Berlin

Kommentar zur Rede von Olaf Scholz: Eine Ruckrede ohne Ruck

Von Jan Drebes

Olaf Scholz musste es an diesem Sonntag wuppen. Die Stimmung drehen, den Beweis antreten, dass ein Kreuzchen bei der SPD auf dem Wahlzettel eine gute Idee sein würde. Was er vor Technikern, aber ohne Zuschauer oder Delegierte beim digitalen Parteitag ablieferte, hatte das Zeug zu einer Ruckrede.

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Er machte klar, dass die SPD zwar in den vergangenen Jahren mitregiert habe, ohne Richtlinienkompetenz im Kanzleramt aber längst nicht alles gegen die Union durchsetzen konnte, was sie eigentlich vorhatte. Scholz‘ Versuch, die Mängel im Arbeitszeugnis der Bundesregierung beim Koalitionspartner abzuliefern, gelangen dabei aber nicht immer. Schließlich lobt die SPD unaufhörlich die Arbeit der eigenen Minister im Kabinett, den Zwiespalt werden die Sozialdemokraten im Wahlkampf schlecht auflösen können.

Also konzentrierte sich Scholz in seiner Rede, die eher einer Fernsehansprache an die Nation glich, auf die Zukunft. Er traf den angemessenen Ton bei der Begründung für Reformen, indem er auf das historische Ausmaß der Corona-Krise hinwies. Für die Menschen müsse etwas dabei herumkommen, das ist richtig. Zu viel Vertrauen ist in der Krise zerstört worden, nicht nur wegen eiskalter Maskendeals, die Scholz der Union noch einmal genüsslich aufs Brot strich.

Scholz und die SPD wollen mit Milliarden und einer neuen Umverteilung den „Fortschrittsstau“, wie es der Kanzlerkandidat nannte, beseitigen. Doch der Ruckrede von Scholz fehlt bei diesem Parteitag der Ruck. Und das liegt an Scholz.

Er ist eben nicht der Typ für emotional mitreißende Auftritte, für spontane Jubelschreie. Scholz ist und bleibt ein Technokrat der Politik, ein geübter Verwalter, ein akribischer Fachmann. Erfolge wie die Wohnungsbaupolitik in Hamburg erwähnt er selbstredend, Skandale wie Wirecard jedoch nicht. Und auch nicht die schlechten Umfragewerte seiner Partei. Dabei hätte ihm das gut zu Gesicht gestanden.

Offensiv diese Probleme anzusprechen, für sich zu drehen, selbst die Aufholjagd auszurufen. Schließlich steht er intern unter Druck, die Genossen sind nervös angesichts des Umfragetals. Und Scholz bleibt nicht mehr viel Zeit. Bereits im August gehen die Wahlunterlagen für die Briefwahl an die Menschen raus. Geht man von einem ähnlich hohen Anteil an Briefwählerstimmen wie zuletzt in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg aus, da waren es rund die Hälfte, muss er aufs Tempo drücken.

Das alte Dogma jedenfalls, dass noch ein Großteil der Bundesbürger auf dem Weg zum Wahllokal die Entscheidung trifft, scheint hinfällig. Will Scholz also Kanzler werden, muss er mindestens Platz zwei hinter Union oder Grünen belegen. Und dafür muss zuerst ein Ruck durch Scholz selbst gehen.

E-Mail: jan.drebes@rhein-zeitung.net