Merkel kämpft um die Stabilitätsunion

Die drohende Herabstufung durch die Ratingagentur Standard & Poor's setzt die EU enorm unter Druck: Der Gipfel muss ein Erfolg werden.
Die drohende Herabstufung durch die Ratingagentur Standard & Poor's setzt die EU enorm unter Druck: Der Gipfel muss ein Erfolg werden. Foto: Atelier W. - Fotolia

Brüssel. Unter massivem Druck der Märkte hat am Donnerstagabend der entscheidende Krisengipfel zur Euro-Rettung begonnen. Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) drohte der gesamten EU mit einer Herabstufung, wenn bei dem Treffen keine überzeugende Lösung der Schuldenkrise gefunden wird. Unsere Korrespondentin Anja Ingenrieth beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Treffen:

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Brüssel – Unter massivem Druck der Märkte hat am Donnerstagabend der entscheidende Krisengipfel zur Euro-Rettung begonnen. Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) drohte der gesamten EU mit einer Herabstufung, wenn bei dem Treffen keine überzeugende Lösung der Schuldenkrise gefunden wird. Unsere Korrespondentin Anja Ingenrieth beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Treffen:

Geburtsfehler: Europa hat sich eine gemeinsame Währung gegeben – ohne Wirtschafts- und Finanzpolitik zu vereinheitlichen.
Geburtsfehler: Europa hat sich eine gemeinsame Währung gegeben – ohne Wirtschafts- und Finanzpolitik zu vereinheitlichen.
Foto: dpa

Was will Angela Merkel beim Gipfel erreichen?

Die Kanzlerin hat angekündigt, „keine faulen Kompromisse“ einzugehen. Sie will gemeinsam mit Frankreich den Geburtsfehler des Euro ausmerzen: Seine Väter schufen die Einheitswährung ohne eine gemeinsame Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik, was die Schuldenkrise mitverursacht hat. Denn während die Deutschen jahrelang auf niedrige Löhne für einen starken Export setzten, genehmigten sich die Südeuropäer zu hohe Löhne und verabschiedeten sich so vom internationalen Wettbewerb. Dieses Auseinanderdriften will Merkel nun beenden und dem gemeinsamem Geld eine ökonomische Union an die Seite stellen.

Wie soll das geschehen?

Deutschland und Frankeich wollen eine Stabilitätsunion durchsetzen: Die Euro-Länder sollen ihre Politik von Steuersenkungen bis zu Arbeitsmarktreformen enger abstimmen („Wirtschaftsregierung“). Dazu gibt es regelmäßige Gipfeltreffen. Alle Euro-Länder sollen Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild einführen, die vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden können. Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt. Schuldensünder sollen automatisch bestraft werden, wenn das Defizit die im Euro-Stabilitätspakt erlaubten 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) überschreitet. Bisher sorgte politischer Spielraum dafür, dass in mehr als 60 Defizitverfahren noch nie ein Land Strafe zahlen musste. Brüssel soll zudem verstärkte Durchgriffsrechte auf die nationale Haushaltspolitik bekommen. Um die Stabilitätsunion mit höchster Rechtsverbindlichkeit zu verankern, pocht Berlin auf eine Änderung der EU-Verträge – und stößt damit auf Widerstand.

Was sagen die Kritiker?

Vertragsänderungen sind riskant, weil sie in allen Staaten ratifiziert werden müssen, per Parlamentsbeschluss oder Volksabstimmung. Vor allem Londons Premier David Cameron droht mit einem Veto. Er hat daheim die starken Euro-Skeptiker im Nacken und kann mehr Macht für Brüssel kaum durchsetzen. Auch Tschechen, Iren, Schweden und die EU-Institutionen sind skeptisch. Sie fürchten eine noch tiefere Krise Europas, falls einzelne Staaten den Plan ablehnen. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy will die Stabilitätsunion daher trickreich über eine Protokolländerung einführen – dann wäre keine nationale Ratifizierung nötig. Deutschland ist das aber nicht verbindlich genug. Berlin hofft, dass die Briten letztlich einlenken, weil sie von den schärferen Regeln gar nicht betroffen sind – sie sollen nur für die Euro-Staaten gelten. Außerdem ist mit der Drohung von Standard & Poor's an die gesamte EU auch Londons Kreditwürdigkeit in Gefahr, sodass sich Cameron eigentlich keine Blockade leisten kann. Er dürfte aber hart um Gegenleistungen für ein Ja feilschen – darunter mehr Schutz der Londoner City vor Brüsseler Eingriffen etwa durch die geplante Finanztransaktionsteuer.

Was ist, wenn London stur bleibt?

Dann wollen die 17 Euro-Staaten – und eventuell andere willige Länder wie Polen – die Stabilitätsunion unter sich einführen. Rechtlich könnte dies im Vertrag für den geplanten permanenten Krisenfonds ESM festgeschrieben werden. Das politische Signal wäre allerdings verheerend: Europa wäre gespalten – in den harten Kern der Staaten einer Stabilitätsunion sowie den Rest unter Führung Londons.

Schaffen Vertragsänderungen neues Vertrauen der Märkte?

Allein nicht. Denn sie brauchen Zeit. Beim Gipfel geht es daher auch um die akute Krisenlösung. Der Euro-Rettungsfonds EFSF reicht nicht aus, um wackelnde Schwergewichte der Währungsunion wie Italien zu schützen. Denn der Plan, seine Schlagkraft mit Investoren-Geldern auf 1 Billion Euro zu hebeln, geht mangels Anlegerinteresse nicht auf. Allenfalls 500 bis 750 Milliarden gelten als realistisch. Daher soll der Internationale Währungsfonds (IWF) als Lückenfüller einspringen.

Wie soll der IWF helfen?

Die Euro-Länder wollen die Mittel des Währungsfonds aufstocken. Diskutiert wird eine Größenordnung von 200 Milliarden Euro – rund 150 Milliarden Euro von den Notenbanken der 17 Euro-Länder, der Rest von Nicht-Euro-Staaten. Der IWF soll das Geld an Krisenländer weiterreichen, die vom Kapitalmarkt abgeschnitten sind oder sich nur zu enormen Kosten refinanzieren können. Den Notenbanken ist die direkte Staatsfinanzierung verboten, dieser indirekte Weg über bilaterale Kredite aber nicht. Derzeit sind beim Fonds knapp 300 Milliarden Euro für Nothilfen an Krisenländer verfügbar. Im Idealfall hätten EFSF und IWF so gemeinsam eine Feuerkraft gegen die Krise von mehr als 1 Billion Euro.

Naht nun das Ende der Krise?

Das ist offen. In den Euro-Staaten geht die Angst um, dass es spätestens im Januar, wenn die Mitgliedsländer zig Milliarden Euro frisches Geld beschaffen müssen, zur nächsten Zuspitzung kommt. Deshalb hoffen viele Beobachter auf einen „Geheimpakt“ mit der EZB. Die Idee: Wenn die Euro-Zone zur Stabilitätsunion ausgebaut wird, gibt die Notenbank ihre Zurückhaltung bei Aufkäufen von Staatsanleihen krisengeplagter Staaten auf.