Chicago

Nato-Gipfel: Afghanistan-Rückzug ist auch Geldfrage

Es ist seine Stadt, es ist sein Gipfel, nun soll es sein Erfolg werden. Der kühle Praktiker Barack Obama möchte zeigen, dass er kompetent zu managen versteht, was er einen „geordneten und verantwortungsvollen“ Rückzug nennt – den Abschied aus Afghanistan, zu vollziehen bis Ende 2014.

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Schon jetzt will der Präsident eine genaue Skizze vorstellen, rechtzeitig vor der Wahl im November, damit die kriegsmüden Amerikaner Licht am Ende des Tunnels sehen. Deshalb sitzt er vor zartblauer Fotowand neben Hamid Karsai, seinem aus Kabul angereisten Amtskollegen, und sagt: „Die Welt steht hinter der Strategie, die wir konzipiert haben.“

Die Nato sei vereint in der Entschlossenheit, ihre Mission zu erfüllen. Bereits 2013 sollen afghanische Sicherheitskräfte das Kommando übernehmen, im Jahr darauf sollen die letzten Kampftruppen des Westens abrücken, das Gros vermutlich über Usbekistan.

Hinter den Kulissen aber wird kräftig gepokert, wie so häufig ums Geld. Pakistan signalisiert seine Bereitschaft, jene Transitrouten wieder zu öffnen, die es im November nach einem amerikanischen Luftschlag auf eines seiner Militärlager an der afghanischen Grenze gesperrt hatte. Bis dahin waren etwa 40 Prozent des Nachschubs über die vom Hafen Karachi nach Norden führenden Straßen abgewickelt worden. Nun deutet der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari einen Schwenk an. Allerdings verlangt er Gebühren von 5000 Dollar pro Lastwagen, das 20-Fache der Summe, die sein Land vor der Sperre kassierte. Die Amerikaner empfinden es als Zumutung, und auch Obama zeigt, dass er zu pokern versteht. Ein bilaterales Gespräch, auf das Zardari sehnlichst wartet, kommt bislang nicht zustande.

Dann ist da François Hollande. Der neue Mann in Paris will einlösen, was er im Wahlkampf versprach. Schon bis Ende des Jahres will er die 3100 am Hindukusch stationierten französischen Soldaten nach Hause holen. Wer erwartet hatte, dass Hollande unter dem Druck seiner Verbündeten in die Knie gehen würde, sieht sich eines Besseren belehrt. Seine Entscheidung sei nicht verhandelbar, lässt er wissen, „denn dies ist eine Frage der Souveränität.“

Die Reaktionen schwanken zwischen Alarmtönen und gespielter Gelassenheit. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle warnt in dramatischer Wortwahl vor einem „Abzugswettlauf“ aus innenpolitischen Gründen. Kanzlerin Angela Merkel gibt sich entspannter: Sie hoffe, dass Frankreich im Verbund der Schutztruppe Isaf bleibe. Kompromissideen machen die Runde. Paris, streuen die Amerikaner, werde zwar seine Kampftruppen abziehen, dafür aber seinen Beitrag zur Logistik der Isaf verstärken, etwa am Flughafen Kabul, und obendrein einen höheren Beitrag bei der Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten leisten. „Es gibt keinen Ansturm auf den Ausgang“, steuert Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen eine verbale Beruhigungspille bei.

Wer nach 2014 wie viel Geld an den Hindukusch pumpt, auch darüber wird hart verhandelt. Damit die afghanische Armee eine Rückkehr der Taliban an die Macht verhindern kann, soll sie langfristig vom Westen finanziert werden, zunächst bis 2024. Dazu sollen pro Jahr 4,1 Milliarden Dollar fließen, knapp zwei Drittel davon aus den USA, der Rest aus Europa. Noch sind wichtige Details nicht geklärt, zumal das Weiße Haus die Europäer gern noch stärker einspannen würde.

Von unserem US-Korrespondenten Frank Herrmann