Niedrige Corona-Zahlen im Norden – eine Frage der Mentalität

Von Christian Kunst, dpa, epd
Nein, das ist kein Sommerbild, sondern eines aus dem November. Vielleicht sind viele Norddeutsche auch abgehärteter gegen Infektionen.
Nein, das ist kein Sommerbild, sondern eines aus dem November. Vielleicht sind viele Norddeutsche auch abgehärteter gegen Infektionen. Foto: dpa

Der Norddeutsche sagt: „Watt mutt, datt mutt.“ Der Kölner sagt: „Et hätt noch immer jot jejange.“ Der Norddeutsche schüttelt den Kopf: „Ne. Watt mutt, datt mutt.“ Hochdeutsch: einfach hinnehmen, einfach machen. Die zwei Redensarten zeigen, dass es in der Corona-Krise auch auf die Mentalität ankommt. Hier die norddeutsche Disziplin, dort der rheinische Optimismus – vielleicht aber auch gepaart mit etwas Sorglosigkeit.

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Derzeit scheint die norddeutsche Mentalität klar von Vorteil zu sein, wenn man auf die Karte der Neuinfektionen des Robert Koch-Instituts (RKI) schaut. Während fast die gesamte Republik tiefrot gefärbt ist, überwiegen im Norden und Nordosten helle Farben. In Bayern lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Sonntag laut RKI bei 174, in Baden-Württemberg bei 129 und in Sachsen sogar bei 226.

Schleswig-Holstein unterschreitet mit zuletzt 47 Fällen sogar die kritische 50er-Marke. In Mecklenburg-Vorpommern liegt die Inzidenz bei 46 – der bundesweit niedrigste Wert. Auch Hamburg hat mit 82 Fällen im Vergleich mit anderen Großstädten den niedrigsten Wert. Und selbst Niedersachsen liegt mit 84 Fällen im moderaten Bereich. Im Kreis Schleswig-Flensburg lag der Corona-Warnwert sogar unter elf. Bundesweit war der Wert nirgendwo sonst so niedrig. Gleich sechs Kreise im hohen Norden zählten zu den zehn Kreisen mit den bundesweit niedrigsten Zahlen.

Lassen wir erst mal einen Bayer zu Wort kommen, um zu erklären, was da los ist im Norden. Jonas Schreyögg, seines Zeichens Gesundheitsökonom, sagt: „Vielleicht ist es auch die protestantische Prägung des Nordens, die dazu führt, dass die Menschen mehr regelkonform sind.“ Schreyögg könnte es wissen, denn er ist Direktor des Hamburg Center for Health Economics der Uni Hamburg. Über seine Heimat im Süden sagte er dem „Hamburger Abendblatt“: „In Bayern lässt man sich trotz der Gefahr manche Möglichkeit des Kontakts einfach nicht nehmen.“

Dass Corona sich je nach Kultur unterschiedlich stark verbreitet, wissen wir spätestens seit dem Frühjahr, als die Zahl der Neuinfektionen besonders in Italien und Spanien explodierte und dadurch die Intensivstationen massiv überlastet waren und die Zahl der Toten ebenfalls in die Höhe schnellte.

Schreyögg sagt: „In südlichen Ländern wie Frankreich und Spanien kommen sich die Menschen recht nahe, obwohl sie wissen, dass dies ein Ansteckungsrisiko birgt.“ Innerhalb Deutschlands gebe es ein ähnliches kulturelles Gefälle: „Es ist eine Frage der Kultur.“ Eine Studie seines Instituts belegt auch, dass die Impfbereitschaft in keiner Region Deutschlands so hoch ist wie in Norddeutschland.

Und was sagen die Menschen im Norden selbst? „Die Leute sind hier ruhig und geduldig, wodurch die Einschränkungen mit der entsprechenden Ruhe und Gelassenheit hingenommen werden“, sagt Lars Harms, Fraktionschef des Südschleswigschen Wählerverbands im Kieler Landtag. Und: „Die Zahl der Corona-Leugner strebt hier gegen null, wodurch eben auch niemand aus der Reihe tanzt.“

Der Kieler Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) drückt sich da etwas gewählter aus: Für ihn sind die niedrigen Corona-Zahlen vor allem dem Zusammenspiel zwischen Akzeptanz und Verständnis der Menschen für die Notwendigkeit der Maßnahmen sowie „dem umsichtigen, aber konsequenten Regierungshandeln“ geschuldet.

Schleswig-Flensburgs Landrat Wolfgang Buschmann redet in der „Bild“ da eher Klartext: „Im Norden ist es so: Die Leute halten lieber fünf Meter Abstand als die vorgeschriebenen 1,5. Spaß beiseite: Es gibt viele glückliche Umstände. Und: Wir sind durch die Ostsee und im Norden durch Dänemark begrenzt. Von da kommt kein Corona.“

Klar. Und der hohe Norden ist eben auch ziemlich dünn besiedelt. Da, wo nicht, wie in Kiel, ist die RKI-Landkarte eben auch rot. Und dann sind da noch die Touristen, die ja eh immer an allem schuld sind. Als die noch da waren, sah es im Norden gar nicht so rosig aus. Da war die Inzidenz auch im ebenfalls an Dänemark grenzenden Kreis Nordfriesland deutlich höher als aktuell mit 17,5. Es scheint aber, dass einige Touristen vom Norden gelernt haben: Denn mittlerweile sinken die Zahlen auch in einigen rheinland-pfälzischen Kreisen. Watt mutt, datt mutt. Christian Kunst/dpa/epd