exmatrikulation gedroht. Das wäre das Ende ihrer Doktorarbeit.

„Der Druck von oben hier in Barnaul ist ganz enorm“, sagt Sergej Andrejew. Der bärtige Historiker (46) ist Mitglied der unabhängigen russischen Wahlbeobachter-Organisation Golos und so etwas wie ein Veteran des Widerstands in Barnaul. Seit zwölf Jahren engagiert er sich in einer eigenen Stiftung für Bürgerrechte. Vor der Dumawahl hatten sich bei ihm 60 junge Leute gemeldet, die sich als Wahlbeobachter schulen lassen wollten. „Etwa 30 gaben auf, nachdem ihnen der Dekan der Universität mit Exmatrikulation oder einem Ausreiseverbot gedroht hatte.“ So entsteht ein Klima der Angst.

Sonnenschein für Demonstranten

Am Tag der Demonstration scheint die Sonne in Barnaul, die Temperatur beträgt minus 20 Grad. Die Organisatoren tragen Pelzmützen und dicke Mäntel, ihr Atem dampft in der Kälte. Über den Sacharow-Platz im Stadtzentrum dröhnt das Lied „Unser Irrenhaus wählt Putin, unser Irrenhaus freut sich schon auf ihn“. Die Kundgebung ist offiziell genehmigt. Aber Streifenpolizisten haben den Raum für die Demo mit Gittern abgesperrt. Jetzt versuchen sie, Interessierte an den beiden Zugängen abzuwimmeln: „Gehen Sie weiter, das hier ist eine geschlossene Veranstaltung.“ Am Ende trauen sich etwa 200 Menschen auf den Platz. Beim letzten Mal waren es noch 700. „Die Einschüchterungsarbeit der Behörden funktioniert immer besser“, sagt Olga Fotijewa.

Zwei Stunden später sitzt Sergej Teplakow in seinem engen Büro vor dem Computer. Er verzieht den Mund mit einer Mischung aus Trauer und Wut. Teplakow ist Reporter für die „Altajskaja Prawda“, die einzige Tageszeitung in Barnaul. Der Journalist sympathisiert mit der Protestbewegung, er war bei der Demonstration. Nur schreiben darf er darüber nicht. „Unsere Zeitung wird von der Gebietsverwaltung herausgegeben – es ist klar, dass solche Artikel nicht gedruckt werden“, sagt er. Teplakow hat eine Lösung gefunden: Er schreibt für die kremlkritische Onlinezeitung Gazeta.ru. Nur dort können die Menschen seine Beiträge über die Demo in ihrer Heimatstadt lesen. Russlands Realität ist manchmal absurder als das Sackhüpfen um die Präsidentschaft.

Von unserer Moskauer Korrespondentin Doris Heimann