Kaum noch Lebensraum: Die Wildbiene braucht Hilfe
Becker hat seine Felder und Weinberge am Rande von Mainz, seit Jahren erlebt er, wie die Großstadt immer mehr Natur verschlingt. Neubaugebiete, Flächenversiegelung durch Gewerbe, dazu der „gruselige“ Trend zu Steingärten vor dem Haus, Landwirtschaft und Natur seien auf dem Rückzug, sagt Becker.
„Mit der Zukunft der Landwirtschaft wird auch die Zukunft unserer Gesellschaft entschieden“, sagt auch der Agrarwissenschaftler Clemens Wollny, Dekan an der TH Bingen. Dort trafen sich Mitte April rund 120 Interessierte zu einer „Bienentagung“, um über den Verlust der Agrobiodiversität und über Maßnahmen gegen das Artensterben zu diskutieren. „Wir brauchen Veränderung“, forderte Wollny. Probleme seien Flächenverlust, Bodenversiegelung, aber auch die landwirtschaftliche Nutzung sowie eine Umweltbelastung insgesamt durch synthetische Pestizide.
Ein Baustein im Ökosystem
80 Prozent unserer Kulturpflanzen sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen, heißt es beim Mainzer Umweltministerium, doch genau für sie ist die Lage ernst. 60 Prozent aller Wildbienenarten und 65 Prozent der Schmetterlinge seien akut im Bestand gefährdet. Das aber hat nicht nur Konsequenzen für Pflanzen, Blüten und Obst, auch die Hälfte der Brutvogelarten im Land sei durch ihre schwindende Nahrungsgrundlage gefährdet, warnt Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne).
„Wir brauchen mehr Blüten in der Landwirtschaft“, sagt auch Klaus Wallner von der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim. Das große Problem der Landwirtschaft seien die durch den Strukturwandel entstandenen riesigen Monokulturen, „blütenfreie grüne Wüsten über Quadratkilometer hinweg“. Auf diesen Flächen „haben wir die Blühgrundlage verloren, da finden die Bienen keine Nahrung mehr“, sagt Wallner. 50 Meter weit fliege eine Wildbiene in der Regel, um Nahrung zu finden, auf diesen Riesenflächen habe sie einfach keine Chance.
Dazu kommt die Bewirtschaftung: „Ackerrandstreifen, Wegstreifen, das haben wir alles verloren“, sagt Wallner. Der Landwirt pflüge bis an den Feldweg heran, da können sich kein Blumenstreifen und kein Nistplatz für Wildbienen entwickeln. Sandwege, Hecken, alte Bäume mit Totholz, eine Böschung, solche Plätze bräuchten Wildbienen zum Nisten.
„Den Honigbienen geht es eigentlich gut“, sagt Christoph Otten vom Mayener Fachzentrum für Bienen und Imkerei in Mayen. Im Herbst 2002 schreckte die Nachricht von einem großen Bienensterben die Republik auf. Fast 30 Prozent der kommerziell genutzten Bienenvölker überlebten den Winter nicht. „Das war der Ausgangspunkt, dass die Biene wieder in den Fokus rückte“, berichtet Otten. In Mayen erheben sie mit dem Bienenmonitoring in regelmäßigen Umfragen die Sterblichkeit und den Gesundheitszustand der Bienenvölker, eine Patientenakte für 1100 Bienenvölker haben sie hier, 30.000 Imker werden inzwischen regelmäßig befragt. In diesem Winter überlebten rund 15 Prozent nicht. „Der Wert liegt im mittleren Bereich“, sagt Otten, „das ist kein Trend zum Schlechteren, aber auch nicht zum Besseren.“
Als Hauptfaktor für das Bienensterben machten die Forscher schließlich die Varroamilbe aus, einen Parasiten, der die Bienenvölker schädigt. Seither haben die Imker das Bienensterben weitgehend eingedämmt. „Den Honigbienen geht es gut, weil sie jemanden haben, der sich um sie kümmert – den Menschen“, sagt Otten. Durch den Imker werden „die Bienen ins Paradies getragen, wo es noch Nahrung gibt“, die Wildbiene habe das nicht.
Pestizide im Bienenstock
Otten wünscht sich mehr Sensibilität bei den Landwirten, die kalkulierten zum Beispiel oft die Abdrift beim Verspritzen nicht ein. Im Weinbau würden Steillagen verstärkt mit dem Hubschrauber gespritzt, der Nebel wehe dann „voll in die Steinakazie rein“, ärgerte sich ein Imker auf der Tagung. Öffentlich darüber reden könne er nicht, „dann kann ich meinen Honig nicht mehr verkaufen“, sagt er. „Wir wissen, dass es negative Wechselwirkungen zwischen Pflanzenschutzmitteln und Bienenvölkern gibt“, sagt Otten. Bei Untersuchungen stellten sie fest: 96 Prozent der Pollen in den Bienenwaben sind mit Pestiziden belastet, manchmal mit bis zu 36 Mitteln gleichzeitig.
Dabei geht es auch anders: „Wir gehen über Bodengesundheit statt Pestizide“, sagt Armin Meitzler, Landwirt und Winzer aus Spiesheim bei Alzey. Seit 2012 arbeitet Meitzler komplett biologisch, und das auf 230 Hektar Ackerflächen in Rheinhessen. Sein „Geheimnis“ ist die Fruchtfolgegestaltung. Mit 20 verschiedenen Kulturen jongliert Meitzler, auf seinen Äckern wachsen Kleearten und Phacelia als Untersaaten und Zwischenfrüchte, Wicken und Senf als Stickstoffsammler.
Maschinen statt Chemie lautet Meitzlers Devise, „wir sind sehr gut mechanisiert und sehr schlagkräftig, wir können zum richtigen Zeitpunkt eingreifen“, sagt er. Das Ergebnis: „Der Boden federt und lebt“, sagt Meitzler – und seine Erträge seien auch ohne Chemie genauso gut wie die der Nachbarn. Meitzler ist inzwischen Leitbetrieb für Rheinland-Pfalz. „Wir müssen umdenken“, sagt er, „wir zerstören sonst die Natur.“
Gisela Kirschstein