New Orleans

„Katrina“ hat weit mehr zerstört als Häuser

Das Haus von Jenga Mwendo im Armenviertel von New Orleans. Draußen ihre Tochter Azana.
Das Haus von Jenga Mwendo im Armenviertel von New Orleans. Draußen ihre Tochter Azana. Foto: Frank Herrmann

New Orleans hat überlebt, wegen des Bürgersinns seiner Lokalpatrioten, allen zum Trotz, die die Stadt nach dem Hurrikan Katrina schon abgeschrieben hatten. Doch der Staat hat sich blamiert, das Vertrauen ist weg, vor allem im Lower Ninth Ward, dem schwarzen Armenviertel, wo sie Hilfe am nötigsten hätten.

Lesezeit: 13 Minuten
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New Orleans – Es wirkt wie ein Fremdkörper, das kleine Haus in zartem Lila. Handtuchschmal, nur ein Stockwerk hoch, eigentlich nur eine Baracke. „Shotgun Shack“ nennen sie so was in New Orleans, angeblich, weil der Schrot einer Flinte ungehindert hindurchfliegen kann, von der Vorder- zur Hintertür. Aber das Lila leuchtet, die Fenster sind neu, das Haus fällt sofort auf in der Trümmerwüste. Nebenan vermodern Bretterhaufen, gelb blühende Kletterpflanzen haben Dächer erobert. Willkommen in der St. Maurice Avenue. Willkommen im Niemandsland.

Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

Jenga Mwendo zog aus New York in ihre  Heimatstadt New Orleans, als alle wegwollten – klassisches Schwimmen gegen den  Strom.
Jenga Mwendo zog aus New York in ihre Heimatstadt New Orleans, als alle wegwollten – klassisches Schwimmen gegen den Strom.
Foto: Frank Herrmann

Freunde erklärten Jenga Mwendo für verrückt, als sie mit Azana, ihrer sechsjährigen Tochter, in diese Einöde zog. Eine Bürgerinitiative dagegen kürte sie zur Musterfreiwilligen. Ihre Eingangstür ist vergittert, ein Hund schlägt an, obwohl Jenga Hunde früher nie mochte. Gegenüber säumen prächtige Magnolien ein kirchliches Altersheim, die Fassade aus solidem Backstein, drinnen gähnende Leere. Unten am Mississippi endet die St. Maurice Avenue an verfallenen Hafenschuppen, wie sie Filmleute gern als Kulisse für Gruselkrimis nutzen. Jenga verbringt jede freie Minute damit, auf leeren Parzellen Gemüse zu züchten, für die Backyard Gardeners, ein Netzwerk ehrenamtlicher Gärtner. Es soll gepflegt aussehen, das Unkraut im Viertel nicht meterhoch wuchern. „Ich weiß, ich bin Sisyphos“, sagt Jenga. „Aber Katrina hat mich durchgerüttelt. Ich kann nicht mehr so tun, als ginge mich das alles nichts an.“

Darryl Terrance  auf seiner Veranda im  Lower Ninth Ward. Er schwamm während des Hurrikans durch die Fluten in New Orleans.<br />
Darryl Terrance auf seiner Veranda im Lower Ninth Ward. Er schwamm während des Hurrikans durch die Fluten in New Orleans.
Foto: Frank Herrmann

Der Lower Ninth Ward war das Epizentrum des Hurrikans. In anderen Ecken von New Orleans stand das Wasser genauso hoch. Aber aus dem Lower Ninth, wo traditionell Afroamerikaner der unteren Einkommensschichten wohnen, kamen die schockierendsten Bilder. Verzweifelte, die auf Dächern um Hilfe flehten, nachdem sie mit Äxten Löcher in ihre Dächer geschlagen hatten, um sich ins Freie zu retten. Später wurde der Lower Ninth zum Symbol der kläglichen Reaktion der Regierung George W. Bushs.

Im Lower Ninth Ward, dem schwarzen Armenviertel, das zum Symbol der kläglichen  Reaktion der Regierung Bush wurde. Der Hollywoodstar Brad Pitt lässt neue Häuser  bauen, modernistische Fremdkörper.
Im Lower Ninth Ward, dem schwarzen Armenviertel, das zum Symbol der kläglichen Reaktion der Regierung Bush wurde. Der Hollywoodstar Brad Pitt lässt neue Häuser bauen, modernistische Fremdkörper.
Foto: Frank Herrmann

Darryl Terrance schaffte es damals aus eigener Kraft. Am 30. August 2005, sechs Uhr morgens, war er aufgewacht nach ein paar Stunden nervösen Schlafs. Das Schlimmste schien überstanden, der Hurrikan war weitergezogen, Darryl fühlte sich bestätigt in seiner Entscheidung. Er hatte nicht gehen wollen, „ich hab schon so viele Stürme ausgesessen, da dachte ich, den hier wirst du auch überstehen“. Als die Dämme brachen und das Wasser eines Kanals in den Lower Ninth zu fließen begann, war er so überrascht, dass er eine Weile wie festgenagelt sitzen blieb. Dann schwamm er, von Dach zu Dach, hinunter bis zum Altersheim in der St. Maurice Avenue, dessen obere Stockwerke deutlich herausragten aus den Fluten. Nach sieben Tagen, erzählt er, kamen Soldaten, um ihn rauszuholen. Sie brachten ihn auf ein Schiff, dann nach South Carolina. Nie sagte ihm einer, wo es hingehen sollte. Zwei Monaten später kehrte er zurück und schlief anfangs draußen in seinem alten Chevy, weil drinnen im Haus alles verschimmelt war. Kumpels halfen beim Renovieren, er half ihnen – „auf Hilfe von Uncle Sam warten wir immer noch“.

Terrance Osborne malt im Zyklus „Post-Katrina Blues“, wie er sich die Zukunft  der Stadt vorstellt. Eine Variante: Übereinandergestapelte  Häuser.
Terrance Osborne malt im Zyklus „Post-Katrina Blues“, wie er sich die Zukunft der Stadt vorstellt. Eine Variante: Übereinandergestapelte Häuser.
Foto: Frank Herrmann

Seit dem 30. August 2005 glaubt Darryl nichts mehr von dem, was ihm Regierungsbeamte versprechen. Zwar sind die Levees, die Uferdämme, stärker und höher als zuvor. An kritischen Stellen hat man Kanäle mit Schutzschleusen gesichert, östlich der Stadt ist am Lake Borgne eine gewaltige Flutmauer im Bau, fast zwei Meilen lang und zehn Meter hoch. Egal, der ernüchterte Frühinvalide hat jedes Vertrauen verloren. „Sobald sie im Wetterbericht was von einem Hurrikan erzählen, mache ich mich auf die Socken.“ Es interessiert ihn nicht mehr, wie hoch ein Damm ist. „Ich will dir was sagen: Ich bin mein eigener Gouverneur, mein eigener Präsident.“

Jenga Mwendo zog aus New York in ihre Heimatstadt New Orleans, als alle wegwollten – klassisches Schwimmen gegen den Strom.

Frank Herrmann

Das Haus von Jenga Mwendo im Armenviertel von New Orleans. Draußen ihre Tochter Azana.

Frank Herrmann

Darryl Terrance auf seiner Veranda im Lower Ninth Ward. Er schwamm während des Hurrikans durch die Fluten in New Orleans.

Frank Herrmann

Im Lower Ninth Ward, dem schwarzen Armenviertel, das zum Symbol der kläglichen Reaktion der Regierung Bush wurde. Der Hollywoodstar Brad Pitt lässt neue Häuser bauen, modernistische Fremdkörper.

Frank Herrmann

Spuren des Verfalls in St. Roch, einem historischen Viertel von New Orleans.

Frank Herrmann

Terrance Osborne malt im Zyklus „Post-Katrina Blues“, wie er sich die Zukunft der Stadt vorstellt. Eine Variante: Übereinandergestapelte Häuser.

Frank Herrmann

Eine der Inseln des Wiederaufbaus im Stadteil Lower Ninth Ward von New Oreleans: Die gemeinnützige Organisation „New Orleans Area Habitat for Humanity“ errichtete hier 72 Häuser des „Musicians' Village“, ein Musiker- Dorf, das obdachlose Künster davon abhalten soll, abzuwandern und die Jazzmetropole New Orleans zu verlassen.

dpa

Pastor Heinz Neumann (77) vor der deutschen Seemannsmission in New Orleans, der seit 35 Jahren im Westen von New Orleans lebt. Während des Hurrikans „Katrina“ Ende August 2005 musste der gebürtige Schlesier aus dem Gebäude gerettet werden, dass bis zum 2. Stock unter Wasser stand. Keine zwei Kilometer entfernt war eine Kanalwand gebrochen.

dpa

Pastor Heinz Neumann (77) vor dem Haus, das vor fünf Jahren während des Hurrikans „Katrina“ bis zur Oberkante des ersten Stocks unter Wasser stand. Im Stockwerk darüber hielt er einen Tag aus, bis er sich von einem kleinen Flachdach aus retten ließ. Keine zwei Kilometer entfernt war eine Kanalwand gebrochen.

dpa

Nur zu einem Drittel ist der Lower Ninth wieder bewohnt. Man sieht es an der Delery Street, der Straße, in der Darryl Terrance lebt. Die Nummer 1327 ist nur noch ein Gerippe aus verfaulten Holzbalken. Die 1329 ist tipptopp renoviert, vor der Veranda eine Jesusfigur. Aus der 1419 haben Kupferdiebe sämtliche Rohre herausgerissen, an der Tür verwittern die Hieroglyphen des Katastropheneinsatzes. Ein Armeetrupp hat das Haus am 18. September 2005 durchsucht und keine Menschen gefunden, null Lebende und null Tote. So steht es immer noch an der Tür.

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

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Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

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Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

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Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Hurrikan „Katrina“ wütete im August 2005 in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Florida, Georgia und Alabama. Er zählt zu den stärksten tropischen Wirbelstürmen, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden. Die Menschen in New Orleans litten am stärksten unter dem Ausmaß der Naturgewalten.

dpa

Wie viele Menschen in New Orleans leben, weiß keiner genau. Mitch Landrieu, seit Mai neuer Bürgermeister, schätzt ihre Zahl auf 320 000 – demnächst ist das Ergebnis einer Volkszählung fällig, danach ist er klüger. Vor Katrina war es rund ein Drittel mehr, doch schon damals ging es bergab, bereits seit 1960 ist die Bevölkerung kontinuierlich geschrumpft. Landrieu schlägt trotzige Töne an. „Zunächst mal, wir sind immer noch hier. Es gibt Leute, die hatten uns abgeschrieben.“ Wie viele Häuser bis heute Ruinen sind, kann auch Landrieu nur raten. Vierzigtausend? Fünfzigtausend? Sechzigtausend? „Einigen wir uns darauf, es sind sehr viele.“

Wegen des knappen Wohnraums stiegen die Mieten seit Katrina um 40 Prozent, weshalb viele der Armen nicht zurückkehren können. Zumeist sind es Afroamerikaner. Vor Katrina war New Orleans zu zwei Dritteln schwarz, jetzt ist es das, falls man Schätzungen glauben darf, höchstens zur Hälfte. Es trägt den Stadtvätern den bitteren Vorwurf ein, sie wollten sich der sozialen Notfälle entledigen und stattdessen junge, dynamische Weiße anlocken. Das Wasser, das fast überall stand, hat die Grundbücher zerstört und die Urkunden der Besitzer weggespült. Manchmal dauerte es vier Jahre, bis Eigentumsfragen geklärt waren und der Fiskus Entschädigungen zahlte. „Road Home“, „Straße nach Hause“, hieß das Programm. Es gibt kaum einen, der nicht mit den Augen rollt, wenn er den Namen hört – im Volksmund ist es die „Straße ins Nichts“. Und als die Schecks endlich ausgestellt waren, wurden Gutgläubige von Betrügern geprellt. Falsche Bauunternehmer ließen sich Vorschüsse zahlen, um Material zu kaufen. Sobald sie das Geld hatten, machten sie sich damit aus dem Staub. Die Rezession setzte auch New Orleans zu, die Ölpest im Golf von Mexiko war der nächste Schlag.

Denise Thornton, Gattin eines Event-Managers, litt fünf Tage im Superdome, dem skandalösen Notquartier der Gestrandeten. Sechs Monate später begann sie von vorn, kaufte ein Fax, eine Kopiermaschine und einen WLAN-Router und machte ihre noch immer moddrig riechende Wohnung zur Kommunikationszentrale für alle. Alte Nachbarn wurden per E-Mail aufgespürt, und eine Portion Chuzpe war immer mit im Spiel: Vor leeren Fensterhöhlen stellte Thorntons Trupp Schilder auf, die ankündigten, dass die Besitzer bald zurückkommen. Nach und nach entstand tatsächlich ein Sog, heute ist Lakeview zu 70 Prozent intakt. Ein weißes Mittelklasseviertel, das nicht auf den Staat warten musste, um aufzubauen. Bald zieht der alte, fußballfeldgroße Supermarkt wieder an die überbreite Harrison Avenue, dann ist die Welt wieder heil. Jedenfalls äußerlich.

Wie es innerlich rumort, spürt man, wenn Thorntons Freundin Connie Uddo erregt von dem Handwerker erzählt, dem sie zornig den Laufpass gab. Der Mann beschwerte sich über die Steuermittel, die nach New Orleans flossen – rausgeschmissenes Geld, bei dieser heiklen Lage unterm Meeresspiegel. „Na hören Sie mal“, bekam er von Connie zu hören. „Wir spielen in einer Liga mit New York, mit Boston und San Francisco. Wir sind unverwechselbar.“ New Orleans, der erste Schmelztiegel Amerikas, seine kosmopolitischste Stadt, karibisch, europäisch und amerikanisch zugleich. „Eine solche Stadt gibt man nicht auf“, sagt Connie Uddo.

New Orleans East. Bürgerversammlung im Verwaltungswürfel 1F. Vier müde Polizisten müssen zugeben, dass sie oft auf verlorenem Posten stehen im Kampf gegen die Drogenbanden, die nachts die dunklen Straßen beherrschen. „Wir arbeiten doch selbst noch im Container“, bittet Robert Mushett, ihr Chef, um Nachsicht. Sobald es regnet, tropft es durchs Dach, jedes Mal müssen sie dann ihre Computer wegräumen. Die Stimmung ist gereizt. New Orleans East, ein weitläufiger Stadtteil, in dem die schwarze Mittelklasse lebt, fühlt sich vergessen. Ins arme Lower Ninth Ward fließen wenigstens die Spenden der Superstars. Dort lässt der Schauspieler Brad Pitt Häuser in zarten Pastellfarben bauen, Häuser mit gewagten Dächern und riesigen Fensterfronten, modernistische Fremdlinge, aber auch Symbole willkommener Hilfe. Das French Quarter mit seinen Jazzkneipen ist längst wieder Touristenmagnet. Der Allerweltsbezirk draußen im Osten aber liegt im Schatten. Kein Supermarkt, kein Krankenhaus. Das alte Methodist Hospital wird nicht wieder aufgebaut. Empörte Anwohner wie Marjorie Carter hegen den Verdacht, dass konkurrierende Kliniken dahinter stecken. Marjorie war Krankenschwester im Methodist, jetzt lebt sie vom Verdienst ihres Mannes. Arthur Carter ist 70, ein Trucker, der es sich nicht leisten kann, seinem Lastwagen Adieu zu sagen.

Die Seele von New Orleans, die Seele von „The Big Easy“, sagen Kenner, sucht man am besten in Tremé. Das historische Viertel hinterm French Quarter gilt als Wiege des Jazz. Nach Katrina zerstreuten sich seine Trompeter, seine Drummer in alle Winde, jetzt sind sie wieder vereint. Die Fans strömen nur so in die „Candlelight Lounge“, wo „Uncle“ Lionel Batiste mit seiner Tremé Brass Band aufspielt – achtzig Jahre alt, spindeldürr, eine Sonnenbrille, die er wohl nur zum Schlafen absetzt. „Die Musik ist alles in dieser Stadt“, meint Benny Johnson, Batistes Partner. „Die Musik ist zurück, da ergibt sich der Rest selbst.“ Terrance Osborne hat es auf Leinwand verarbeitet, das Trauma: Eine der alten Kulturmetropolen Amerikas versank in den Fluten, und Amerikas Hilfe erreichte nur Drittweltniveau. In seinem Zyklus „Post-Katrina Blues“ bietet der Künstler Zukunftslösungen an: Häuser auf Baumwipfeln, Häuser in Kähnen, Häuser, die übereinandergestapelt sind, sodass wenigstens die obersten trocken bleiben. Liebevolle Kreativität. Osborne vergleicht New Orleans mit einer antiken Vase. „Sie ist zu Bruch gegangen, wir haben sie wieder geklebt. Aber es ist nicht mehr dieselbe Vase.“

Und Jenga Mwendo, die ist gegen den Strom geschwommen. In den neunziger Jahren wollte sie weg, nichts wie weg. Entweder konnte man Jazztrompete blasen oder musste in der Verwaltung hocken, dazwischen gab es nichts, spitzt sie es zu. In New York zeichnete sie Figuren für Trickfilme, es lief gut. Ein paar Wochen vor Katrina gab sie ihrem Heimweh nach, indem sie den „Shotgun Shack“ im Lower Ninth kaufte. Sie wollte vermieten, „Immobilienhai wollte ich werden“, witzelt sie. Daraus wurde dann nichts. 16 Monate hat Jenga gewerkelt, um die kaputte Baracke herzurichten, in der Küche dienen alte Türen als Arbeitsplatten. Geldverdienen ist nicht mehr wichtig. Sie will nie wieder weg aus der St. Maurice Avenue.