Koblenz

Oft im Gespräch, noch selten auf der Straße: Acht Mythen über das E-Auto

Von Jochen Magnus

Über E-Autos wird viel geredet und geschrieben – auf der Straße sieht man sie nur selten. Kein Wunder, denn ihr Anteil liegt bei einem Viertelprozent: 131.000 von 57 Millionen Autos fahren in Deutschland rein elektrisch, also nicht mal jedes 400. Automobil.

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Dennoch werden schon eine Reihe Krisen und Probleme herbeigeredet und -geschrieben, an denen die Elektromobilität schuld sein soll. So droht angeblich der Niedergang der Autoindustrie, „Fachleute“ warnen vor Großbränden in Tiefgaragen und Parkhäuser, manche fantasieren von einer E-Auto-Lobby, die angeblich alternative Kraftstoffe unterdrückt. Noch älter sind die Vorwürfe wegen umweltschädlichen und menschenfeindlichen Abbaus von Lithium und anderer Rohstoffe. Raffiniert ist die Erfindung des „CO2-Rucksacks“, den E-Autos tragen müssen, weil der Bau von aufladbaren Batterien (Akkus) so energieintensiv ist. Und überhaupt: Wer braucht schon Akkus? Wasserstoff ist die Zukunft oder synthetische Kraftstoffe – jetzt bloß nicht vorschnell ein Batterieauto kaufen! Wer sich von alledem nicht bange machen lässt, dem wird wenigstens „Reichweitenangst“ gemacht oder gar mit einem Blackout gedroht. Was ist von alledem wahr?

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1 Die Krise der Autoindustrie: Derzeit werden in Deutschland nur wenige E-Autos produziert, der neue VW ID nur in einstelligen Stückzahlen täglich. Dagegen verkaufen sich konventionelle Autos „made in Germany“ wie geschnitten Brot: Mercedes, Audi und BMW vermelden aktuell große Zuwächse, und selbst VW verdient sich – trotz Dieselskandals und Investitionen in E-Auto- Technik – eine goldene Nase. Dennoch machen Meldungen von Arbeitsplatzabbau bei Zulieferern die Runde: Bosch streicht Stellen, Schaeffler und Continental ebenso, Michelin schließt ein Werk in Bayern. Doch das geht im Fall von Bosch auf den Dieselskandal zurück, an dem die Firma beteiligt war. Die Zulieferer leiden unter gesunkenem Absatz durch den weltweiten Verkaufsrückgang im ersten Halbjahr, insbesondere an einer Absatzkrise in China. Auch die Umstellung auf neue Abgasnormen kostete Umsatz und die stärker werdende asiatische Konkurrenz sowieso. Die Umstellung auf E-Autos hat dagegen noch gar nicht stattgefunden, man spart also eher vorsorglich ein oder böswillig ausgedrückt: Man nutzt den medialen E-Auto-Hype, um sich gesundzuschrumpfen. Das E-Auto, das es bisher kaum gibt, wird zum Sündenbock gemacht.

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2 Brandgefährliche E-Autos. Immer wieder wird von brennenden oder gar explodierenden Elektroautos berichtet. Manchmal wird Wochen später Brandstiftung als Ursache ermittelt, aber dann ist das sensationelle Ereignis längst wieder vergessen. Ein anderes Beispiel: Als im Sommer ein Tesla auf einer Moskauer Schnellstraße mit hohem Tempo auf ein stehendes Baustellenfahrzeug prallte, wurde nicht etwa gefeiert, dass alle Passagiere, darunter Kinder, fast unverletzt aussteigen konnten. Nein, Aufsehen erregte, dass der Wagen sich anschließend entzündete und „explodierte“. Tatsächlich explodieren in solchen Fällen eventuell einzelne Akkuzellen nacheinander mit dramatischer Lautstärke, aber geringer Zerstörungskraft.

Richtig ist aber: ein abgelöschtes E-Auto muss bis zu 72 Stunden lang beobachtet und im Zweifel unter Wasser gekühlt werden, weil sich Akkuzellen immer noch entzünden könnten. Die Feuerwehren sind seit Jahren über die Gefahren informiert, haben exakte Handlungsanweisungen und rüsten sich aus. Warum vor einigen Wochen 70 konventionelle Autos in einem Flughafenparkhaus bei Münster abbrannten, weiß man dagegen noch immer nicht: ob Brandstiftung oder technischer Defekt, Autos sind immer ein Brandrisiko.

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3 Alternative Kraftstoffe. Warum stellt man nicht einfach auf ökologisch einwandfrei erzeugte synthetische Kraftstoffe um? Dann könnte man weiterhin sein altes Auto nutzen und wie üblich auftanken. Die Antwort ist einfach: Das Herstellen solcher „E-Fuels“ benötigt sehr viel Energie in Form von Strom und Verbrennungsmotoren sind energetisch wenig effizient, das gilt auch für Wasserstoff statt Benzin. Um Treibstoffe umweltfreundlich herzustellen, müsste man ein Vielfaches mehr an Ökostrom erzeugen, als heute möglich ist: Viel mehr Windräder, viel mehr Photovoltaik. Das ist aber nicht in Sicht, im Gegenteil: der Ausbau der Erneuerbaren stagniert. An synthetische Kraftstoffe für Autos ist daher mittelfristig nicht zu denken. Die Idee, Ökotreibstoffe aus sonnenreichen Gegenden wie Nordafrika zu importieren, ist bisher nur eine Utopie.

Und Biokraftstoff? Angeblich lässt sich Diesel aus altem Frittenfett herstellen. Das ist richtig, im Frittenland Holland kommt tatsächlich einiges davon in den Tank. Aber hier geht es nur um ein paar Prozent Anteil am Diesel, und das hilft gegen die Klimakrise wenig, zumal auch die Reinigung von Abfallöl viel Energie verbrät. Die andere Hoffnung, aus Ackerpflanzen sämtlichen Kraftstoff zu gewinnen, darf man getrost begraben: Das konkurriert mit dem Anbau von Nahrungsmitteln oder führt – wie beim Palmöl – zur dramatischen Rodung riesiger Urwaldflächen.

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4 Lieber Wasserstoff- als E-Autos. Was viele offenbar immer noch nicht wissen: Auch heutige Wasserstoffautos sind E-Autos. Der Fahrstrom wird bei ihnen nicht aus der Steckdose in einen großen Akku geladen, sondern in einer Brennstoffzelle aus dem getankten Wasserstoff sowie Sauerstoff aus der Luft erzeugt und in einem kleinen Akku zwischengespeichert. Leider gilt für die Gewinnung von Wasserstoff das Gleiche wie für synthetische Kraftstoffe: Man braucht dafür viel Strom. Zwar ist die Energieausnutzung günstiger als bei E-Fuels, jedoch viel schlechter als beim direkten Laden von Strom in Batterien. Auch hier müsste es also mehr Ökostrom geben, als derzeit verfügbar ist. Außerdem kann man mit der heutigen Technik zwar schnell nachtanken, aber der Nächste an der Wasserstoffzapfsäule muss etliche Minuten warten, bis neuer Wasserstoff nachgepumpt und verdichtet wurde. Die noch sehr teuren Brennstoffzellen werden mittelfristig wohl eher für den Schwerlastverkehr, für Schiffe und vielleicht Flugzeuge eingesetzt werden, als in PKW.

Sollte es einmal genügend grünen Wasserstoff geben, könnte auch eine Kombination aus Brennstoffzelle und kleinerem Akku interessant werden. Mercedes–Benz baut in Kleinserie einen solchen Hybriden, den GLC F-Cell. Man kann ihn sowohl direkt mit Strom aufladen (zum Beispiel aus einer Photovoltaikanlage), als auch mit Wasserstoff betanken. Weil Brennstoffzellen in dieser Kombination besonders effizient und ausdauernd arbeiten, könnten solche Zwitter eine Zukunft haben. Auch der Aachener Elektroprofessor und E-Pionier Günther Schuh (Post-Streetscooter, e.Go) arbeitet daran.

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5 Die Rohstoffe und der CO2-Rucksack. Für die Herstellung von E-Autos werden Seltene Erden, Kobalt, viel Lithium und viel Strom benötigt. Daher sind, laut einigen Studien, E-Autos ab Werk umweltschädlicher als Dieselfahrzeuge. Im Prinzip stimmt das, doch stützen sich solche Studien oft auf ältere Daten oder gewichten diese seltsam. So wird regelmäßig die Akkulebenszeit erheblich unterschätzt. Fakt ist aber: Die Hersteller minimieren fortlaufend den Verbrauch seltener Rohstoffe, sorgen sich inzwischen um menschenwürdige und umweltverträgliche Abbaubedingungen und setzen oft selbst produzierten Ökostrom ein.

Tesla nutzt nach eigenen Angaben in der Gigafactory in Nevada nur Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage. Das neue Werk in Brandenburg soll mit Wind- und Sonnenenergie gespeist werden, das war ein wichtiges Kriterium bei der Standortwahl. Auch Volkswagen hat sich zur CO2-Neutralität bei der Produktion des ID.3 verpflichtet. Die CO2-Rucksäcke dürften also zumindest bei US- und heimischen Produkten viel kleiner sein als befürchtet und werden auch durch die zurückgelegten Kilometer immer schneller kompensiert, falls der Anteil von Ökostrom weiterhin steigt.

6 Zu wenig Strom – der Blackout droht. Selbst der recht angesehene Fernsehprofessor Harald Lesch verstieg sich vor einigen Monaten zu der Behauptung, viele E-Autos könnten zu einem Blackout, also einem totalen Stromausfall, führen: Wenn zukünftig eine Million E-Autos gleichzeitig mit 350 Kilowatt (kW) schnellladen würden, passierte das, nahm er an. Was Lesch aber nicht erwähnte: Der durchschnittliche Tagesverbrauch eines E-Autos liegt bei ungefähr sechs Kilowattstunden. Somit wäre – einfacher Dreisatz – der Akku nach einer Minute am Schnellader wieder voll. Wer aber würde sein Auto für nur eine Minute zur Schnellladesäule fahren? Bestimmt nicht eine Million Menschen gleichzeitig! Man würde doch eher nur alle ein, zwei Wochen mal auf diese Art Strom laden fahren.

Tatsächlich werden E-Autos zumeist nicht mit Hunderten Kilowatt, sondern nur mit 3 bis 11 kW geladen. Dann dauert die tägliche Durchschnittsladung eine halbe bis zwei Stunden. Wenn das eine Million Menschen gleichzeitig täten, wäre es genauso das gleiche, als wenn fünf Millionen sich gleichzeitig die Haare föhnten: höchstens 10 Gigawatt würden dafür benötigt. Die Spitzenlast, die das deutsche Stromnetz heute schon verkraften muss, liegt achtmal so hoch – einen Blackout muss man also nicht befürchten. Die Annahme von Lesch ist genauso verrückt wie die Vorstellung, was passieren würde, wenn eine Million Autofahrer gleichzeitig tanken wollten: Das ist reine Panikmache.

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7 Die Reichweitenangst. 500 Kilometer und mehr am Stück mit einem Tesla, 400 Kilometer mit einem Kia oder VW: warum sollte man da noch Angst haben? Normalerweise fährt man täglich sowieso nur zweistellige Kilometer und die Dauerfernfahrer dürfen sich gern weiterhin Diesel kaufen. Denn bei der Verkehrswende geht es nicht darum, dass bereits morgen alle elektrisch fahren. Es wäre schon gut, wenn im nächsten Jahr nicht nur jedes 400., sondern vielleicht jedes 100. Auto elektrisch fahren und sich der E-Anteil anschließend jährlich um einige Prozentpunkte steigern würde.

8 E-Autos sind langweilig. Zugegeben, wer seinen Fahrspaß aus einem röhrenden Auspuff nährt, wird in einem E-Auto emotional verhungern. Wem es aber um Fahrleistungen geht, wird schon mit kleineren Modellen gut bedient. Was die Topmodelle auf der Rennstrecke bringen, zeigten kürzlich Porsche-Taycan und Tesla Model S im Wettstreit auf der Nordschleife des Nürburgrings mit Rundenzeiten um siebeneinhalb Minuten. Dass E-Autos alles andere als langweilig sind, kann jeder am einfachsten selbst bei einer Probefahrt feststellen.

Unser Redakteur Jochen Magnus fährt selbst E-Auto und auch ein E-Motorrad. Hier beschäftigt er sich mit den Vorurteilen gegen batterieelektrische Fahrzeuge.