Berlin/Rheinland-Pfalz

Kommt Bewegung in den Streit über die Ausbildungsreform?

Von Christian Kunst

Hinter dem sperrigen Begriff „Generalistische Pflegeausbildung“ verbirgt sich aus Sicht ihrer Befürworter einer der wichtigsten Schlüssel zur Lösung des Pflegenotstands, besonders in der Altenpflege. Die von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorangetriebene Reform sieht vor, dass sich Auszubildende ab 2018 nicht mehr am Anfang ihrer Ausbildung entscheiden müssen, ob sie in die Kranken-, Kinderkranken- der Altenpflege gehen.

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Gröhe, Schwesig, Teile der Union, die SPD und die rheinland-pfälzische Pflegekammer versprechen sich von der Reform vor allem eine Aufwertung der Altenpflege. Laut Pflegebericht der Bundesregierung gab es 2015 allein in der Altenpflege 19.000 offene Stellen – 20 Prozent mehr als 2014. Dies liegt auch daran, dass Mitarbeiter in diesem Bereich deutlich schlechter als etwa in der Krankenpflege bezahlt werden. Teilweise beträgt die Differenz bis zu 600 Euro, sagt die rheinland-pfälzische Pflegekammer.

Die Logik der Reformbefürworter geht so: „Es ist der einzig vernünftige Weg, den Beruf professionell aufzustellen. Wenn wir gute Leistungen erbringen, können wir von der Gesellschaft auch verlangen, dass sie uns dafür besser bezahlt“, sagt Pflegekammerchef Mai. Die Durchlässigkeit zwischen den Berufen werde größer, die Kompetenz wachse und so auch der Druck auf Arbeitgeber, den Mitarbeitern höhere Löhne zu zahlen. Hinzu kommt, dass durch die Reform das Schulgeld abgeschafft werden soll. Kassen und Betriebe sollen eine Umlage in einen Landesfonds für die Ausbildungsfinanzierung zahlen.

Die Gegner, vor allem in der Union, widersprechen dieser Logik: „Wir haben in der Altenpflege bundeseinheitliche Ausbildungskriterien. Dennoch verdienen Mitarbeiter in Deutschland sehr unterschiedlich“, sagt der pflegepolitische Sprecher der Union, der CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel (Kreis Neuwied) im Gespräch mit unserer Zeitung. In Rheinland-Pfalz oder NRW sei die Vergütung im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ hoch. In Niedersachsen verdient ein Altenpfleger laut Rüddel bei gleicher Ausbildung aber 500 Euro weniger als bei uns, in den neuen Bundesländern 800 Euro weniger. Seine Schlussfolgerung: „Das heißt, dass die gleiche Ausbildung schon heute nicht zu besserer Bezahlung führt. Und Altenpfleger verdienen deutlich weniger als Krankenpfleger.“ Daran werde auch die generalistische Ausbildung nichts ändern.

Mehr noch: Die Reform werde den Fachkräftemangel in der Pflege sogar noch verstärken, besonders weil die anspruchsvollere generalistische Ausbildung Hauptschüler und Quereinsteiger abschrecke (siehe Interview). Dies wäre laut Rüddel fatal, weil „man besonders in der Altenpflege neben fachlicher Expertise auch Herzensbildung und Empathie braucht“. 70 Prozent der Krankenpfleger haben schon jetzt Abitur, 30 Prozent einen Realschulabschluss, nahezu keiner ist Hauptschüler. Die machen aber 30 Prozent der Altenpfleger aus.

Gernot Kiefer, Vorstand des Kassenspitzenverbandes, hat unlängst vorgeschlagen, „den Test in der Wirklichkeit zu machen und eine Zeit lang mehrere Ausbildungswege zuzulassen“. So soll es eine Variante geben, bei der Azubis aus allen drei Bereichen zwei Jahre zusammen lernen, ehe sie sich im dritten Jahr spezialisieren. Eine zweite Variante wäre die generalistische Ausbildung für drei Jahre. Doch während Unionspolitiker wie Erwin Rüddel (Kreis Neuwied) oder Erich Irlstorfer (CSU) den Test begrüßen, lehnt SPD-Verhandlungsführer Karl Lauterbach dies ab.

Allerdings gibt es aus der SPD einen Vorstoß, die Reform noch zu retten. Danach sollen Betriebe selbst entscheiden können, ob sie ihre Mitarbeiter generalistisch oder nach der alten Regelung ausbilden. Zehn Jahre nach Start dieser Testphase sollen die Ergebnisse ausgewertet werden. „Ich bin mir sicher, dass sich die generalistische Ausbildung bei dieser Abstimmung mit den Füßen durchsetzen wird“, schreibt die SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Müller in dem Papier, das unserer Zeitung vorliegt.

Rüddel sieht neue Chancen auf eine Einigung mit der SPD: Müllers Kompromisslösung sei „nicht weit von der Haltung der Fachpolitiker und der Mehrheit in der Union entfernt“. Doch die Zeit im Wahljahr dränge: „Das Zeitfenster schließt sich nach Karneval.“

Von unserem Redakteur Christian Kunst