Berlin

Piraten steuern ins Ungewisse

Johannes Ponader
Der politische Geschäftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader: Politiker des etwas anderen Typs. Foto: DPA

Der politische Geschäftsführer der Piratenpartei, Johannes Ponader, sitzt in einer Talkshow mit Spitzenpolitikern der etablierten Parteien und hält sich zurück. Es geht, wie so oft, um die Euro-Krise. Alle werden immer lauter, streiten und lassen einander nicht ausreden. Als der Moderator Ponader doch mal etwas fragt, kritisiert der Pirat die Gesprächsführung der anderen. Inhaltlich hat er nichts beizutragen. Wenn die Partei in den Bundestag einziehen will, kann sie sich solche Auftritte nicht mehr leisten.

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Denn die Entzauberung der Piraten hat bereits begonnen. Die Faszination des Neuen droht der Ernüchterung zu weichen, dass man zur Lösung der aktuellen europäischen Probleme eben doch eine Meinung haben sollte, wenn man darüber künftig im Bundestag mitbestimmen will. Im neuen ZDF-Politbarometer sind die Piraten bereits auf 6 Prozent gesunken. Meinungsforscher hatten ihnen vor einigen Monaten noch zweistellige Wahlergebnisse zugetraut. Mittlerweile halten sie es nicht mehr für ausgemacht, dass die Piraten es überhaupt in den Bundestag schaffen. Zum Teil scheitern sie an ihren eigenen Ansprüchen. Anderssein allein reicht zwar für den kurzen Erfolg, ist aber kein Politikkonzept.

Rückblende: Vor knapp einem Jahr zeichnet sich in Berlin die erste Sensation ab. Der Höhenflug der jungen Partei, die inzwischen in Deutschland 35.000 Mitglieder hat, nimmt ihren Anfang. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus erreichen die Piraten aus dem Stand 8,9 Prozent und ziehen mit 15 Abgeordneten ins Landesparlament ein. Der andere Ton, die Unbedarftheit der neuen Partei versprachen, den verstaubten Politik-betrieb ordentlich aufzumischen. Protestwähler, enttäuschte Mitglieder der etablierten Parteien und Internetaktivisten vereinten sich unter dem orangenen Banner. Die Piraten fangen den Zeitgeist auf: Wo sich immer mehr Menschen von der aktuellen Politik der täglich neuen Euro-Rettungsstrategien abwenden, kommt ihr Angebot, eine verständliche Sprache zu sprechen, durchaus an. Sie wollen keine Polit-Phrasen dreschen, stattdessen dafür sorgen, dass Bürger wieder mehr mitbekommen und mitbestimmen können. Für die etablierten Volksparteien war der Senkrechtstart der Piratenpartei durchaus ein heilsames Schockerlebnis: Seit die Piraten die politische Bühne betreten haben, bemühen sich auch andere um Transparenz, Bürgerbeteiligung und Kompetenz bei Internetthemen. Es ist vielleicht der bisher größte Verdienst der Piraten, dem Politbetrieb den Spiegel vorgehalten zu haben.

Inhaltliche Bilanz fällt bescheiden aus

Das Versprechen eines anderen Stils reichte offenbar aus, um zumindest auch die Landtage im Saarland (7,4 Prozent), in Schleswig-Holstein (8,2 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (7,8 Prozent) noch locker zu entern. Nach knapp einem Jahr Parlamentsarbeit im Berliner Abgeordnetenhaus fällt die inhaltliche Bilanz allerdings bescheiden aus: Neben zahlreichen Personalquerelen, Rücktritten und Streitereien sind die Piraten kaum mit eigenen Positionen und Anträgen in Erscheinung getreten. In diesem Sommer tagte auch die Berliner Piratenfraktion hinter verschlossenen Türen – die Politiker drohten zwischen eigener Parteibasis und Öffentlichkeit zerrieben zu werden. Ihren eigenen Anspruch, anders als alle anderen immer transparent zu handeln, haben sie damit aber aufgegeben.

Es wird Zeit für ein Programm

Bundespolitisch ist völlig unklar, wo die Piraten stehen, obwohl noch der vorherige Vorsitzende Sebastian Nerz im vergangenen Jahr angekündigt hatte, dass sie antreten wollen. Es würde also allmählich Zeit für ein Programm. Im Herbst wollen die Piraten immerhin nun darüber beraten. Je nach Landesverband sind sie mal liberal, mal links aufgestellt, einige Mitglieder fielen auch schon mit rechtspopulistischen Äußerungen auf. Davon hat sich die Partei inzwischen distanziert.

Bisher sind sie auch die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, ob sie lediglich ein neues „Betriebssystem“, also einen neuen Stil etablieren oder ob sie sich tatsächlich auch inhaltlich in der Parteienlandschaft verankern wollen. Der erste Sturm der Begeisterung jedenfalls ist spürbar vorüber. Jetzt müssten auch die Piraten endlich mal Haltung zeigen.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann