Merkel hält in aller Ruhe an ihrem Kurs fest

Die Kanzlerin vermeidet Streicheleinheiten für die christdemokratische Seele.
Die Kanzlerin vermeidet Streicheleinheiten für die christdemokratische Seele. Foto: DPA

Ein CDU-Mitglied aus Fulda stapft mit einer XXL-Packung Merci-Schokolade zum CDU-Parteitag in der Leipziger Messehalle. Der füllige Mann Mitte 60 will der Kanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel die süßen Tafeln persönlich überreichen. Dabei hat er nicht eben euphorische Lobeshymnen für sie übrig.

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Ein CDU-Mitglied aus Fulda stapft mit einer XXL-Packung Merci-Schokolade zum CDU-Parteitag in der Leipziger Messehalle. Der füllige Mann Mitte 60 will der Kanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel die süßen Tafeln persönlich überreichen. Dabei hat er nicht eben euphorische Lobeshymnen für sie übrig.

„Recht gut“ macht die Kanzlerin ihren Job, meint er und fügt entschuldigend hinzu, dass Merkel „mit den ganzen Gipfeln“ ja auch unglaublich viel zu tun habe. Deshalb soll sie Schokolade bekommen. Begeisterung klingt anders.

Doch es sind „besondere Zeiten“. Die Wendung ist zum Leitmotiv des 24. Parteitags der Union geworden, Argument für die Kehrtwenden der vergangenen Monate. Argument auch gegen das Murren an der Basis, die sich seit Langem fragt, wofür ihre Partei steht und wo Merkel mit ihr hinwill.

Nachdem die Kanzlerin zur Basis gesprochen hat, macht sich unter den rheinland-pfälzischen Delegierten verhaltene Zufriedenheit breit. Der siebenminütige Applaus für Merkel glich eher einer Pflichterfüllung denn einem Ausbruch von Euphorie. „Nachdenklich“ hat der Landtagsabgeordnete Josef Dötsch (Mülheim-Kärlich) ihre Worte empfunden. Die Streitthemen wie Energiewende, Mindestlohn und Abschaffung der Hauptschule hat sie aus seiner Sicht „klug abgeräumt“. Der Europaabgeordnete Werner Langen sieht in der Rede der Kanzlerin eine „grundsolide Bestandsaufnahme“. Matthias Lammert (Rhein-Lahn-Kreis) hält Merkels Worte für in „der Krise angebracht“. Staatstragend und solide, das sind nicht eben die Adjektive, die eine flammende Parteitagsrede üblicherweise kennzeichnen.

Wer gehofft hatte, Angela Merkel würde die Parteiseele mit klaren Bekenntnissen zu alten Gewissheiten streicheln, wurde enttäuscht. Die Kanzlerin verteidigte ihren Kurs der kleinen Schritte bei der Euro-Rettung. „Ein Paukenschlag“ sei zur Lösung der aktuellen Probleme auch weiterhin nicht zu erwarten. Selbstbewusst hielt die Kanzlerin Kritikern ihres wechselnden Kurses nicht nur in der Euro-Krise entgegen: „Wir haben einen festen Kompass, denn wir haben ein festes Wertefundament.“ Dieser Kompass leite die Union seit 65 Jahren und markiere die Ziele: Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Der Weg dorthin allerdings müsste für eine Volkspartei wie die Union in „besonderen Zeiten“ auch zwangsläufig zu neuen Haltungen führen. Mit dieser Argumentation bremste die Kanzlerin geschickt all jene aus, die ein konservatives Profil der Partei vermissen, wenn Wehrpflicht, Hauptschule und Atomkraftwerke plötzlich auf den Prüfstand gestellt werden. „Bestimmend bleibt unser christliches Menschenbild“, beschreibt Merkel den gemeinsamen Nenner innerhalb der Union. Sie zeichnet das Bild einer modernen CDU, ihrer CDU, der Merkel-CDU. Sie verordnet der Partei maximale Flexibilität und begründet dies mit der Globalisierung der Wirtschaft, der Schnelligkeit moderner Kommunikation und der Verantwortung Deutschlands innerhalb der Europäischen Union. Die CDU regiere „ohne dogmatische Ideologie mit Sinn für die Realität des Lebens“. Das macht laut der Vorsitzenden ihre Stärke aus.

Nur selten brandet stürmischer Beifall auf, während sie spricht. Die 1000 Delegierten hören aufmerksam zu, doch erlösende Machtworte, Schlagworte, kurz: Kampfgeist, dringt mit dieser Rede nicht zu ihnen durch. Merkel, die Pragmatikerin, bleibt sich selbst treu. Sie verteidigt die Energiewende – „wir sagen, wie wir es machen und nicht, wogegen wir sind“. Sie kann auch nichts Verwerfliches darin erkennen, Real- und Hauptschule künftig unter einem Dach zu organisieren – „damit geht das Abendland nicht unter“. In der europäischen Schuldenkrise geißelt sie „ein Denken, das kein Morgen kennt“ – und will die Krise als Anlass, „endlich zu handeln“, verstanden wissen. Ihre Worte zu Europa geraten zu den emotionalsten ihrer Parteitagsrede. Sie weiß um das schwindende Verständnis in der Bevölkerung für immer neue, milliardenschwere Rettungsschirme. „Unser Europa ist jede Mühe wert“, hält sie entgegen. Den Eindruck von Politik als Getriebene der Ereignisse sucht Merkel zu zerstreuen. Nichts geschieht beliebig, so ihre Botschaft an die Delegierten. Die Krise habe man bislang nur meistern können, „weil wir unseren Kompass haben“.

Merkel geht aus diesem ersten Parteitag als unbestrittene Führungsfigur der Union hervor. Das Vertrauen in ihr Krisenmanagement ist nach den jüngsten Gipfeln gewachsen. Eines bleibt weiter unklar. „Sie sieht ihren Kompass“, lobt Unionsfraktionsvize Michael Fuchs zwar. Wohin der Kompass aber dauerhaft zeigt, hat sie ihrer Partei nicht verraten. Die CDU muss sich darauf einstellen, dass er schon mal die Richtung ändert, je nachdem, wo man gerade steht, in diesen „besonderen Zeiten“.

Analyse von unserer Hauptstadt-Korrespondentin Rena Lehmann