Nach Kollaps eines Kreuznacher Busfahrers: Wie verändert das Klima unsere Arbeit?

Wie verändert das Klima unsere Arbeit? Das Beispiel eines Busfahrers aus Bad Kreuznach rüttelt auf.
Wie verändert das Klima unsere Arbeit? Das Beispiel eines Busfahrers aus Bad Kreuznach rüttelt auf. Foto: dpa

Wie massiv verändert der Klimawandel die Arbeitswelt und zwingt uns, Arbeitsschutz neu zu denken? Was ist von einer Siesta zu halten, wenn immer häufiger 40 Grad gemessen werden und Temperaturen bis zur Jahrhundertmitte gar auf 46 Grad steigen? Wie erleichtern bereits jetzt erste Tarifverträge flexibles Arbeiten – im Dachdeckerhandwerk zum Beispiel? Wir haben Experten aus unterschiedlichen Branchen befragt.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Dass in vielen Bereichen enormer Handlungsdruck herrscht, zeigt ein spektakulärer Fall aus Bad Kreuznach: Ein Busfahrer kollabierte dort im Juli in einem bei Gluthitze aufgeheizten Bus der Stadtbus Bad Kreuznach GmbH und musste ins Krankenhaus, wie der Betriebsratsvorsitzende Thomas Rockel schildert. „Er wusste gar nicht mehr, wie er mit Bus und Fahrgästen durch den Verkehr zum Bahnhof gekommen war.“

Rockel zeigte den Arbeitgeber wegen Körperverletzung und Nötigung an, zumal auch andere Busfahrer Hitzschläge erlitten hätten. Er selbst stoppe den Bus, wenn seine Konzentration am Steuer bei 44,4 Grad und mehr nachlässt. Diese Temperatur habe die Prüfgesellschaft Dekra um 13 Uhr gemessen – also „zur noch nicht heißesten Zeit des Tages“. Damit Busse bei Hitze nicht zur Gefahr werden, fordert Rockel klimatisierte Fahrerkabinen. Mit Ventilatoren, die zu Bindehaut- und Nackenproblemen führen können, ist er nicht zufrieden.

Wie der Bad Kreuznacher Fall strafrechtlich weitergeht, ist unklar. Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann hat das Verfahren im ersten Anlauf eingestellt. Nach einer Beschwerde kann der Betriebsrat ergänzende Begründungen nachreichen. Ob sich der Konflikt überhaupt vor Gericht lösen lässt, ist offen. Eine Arbeitsstättenverordnung für Busse gibt es nicht, sagt der Staatsanwalt.

Allerdings gilt der gesetzliche Arbeitsschutz in Bussen ebenso wie im Büro oder auf dem Bau, sagt der Verkehrsexperte bei Verdi, Gewerkschaftssekretär Marko Bärschneider, im Gespräch mit unserer Zeitung. Die EU verlange bereits Klimaanlagen in Bussen. Bei neuen europaweiten Ausschreibungen von Konzessionen dürfte dies Busunternehmen zum Nachrüsten zwingen. Zumindest mittelfristig sollen „Saunabusse“ auch an der Nahe verschwinden: Oberbürgermeisterin Heike Kaster-Meurer (SPD) kündigt an, dass bei der Ausschreibung 2021 klimatisierte Busse gefordert werden.

Die Stadtbus GmbH verweist darauf, dass sie ohnehin schon vor Jahren begonnen habe, nach und nach Busse mit Klimatechnik zu kaufen, und die Gewerbeaufsicht zuletzt nichts beanstandet habe. Man könne nicht auf einen Schlag alle Busse austauschen, zumal die Stadt dafür nichts zahle und man nicht wisse, ob man 2021 den Zuschlag für die Linien erhält. Das Beispiel zeigt, welche Investitionen der Klimawandel noch vielen Branchen erfordern wird.

Denn nicht nur Busunternehmen, sondern alle Arbeitgeber sind verpflichtet, das Risiko für Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz ständig neu zu untersuchen, um Arbeitsschutz zu garantieren – baulich-technisch oder organisatorisch. Das sagt Prof. Dirk-Matthias Rose vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Mainzer Uniklinik. Konkret bedeutet das: Herrschen in einem Raum mehr als 35 Grad, ist eigentlich die Arbeit einzustellen. Weil daran kein Chef Interesse hat, muss er nach Mitteln suchen, wie das Arbeitsklima erträglich bleibt. Rose berichtet, dass er beispielsweise für die Lufthansa die sich schnell aufheizenden Glaskabinen der Schlepperfahrer auf dem Frankfurter Flughafen begutachtet hat und feststellte: Nach vier Stunden stiegen die Herzfrequenz und die Fehlerhäufigkeit der Fahrer. Folge: Die Kabinen wurden klimatisiert.

Bei 40 Grad und mehr kann auch niemand mehr auf einem Dach arbeiten – zum Beispiel als Dachdecker. Aber: Gerade dieses Handwerk hat tarifliche Verträge, die mit Blick auf den Klimawandel zur Blaupause für andere Branchen auf dem Bau werden könnten. Das sagt der Präsident der Handwerkskammer (HwK) Koblenz, Kurt Krautscheid. Und er hat schließlich Erfahrungen aus seinem eigenen Betrieb.

Denn eine Regelung, die eigentlich für schlechtes Wetter im Winter gedacht war, greift jetzt auch bei größter Sommerhitze: Auf einem Konto könnten bis zu 150 Überstunden angespart werden, die auch bei Hitze abgebaut werden können. Laut Krautscheid sind seine Dachdecker in diesem Sommer bereits um 6 Uhr oder früher mit Sonnencreme und viel Wasser zur Baustelle gefahren. Sie kamen dann um 12 oder 13 Uhr wieder in den Betrieb, haben im Schatten noch den Wagen für den nächsten Tag geladen. Diese Abläufe hätten sich bewährt, berichtet Krautscheid. Langärmelige Shirts „gehören dabei zur Grundausstattung“.

Von einer gesetzlich verordneten Siesta hält Krautscheid dagegen nichts – zumal die Nachmittagshitze teils größer war als die zur Mittagszeit. Außerdem müssten die Arbeitgeber dann auch Schlafstätten schaffen. „Familienfreundlich wären diese Arbeitszeiten auch nicht“, heißt es aus Gewerkschaftskreisen – klimafreundlich bei teils sehr langen Anfahrtswegen auch nicht. Der Koblenzer HwK-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich geht davon aus, dass die Tarifvertragsparteien ähnliche Arbeitszeitkontenmodelle wie die Dachdecker „in der Schublade haben“. Denn man müsse sich darauf einstellen, dass 40 Grad im Sommer zum Standard und die Winter eher milder würden.

Und in der Tat: Der Frankfurter IG-BAU-Arbeitsschutzexperte Gerhard Citrich hat alle Arbeitgeberverbände seiner Branche angeschrieben, um bis zum nächsten Sommer eine Lösung zu finden. „Durch den Klimawandel müssen wir umdenken“, steht für ihn fest. Er fordert ein Sommerausfallgeld für Bauarbeiter. Wenn ein Überstundenkonto aufgebraucht ist, soll auch der Staat bei den Lohnkosten mit Zuschüssen einspringen. Deshalb sei er auch mit der Bundesregierung im Gespräch. Er hofft, dass es bis zur nächsten großen Hitzewelle eine erste solidarische Einigung als Vorsorge für die Klimazukunft gibt.

Wichtig ist dem Arbeitsschutzexperten auf jeden Fall, dass neben Sonnencreme und Wasser auch Funktionskleidung wie UV-Westen oder Helme mit Nackenschutz zur Routine werden, um sich besser vor weißem Hautkrebs zu schützen. Nicht auf allen Baustellen könnten Sonnensegel aufgestellt, nicht an allen Straßen fahrbare Sonnendächer eingesetzt werden, wie sie zum Beispiel bei der Feldarbeit gut schützen.

Die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord kontrolliert den Schutz vor brennender Sonne, wie Sprecherin Sandra Hansen-Spurzem, sagt. Dabei prüfe sie, ob Sonnensegel oder Schirme, Kleidung sowie geänderte Arbeitszeiten den Gefahren vorbeugen. Wie der Landesbetrieb Mobilität berichtet, passt er seine Schutzkleidung für seine Betriebsdienstmitarbeiter an. Allerdings seien für Arbeiter, die mehr als 140 Grad heißen Asphalt aufbringen müssen, Fremdfirmen zuständig. Aber nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird nur ein Drittel der Beschäftigten über Gefahren der vom Himmel brennenden Sonne informiert.

Und wie sorgt das Land in seinen Gebäuden für erträgliche Temperaturen? Das Finanz- und Bauministerium setzt in erster Linie auf einfache Lösungen, wie Sprecherin Annika Herbel sagt. Dabei wird nächtliches Lüften genannt, was in vielen Gebäuden aber aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist. Außerdem dürften Wände und Decken, die Kälte oder Wärme speichern können, nicht verkleidet werden. In Böden, Decken oder auch Wänden sollen zudem Rohrleitungen stecken, die im Winter beheizt und im Sommer gekühlt werden. Weil dies aber nicht immer ausreicht, haben es auch viele Landesbehörden im Sommer ermöglicht, dass ihre Mitarbeiter bereits ab 6 Uhr am Schreibtisch sitzen und früher Schluss machen können.

Berufsrisiko Hautkrebs wächst rapide

Etwa 2,4 Millionen Beschäftigte, die auf Straßen, auf dem Feld oder dem Bau draußen arbeiten, sind wegen der natürlichen UV-Strahlung potenziell gefährdet, an Hautkrebs zu erkranken. Seit 2015 ist Hautkrebs durch UV-Strahlung als Berufskrankheit anerkannt. Innerhalb von drei Jahren nach Einführung der neuen Berufskrankheit 5103, „Plattenepithelkarzinome oder multiple aktinische Keratosen durch natürliche UV-Strahlung“, ist diese bereits zur zweithäufigsten Berufskrankheit mit 12.500 Fällen aufgestiegen.

Allein im nördlichen Rheinland-Pfalz gab es 2018 insgesamt 366 anerkannte Fälle, wie die Sprecherin der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord, Sandra Hansen-Spurzem, sagt. Wie die Gesetzliche Unfallversicherung mitteilt, wurden im vergangenen Jahr 4255 Fälle bestätigt. Allein der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft wurden 2018 knapp 2944 neue Verdachtsfälle gemeldet, im ersten Halbjahr 2019 waren es bereits etwa 1400 Meldungen. Die SGD Nord ist beim medizinischen Arbeitsschutz an Verfahren zur Anerkennung von Berufskrankheiten beteiligt. Ärzte und Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, den Verdacht auf eine Berufskrankheit beim Unfallversicherungsträger oder der SGD Nord anzuzeigen. „Zum Schutz der Arbeitnehmer prüft die SGD Nord in allen Fällen, ob die Unterlagen vollständig sind. Falls notwendig erstellt die SGD Nord zusätzliche Gutachten, die den Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung schildern“, berichtet Sprecherin Hansen-Spurzem.

Meistgelesene Artikel