Kommentar: Der FC Bayern spielt auch ohne Uli Hoeneß weiter Fußball

Jochen Dick, RZ-Sportchef
Jochen Dick, RZ-Sportchef Foto: Jens Weber

Der FC Bayern ist Uli Hoeneß, und Uli Hoeneß ist der FC Bayern. Mindestens mal drei Jahrzehnte lang hatte diese Gleichung ihre Berechtigung, wobei selbstverständlich der FC Bayern weitaus mehr war und ist und umgekehrt Hoeneß nicht ausschließlich auf „seinen“ Verein zu reduzieren war und ist. Dennoch: Der 62-Jährige hat diesen Klub maßgeblich geprägt, ihn zu einem Fußball-Imperium aufgebaut und zu einer weltweiten Marke entwickelt. Nach 44 Jahren in verschiedenen Funktionen als Spieler, Manager und zuletzt als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender steht der FC Bayern nun erstmals ohne Uli Hoeneß da. Und Uli Hoeneß ohne den FC Bayern.

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Jochen Dick zur Demission des FCB-Bosses:

Selbstverständlich lässt der Klub seinen Macher, den unbestritten erfolgreichsten Manager des deutschen Fußballs, nicht einfach so fallen. Die von Hoeneß selbst aufgebaute und stets gepflegte „Bayern-Familie“ wird ihn nach seinem Rücktritt von allen Ämtern nicht vom Hof jagen. Das mag Hoeneß in der schweren Zeit etwas helfen, doch die harte Realität besagt immer noch: Hoeneß geht ins Gefängnis. Die Fußball-Ikone wird weggesperrt, sitzt Zelle an Zelle mit anderen (Schwer-) Verbrechern. Hoeneß in den Knast – die hämischen Gesänge auf den Rängen der Republik waren vielen Fans in den vergangenen Monaten recht leicht über die Lippen gegangen. Doch die Wucht der Entwicklungen, sowohl der tägliche Anstieg von Hoeneß' Steuerschuld als auch die Gewissheit der Härte des Urteils, hat die gesamte Fußball-Szene geschockt. „Die Dimension des gesamten Vorgangs hat auch uns als DFB überrascht“, erklärte stellvertretend Wolfgang Niersbach, der Präsident des nationalen Fußball-Verbandes. Der Fall Hoeneß war längst für den Sport zu groß geworden, er war zu einem Fall gesamtgesellschaftlichen und politischen Ausmaßes mutiert. Was in erster Linie Hoeneß' Schuld ist, angesichts der Salami-Taktik des Wurst-Fabrikanten.

Doch nur einen Tag nach der Urteilsverkündung ist der Fall in den Sport zurückgekehrt. Hoeneß war als Boss des deutschen Fußball-Rekordmeisters nicht mehr tragbar, die Bayern hätten den gebürtigen Ulmer auch ohne dessen Zuvorkommen von seinen Posten entheben müssen. Zu viel stand auf dem Spiel beziehungsweise war ohnehin schon beschädigt: die Reputation einer Weltmarke, die Regeln eines milliardenschweren Wirtschaftsunternehmens, die moralischen Werte eines Sportvereins mit mehr als 220 000 Mitgliedern.

Zwar wird dem FCB ein Mitgliederschwund wie dem ADAC, einer anderen ehemaligen Vertrauens-Instanz des Landes, höchstwahrscheinlich erspart bleiben. Doch der Münchner Vorzeigeklub wird sich neu orientieren müssen ohne seinen gestrandeten Patron. Da ist erst einmal die Frage seiner Nachfolge: Wegen der Hoeneß'schen Dominanz und Allmacht konnte keiner aufgebaut werden, der den scheidenden Boss eins zu eins ersetzt. Der FCB setzt vielmehr auf Aufgaben- und Gewaltenteilung: Trainer Pep Guardiola gibt den Frontmann, Karl-Heinz Rummenigge den Repräsentanten, Sportvorstand Matthias Sammer den Außenminister und Anführer der einst von Hoeneß ins Leben gerufenen Abteilung Attacke.

Die Bayern fahren nicht ganz so schlecht mit diesem Kurs, schließlich sind sie designierter Meister, und das Triple in der vergangenen Saison hatte die Mannschaft mit dem damaligen Coach Jupp Heynckes bereits im Schatten der Steueraffäre geholt. Ein Stück weit hat sich der FCB also schon von Hoeneß emanzipiert, gleichwohl durch dessen Demission kapital an Strahlkraft eingebüßt. Man darf nicht vergessen, dass es Hoeneß war, der für die Mega-Verpflichtung von Guardiola verantwortlich zeichnete. Ob der Präsident a. D. nun die zu erwartenden Erfolge seines letzten großen Transfers in Champions League, Bundesliga und DFB-Pokal noch als freier Mann miterleben darf, ist ob seines löblichen Verzichts auf Revision keineswegs sicher.

Was Uli Hoeneß in seiner Haft vermutlich am meisten beschäftigen wird, ist die Tatsache, dass er, der stets alle und alles unter Kontrolle hatte, selbige völlig verlor – über seine Finanzen, über die öffentliche Meinung, über alles. Beim Finale musste er auf der Anklagebank dann macht- und tatenlos mit ansehen, wie ein Richter über sein weiteres Leben entschied. Vielleicht und hoffentlich hat er, der erfolgreichste Manager des deutschen Fußballs und verurteilte Steuersünder, eines aus diesem Prozess mitgenommen: ein gewisses Maß an Demut.

E-Mail an den Autor: jochen.dick@rhein-zeitung.net