Rheinland-Pfalz

Klöckner attackiert Dreyer – Schweitzer pariert

Oppositionsführerin Julia Klöckner (CDU, rechts) hatte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD, links) eine Menge zu sagen. „Die Verfallsdaten Ihrer Regierungserklärungen haben sich drastisch verkürzt“, kritisierte sie. Noch vor vier Wochen hatte Dreyer jegliche Rücktrittsforderungen abgelehnt und nach einem „Erkenntnisprozess“ dann das halbe Kabinett umgebildet.
Oppositionsführerin Julia Klöckner (CDU, rechts) hatte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD, links) eine Menge zu sagen. „Die Verfallsdaten Ihrer Regierungserklärungen haben sich drastisch verkürzt“, kritisierte sie. Noch vor vier Wochen hatte Dreyer jegliche Rücktrittsforderungen abgelehnt und nach einem „Erkenntnisprozess“ dann das halbe Kabinett umgebildet. Foto: Jens Weber

Das halbe Kabinett entlassen oder ausgetauscht, die Affäre um den Nürburgring präsenter denn je: Oppositionsführerin Julia Klöckner (CDU) nutzte die veritable Regierungskrise zu einer schonungslosen Abrechnung mit der Politik von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD).

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Von unserem Redakteur Dietmar Brück

Satz für Satz legte sie mit inquisitorischer Präzision tatsächliche und vermeintliche Schwächen der Sozialdemokraten bloß. Klöckner bohrte im Skandal um die Eifel-Rennstrecke den Finger tief in die sozialdemokratischen Wunden. Dabei lief sie zu großer Form auf.

Doch der neue SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer hielt aus dem Stand angriffslustig und zugkräftig dagegen. Von der Fesselung eines Ministeramtes befreit, spielte er sein ganzes polemisches Talent aus, ohne inhaltlich allzu sehr aus dem Tritt zu geraten. Die Zuhörer im Landtag erlebten einen eindrucksvollen Schlagabtausch, bei dem Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler ziemlich unterging.

Zwischenruf als Bumerang

Wer versucht, Julia Klöckner mit einem Zwischenruf zu bremsen, muss immer mit einem schwungvollen Bumerang rechnen. So erging es dem grünen Parlamentsvizepräsidenten Bernhard Braun. Die Oppositionsführerin hatte gerade seziert, wie die Regierung seinem Parteifreund Ulrich Steinbach per Gesetzesänderung den Weg zum Vizepräsidenten des Rechnungshofs ebnete. Für Klöckner ein typischer Fall des „intransparenten und unklaren“ Führungsstils Dreyers. Da rief Braun empört „es reicht einfach mal“ dazwischen.

Klöckner nahm den Ball nur zu gern auf. Sie machte eine Kunstpause. Fixierte ihre Zuhörer. Dann antwortete sie, jedes Wort betonend: „Dieser Meinung sind wir auch. Es reicht einfach mal.“ Stürmischer und lang anhaltender Applaus von der CDU. Brauns wütende Entgegnung nahm niemand mehr zur Kenntnis.

Ihren inhaltlich stärksten Moment hatte Klöckner, als sie all die Erklärungsversuche Dreyers auflistete, mit denen die Ministerpräsidentin die Geschichte einer Regierungsumbildung ohne Regierungskrise zu vermitteln versuchte. Die Passage lohnt, wörtlich zitiert zu werden. Mit Blick auf den Totalschaden am Nürburgring meinte die CDU-Politikerin an die SPD-Regierungschefin gerichtet: „Wenn alle nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben, wenn die Entscheidungen abgesichert und fundiert waren, wenn die Ministerpräsidentin mit niemandem unzufrieden war, wenn Minister, die jetzt gehen mussten, geschätzte Ratgeber waren, wenn es keine Fehler in der Verantwortung gab, wenn das einzige Problem also war, dass man mit den Themen nicht mehr durchdrang: Warum haben Sie dann nicht einfach Ihre Pressestellen ausgetauscht?“

Das saß. Dreyer hatte ihren Kabinettsumbau in historischer Dimension tatsächlich mehrfach damit begründet, dass Rot-Grün aufgrund der Ring-Krise mit seinen inhaltlichen Schwerpunkten nicht mehr durchdringe. Kritik an den scheidenden Politikern mied sie. Auch an dem früheren Finanzminister Carsten Kühl (SPD) und an Ex-SPD-Fraktionschef Hendrik Hering.

Klöckner forderte erneut Neuwahlen. Und sie zeigte kein Verständnis dafür, dass Dreyer Innenminister Roger Lewentz (SPD) im Amt belassen hat. Auch er sei beim Beihilfeverfahren und der Insolvenz für das Scheitern am Ring verantwortlich. Im Redemanuskript widmete sie dem SPD-Parteichef ganze drei Seiten, um seine Verwicklung in die Affäre zu dokumentieren. Mit dem neuen Fraktionschef Schweitzer und dem neuen Chef der Staatskanzlei, Clemens Hoch (SPD), befasste sie sich jeweils noch auf einer Seite. Beide hält sie für belastet. Ergo: Malu Dreyers rigorose Kabinettsumbildung „war kein Neuanfang, sondern eine Inszenierung“.

Dreyer: Stabile Koalition

Die Regierungschefin hatte zuvor in einer kurzen Rede erneut betont, dass es keine Regierungskrise gebe. „Die Koalition steht fest auf beiden Füßen“, sagte sie.

Neu-Fraktionschef Schweitzer sprach von einem „Klöcknerischen Paralleluniversum“, das den Bezug zur Realität verloren habe. Rot-Grün stehe gut da – etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik oder bei der Energiewende. Angebliche Aussagen Klöckners über eine mögliche absolute Mehrheit der CDU nutzte er zur Attacke: „Offenbar fehlt jemand, der Ihnen sagt, komm mal runter.“ Gejohle bei der SPD. Schweitzer sprach von „Selbstgerechtigkeit und Hochmut“ der CDU-Chefin. So hart und persönlich wurde sie lange nicht mehr angegangen.

Grünen-Fraktionschef Köbler sprach über Bienensterben, Biofleisch und Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen. Er versuchte, den Blick zu weiten, verlor aber mit seiner Aufzählung grüner Reformprojekte zunehmend die Aufmerksamkeit des Publikums. Klöckner und der CDU warf er „Oppositionsversagen“ vor, da sie inhaltlich nichts zu bieten hätten.

Die renommierte Bildungpolitikerin und Haushaltsexpertin Doris Ahnen wird nach Carsten Kühl neue Finanzministerin in Rheinland-Pfalz. Ahnen ist durch den Skandal am Nürburgring nur ganz am Rande belastet. Sie saß wie alle anderen Minister während der Affäre im Kabinett. Man kann ihr höchstens vorwerfen, nicht genug nachgefragt zu haben. Aber eine besondere Rolle spielte sie nicht. Ahnen, die als Perfektionistin gilt, hat sich einzig und allein auf die Bildungspolitik konzentriert. Dabei gilt sie als vorsichtige und umsichtige Politikerin. Die gebürtige Triererin hat es bisher geschafft, Schulreformen ohne große Widerstände zu realisieren – zum Ärger der Opposition.

Mit Carsten Kühl verliert die Landesregierung einen profilierten Finanz- und Haushaltsexperten. Der Minister genoss auch bei der Opposition viele Sympathien, galt als sachlicher Analytiker ohne Eitelkeiten. In der Phase der gescheiterten Privatfinanzierung am Nürburgring, die den damaligen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) zum Rücktritt zwang, traute allein er sich, kritische Nachfragen zu stellen. Wenn auch in überschaubarem Ausmaß.

Vera Reiß übernimmt das Amt der Bildungs- und Wissenschaftsministerin in Mainz. Reiß ist die engste (und vielleicht sogar einzige) Vertraute der künftigen Finanzministerin Doris Ahnen (SPD). Sie beerbt ihre Chefin jetzt. Reiß ist mit allen relevanten Bildungsthemen seit Jahren betraut. Im Ministerium hatte sie die Funktion der Amtschefin inne.

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Hendrik Hering ist nun allenfalls noch einfacher Landtagsabgeordneter. Wenn er sich vorerst nicht ganz aus der Politik zurückzieht. Ein tiefer Sturz. Vor zwei Jahren wurde er noch als künftiger Ministerpräsident gehandelt. Jetzt ist er alle Ämter los. In den vergangenen Tagen hat er eigentlich nur mehr mit Internet-Postings von seinem Marathonlauf in New York auf sich aufmerksam gemacht. Vielleicht rannte er sich den Frust von der Seele. Sein Karrierelauf ist vorerst zu Ende. Hering muss den einflussreichen Posten des Fraktionschefs abgeben. Zuletzt war er auch in den eigenen Reihen nicht mehr unangefochten.

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Chef der Landtagsfraktion wird der bisherige Sozialminister Alexander Schweitzer. Alexander Schweitzer gilt als Zukunftshoffnung der Sozialdemokraten. Erst Wirtschaftsstaatssekretär, dann SPD-Generalsekretär, dann Sozialminister, jetzt Fraktionschef – der Riese aus der Pfalz hat eine steile Karriere hingelegt. Jetzt wird er Fraktionschef und hat mehr Einfluss als ein Minister.

Sabine Bätzing-Lichtenthäler wird die Position von Alexander Schweitzer als neue Sozialministerin übernehmen. Die 39-jährige SPD-Bundestagsabgeordnete ist eine der großen Überraschungen im neuen Landeskabinett. Bätzing-Lichtenthäler war für den Posten Ende 2012 schon einmal im Gespräch, als die langjährige Sozial- und Arbeitsministerin Malu Dreyer Regierungschefin wurde. Bätzing-Lichtenthäler hat nun für Dreyer den Vorteil, dass sie als Bundespolitikerin völlig unbelastet von Nürburgring und Co. für einen echten Neustart stehen kann. Außerdem hat sie Erfahrung in der Gesundheits- und Sozialpolitik.

Neuer Justizminister und damit Nachfolger des zurückgetretenen Jochen Hartloff wird der Trierer Universitäts-Professor Dr. Gerhard Robbers. Der überall hoch anerkannte Staats-, Verfassungs- und Kirchenrechtler leitet auch das Institut für Europäisches Verfassungsrecht in Trier, das mit vielen ausländischen Wissenschaftlern in Kontakt ist. Ob er ein Parteibuch hat, wissen auch ansonsten gut vernetzte Genossen nicht. Aber auf Vorschlag der SPD gehört Robbers seit Januar 2008 dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz an und kennt schon aus dieser Funktion heraus Chefpräsidenten der Gerichte.

Neuer Chef der Staatskanzlei wird der Jurist und Landtagsabgeordnete Clemens Hoch. Der gebürtige Andernacher folgt damit Jacqueline Kraege im Amt nach. Erst Landtagsabgeordneter und SPD-Obmann im Nürburgring-Untersuchungsausschuss, dann Ministerialdirektor und Vize in der Staatskanzlei und jetzt ganz an die Spitze der Regierungszentrale. Der Jurist gehört ebenfalls zu den Toptalenten der rheinland-pfälzischen Sozialdemokratie: eloquent, umgänglich, gedanklich äußerst trennscharf. Und er kennt sich exzellent mit den großen Problemfällen der Landesregierung aus: dem Flughafen Hahn und dem Nürburgring.

Die derzeitige Chefin der Staatskanzlei, Jaqueline Kraege, wechselt Staatsministerin und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa in die Ständige Vertretung nach Berlin – als Nachfolgerin von Margit Conrad, die einfache Landtagsabgeordnete bleibt. Ob Kraege diese Position zwischen Berlin und Brüssel für sich als Aufstieg oder Abstieg werten kann, bleibt noch abzuwarten.

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Margit Conrad soll ihren Posten als Staatsministerin und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa verlieren. Dass die 62-jährige Sozialdemokratin den attraktiven Posten als Scharnier zwischen Bundes- und Landespolitik in Berlin räumen muss, muss die ehrgeizige Vollblutpolitikerin allerdings hart treffen. Sie hatte den Posten im Mai 2011 von ihrem langjährigen Vorgänger Karl-Heinz Klär übernommen, nachdem die rot-grüne Koalition im Land beschlossene Sache war. Die politische Karriere der Ärztin begann im Saarland. Sie war dort Mitglied im Landtag, später Bürgermeisterin in der Landeshauptstadt Saarbrücken. Der damalige Ministerpräsident Kurt Beck holte sie 2001 als neue Umweltministerin in sein Kabinett.

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Der seit 2011 amtierende Justizminister Jochen Hartloff wollte dieses Amt nie haben, das er jetzt räumen soll. 2011 musste er aber für Ex-Wirtschaftsminister Hendrik Hering an der Spitze der SPD-Fraktion weichen. Sein Einstieg hätte damals nicht dramatischer und verheerender sein können: Noch vor Amtsbeginn zog Hartloff mit der Ankündigung, das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz auflösen zu wollen und nach Zweibrücken zu verfrachten, allen Zorn in der Justiz auf sich. Nach einem Aufstand der Bevölkerung und der Intervention vieler Experten mussten er und der damalige Ministerpräsident Kurt Beck diesen unverständlichen Plan beerdigen.

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Viel Applaus für Hering

Erst am Morgen war Alexander Schweitzer von der sozialdemokratischen Fraktion zu ihrem Vorsitzenden gewählt worden – als Nachfolger Herings. Fraktionsvize Günther Ramsauer muss eine bewegende Rede gehalten haben. Es gab lang anhaltenden Applaus für Hering und Standing Ovations. Nicht alle in der SPD halten seinen Rücktritt für gerechtfertigt. Dem früheren Wirtschaftsminister wird durchaus ein gutes Ergebnis bei seiner angestrebten Wiederwahl als Parteivize zugetraut.

Schweitzer indes musste drei Gegenstimmen wegstecken – bei 37 Jastimmen und einer Enthaltung. Der frühere Sozialminister und einstige Generalsekretär sprach von einem „guten Ergebnis in geheimer Wahl“ und kündigte Oppositionsführerin Klöckner einen heißen Wahlkampf an. Das meinte er offensichtlich ernst.

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