Istanbul

Proteste: Gewalt in Türkei eskaliert

Steht die Türkei noch in der weltlichen Tradition des Staatsgründers Kemal Atatürk, oder driftet das Land in einen islamischen Polizeistaat ab? Diese Frage stellen sich ob der Gewalt in Istanbul immer mehr westliche Politiker.
Steht die Türkei noch in der weltlichen Tradition des Staatsgründers Kemal Atatürk, oder driftet das Land in einen islamischen Polizeistaat ab? Diese Frage stellen sich ob der Gewalt in Istanbul immer mehr westliche Politiker. Foto: DPA

Die Eskalation der Polizeigewalt in der Türkei treibt die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan immer weiter in die Enge. Die Türkei steht vor einer Zerreißprobe, der internationale Druck auf das Land wächst. UN und US-Regierung mahnten den Schutz der Grundrechte und einen Dialog an.

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Angesichts des großen Drucks erwägt Erdogan, im Streit um das Bauprojekt im Gezi-Park die Istanbuler entscheiden zu lassen. Den Vorschlag für ein Referendum habe Erdogan bei einem Treffen mit Künstlern, Wissenschaftlern und Publizisten gemacht, sagte ein Sprecher der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP.

Allerdings fehlten bei dem Treffen wichtige Organisatoren der Proteste. „Wir verfolgen die Ereignisse in der Türkei mit Besorgnis und unterstreichen das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit und darauf, friedlich zu demonstrieren“, erklärte Caitlin Hayden, Sprecherin des Sicherheitsstabs von US-Präsident Barack Obama.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief alle Beteiligten zur Ruhe auf. „Proteste sollten friedlich sein, und das Recht auf Versammlung und freie Meinungsäußerung sollte respektiert werden, denn das sind fundamentale Prinzipien eines demokratischen Staates“, sagte sein Sprecher. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton warnte die EU aber davor, auf Distanz zur Türkei zu gehen. „Dies ist nicht der Moment, sich zu lösen, sondern sich noch stärker zu engagieren.“ Die türkische Polizei hatte in der Nacht zum Mittwoch in Istanbul mit Tränengas und Wasserwerfern Zehntausende Demonstranten vom Taksim-Platz vertrieben.

Der Großeinsatz verschärfte die Lage nach zehn Tagen wieder dramatisch. Der Gouverneur von Istanbul, Hüseyin Avni Mutlu, beschuldigte die Demonstranten, die Polizei angegriffen zu haben. Der Einsatz wird so lange fortgesetzt wie nötig, sagte er. Der Gouverneur forderte die Bürger auf, sich vom Taksim-Platz fernzuhalten, bis Sicherheit hergestellt ist.

In der schwarz-gelben Koalition gibt es harsche Kritik an Erdogans Vorgehen: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte „konstruktive Gespräche durch Besonnenheit aller Seiten“. Philipp Mißfelder (CDU) wurde deutlicher: „Erdogan muss sich entscheiden, ob er Demokrat oder Sultan sein will.“ Der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Markus Löning (FDP), sieht Auswirkungen auf die Beitrittsgespräche der Türkei mit der EU. „Die erschreckenden Bilder zeigen eindrücklich, dass es in den vergangenen Jahren schwere Rückschläge in der inneren Entwicklung der Türkei gegeben hat.“

Die türkische Rundfunkbehörde RTÜK ging derweil gegen kritische Sender vor. Die Protestbewegung ließ sich davon nicht beeindrucken: Am Abend versammelten sich wieder Tausende in Istanbul.