Kommentar: Bittere Niederlage

Von Dietmar Brück

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Wer könnte es nicht besser verstehen als die Deutschen, was es heißt, eine geteilte Nation zu sein: Was zusammengehört, wird auseinandergerissen. Wo Gemeinschaft stark machen könnte, macht Misstrauen schwach. Wo Menschen zueinanderfinden wollen, trennen sie Minen und Stacheldraht.

Nord- und Südkoreaner haben all die Jahre neidisch und neugierig nach Deutschland geschaut. Und sich gefragt, wie es möglich ist, dass zwei Länder die Grenzmauern niederreißen, um ein neues Kapitel ihrer gemeinsamen Geschichte aufzuschlagen. Länder, die lange in feindlichen Lagern standen. Wirtschaftssysteme, die nicht zueinanderpassten. Völker, die sich fremd geworden waren.

All das trifft auch auf Nord- und Südkorea zu. Gewiss noch eine Spur schärfer, weil die alte DDR im Vergleich zur maroden nordkoreanischen Steinzeit-Diktatur schon beinahe ein Rechtsstaat und ein Wirtschaftsriese war. Da ist es verständlich, dass sich die Südkoreaner nach der Einheit sehnen und sich zugleich davor fürchten. Der Wiederaufbau Nordkoreas wäre ein Jahrhundertprojekt.

Und doch ist es eine bittere Niederlage der Politik, dass 60 Jahre nach Ausbruch des Korea-kriegs kein Weg zur Wiedervereinigung in Sicht ist. Alle noch so hoffnungsvollen Ansätze wie die „Sonnenscheinpolitik“ des früheren südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung sind kläglich gescheitert. Und im Moment ist ein neuer Waffengang zwischen beiden Staaten wahrscheinlicher als die längst überfällige Aussöhnung.

Dabei sehnen sich die Menschen auf der koreanischen Halbinsel vor allem nach Frieden. Man muss nur die Bilder sehen, wie sich jahrelang getrennte Familienmitglieder schluchzend in die Arme fallen, um zu wissen, wie tief der Wunsch nach einem harmonischen Miteinander ist. Die Deutschen haben erlebt, wie weit der Horizont wird, wenn Mauern fallen. Diese glückliche Grenz-Erfahrung hätten auch die Koreaner verdient.