München

Kampf um Kanzlerkandidatur der CDU: Markus Söder – Der Versöhnliche

Von Jan Drebes, Birgit Marschall, Holger Möhle, Jana Wolf
Gibt sich geschlagen: CSU-Chef Markus Söder überlässt seinem CDU-Kollegen Armin Laschet die Kanzlerkandidatur. Doch der Streit wirkt nach.  Foto: imago
Gibt sich geschlagen: CSU-Chef Markus Söder überlässt seinem CDU-Kollegen Armin Laschet die Kanzlerkandidatur. Doch der Streit wirkt nach. Foto: imago

Es ist 12 Uhr mittags. Stunde der Entscheidung. Es wird dann doch 12.03 Uhr. Und Markus Söder macht es kurz. „Die Würfel sind gefallen. Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union.“ Söder hat Laschet angerufen. Gratulation vom CSU-Chef an den CDU-Vorsitzenden. Es gebe Tage der Diskussion, und es gebe Tage der Entscheidung, sagt Söder noch. Tag zehn im Machtkampf der beiden Parteichefs ist so ein Tag der Entscheidung. Sie haben sich alles abverlangt bei ihrem politischen Kräftemessen. Mal schien Laschet die Oberhand zu behalten, dann wieder Söder, dann wieder Laschet.

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Am Sonntagabend hatte ein CSU-Grande noch eine Kurznachricht verschickt. Ein kurzer Satz nur, aber mit Wirkung: „Der Baum fällt.“ Daraus sollte man wohl ableiten, dass Söder bei Laschet die Axt erfolgreich angelegt habe. Es kam dann doch anders. Vielleicht hatte mancher in der CSU auch Laschets Durchhaltevermögen unterschätzt.

Laschet hatte für sein Ziel der Kanzlerkandidatur die Mitglieder des CDU-Vorstandes noch einmal in eine Nachtsitzung zwingen müssen. Sechseinhalb Stunden tagte das Spitzengremium in der Nacht zu Dienstag, in dem sich der Aachener eine deutliche Rückendeckung abholen wollte, die Söder letztlich zuvor eingefordert hatte. Wenn sich die CDU klar für Laschet ausspreche, werde er das akzeptieren, hatte Söder angedeutet. Der CSU-Chef zitierte sogar noch den Grünen-Co-Vorsitzenden Robert Habeck, der Annalena Baerbock in deren Kandidatenrennen den Vortritt überlassen hatte: „Wir wollen es beide, aber am Ende kann es nur einer machen. Diesen Satz eines Grünen kann ich voll unterschreiben.“ Vermutlich baute Söder da schon vor. Wenn die große Schwester es wirklich will, wenn sie auf Laschet setzt, hat die kleine Schwester zu wenig Gewicht. Der Nürnberger Söder muss am Ende einsehen, dass er dem Aachener Laschet die Kanzlerkandidatur doch nicht abtrotzen kann.

Doch Laschet musste dafür noch durch einen schwierigen Abend. Mehr als 60 Wortmeldungen soll es beim digitalen CDU-Vorstandstreffen gegeben haben, teilweise auch zwiespältige. CDU-Vize Julia Klöckner habe beispielsweise aus ihrem Landesverband Rheinland-Pfalz berichtet, in dem es ein eindeutiges Meinungsbild für Söder als Kanzlerkandidat gebe. Zugleich hätten sich die CDU-Mitglieder aber deutlich für Laschet als Parteichef ausgesprochen. Man könnte es auch so übersetzen: Laschet dürfe also ruhig Parteichef bleiben, wenn er nur Söder die Kanzlerkandidatur überlasse.

In den Ost-Landesverbänden soll das Bild uneinheitlich gewesen sein, auch wenn Sachsen und Sachsen-Anhalt offen für Söder waren. Schließlich steht es im Duell Laschet gegen Söder 31:9 für den CDU-Chef im eigenen Vorstand – bei sechs Enthaltungen. Die CDU meldet 77,5 Prozent für Laschet und 22,5 Prozent für Söder. Doch die CDU rechnet Enthaltungen schon beinahe traditionell nicht ins Ergebnis ein. Dann wären es noch rund zwei Drittel für Laschet. Das liest sich schon anders.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt macht am Dienstag jedenfalls keinen Hehl daraus, dass die Christsozialen von der Art des Entscheidungsprozesses in der CDU wenig halten. „Das Verfahren kann man – konziliant formuliert – als interessant bezeichnen“, sagt Dobrindt. Politiker seien alle „Kinder von Gremien“, sagte Dobrindt. „Wir leben alle in Gremien.“ Aber: „Wir erleben natürlich auch, dass Gremien nur so lange funktionsfähig sind, solange ihre Entscheidungen auf Akzeptanz stoßen.“ Deshalb sei klar, dass das Verfahren „durchaus einige Fragezeichen hinterlässt“.

Ex-Grünen-Chef Jürgen Trittin ätzt: „Armin Laschet zieht mit einer gespaltenen CDU/CSU maximal beschädigt in das Rennen Grün gegen Schwarz.“ Und auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bescheinigt der Union, in einem desolaten Zustand zu sein. Die vergangenen Tage hätten gezeigt: „Die Union braucht eine Auszeit auf der Oppositionsbank“, sagte er. „Es geht CDU und CSU keineswegs um Inhalte oder Moral, sondern ausschließlich um Macht.“ Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) war indes sichtlich bemüht, einen Weg nach vorn aufzuzeigen und das angeknackste Bild in schöne Worte zu kleiden: „Es ist gut, dass die Entscheidung jetzt getroffen ist und wir uns voll auf Inhalte konzentrieren können: Der Klimaschutz ist die wichtigere K-Frage.“

Wie sehr die Ereignisse der Union als Ganzes, aber auch dem Vertrauen in politische Entscheidungsprozesse tatsächlich geschadet hatten, will derzeit in der Union niemand öffentlich beurteilen. Doch allein der Streit über das richtige Verfahren bei der Entscheidung für einen Kanzlerkandidaten hat tiefe Gräben offengelegt. Gegen den Vorwurf von CSU-Chef Söder, der die CDU-Spitzengremien mit „Hinterzimmern“ verglichen hatte, wehrte man sich in der CDU. „Der CDU-Bundesvorstand hat die entscheidende Legitimation“, heißt es.

CSU-Generalsekretär Markus Blume erklärt Söder zum „Kandidaten der Herzen“. Vizegeneralsekretär Florian Hahn glaubt gar, Söders Kandidatur habe die eigenen Reihen bei der CSU „noch mehr geschlossen“. Oder anders gesprochen: Söders Truppen stehen.

Bei den Söder-Unterstützern unter den CDU-Bundestagsabgeordneten ist auch erheblicher Unmut aus NRW über Armin Laschet zu hören. Söder bedankt sich bei vielen „mutigen Abgeordneten, die entgegen normaler Parteisolidarität sehr offen gesagt haben, was sie schätzen“. Es gebe „Verantwortung für das Land – das wäre die Bereitschaft gewesen zu kandidieren –, aber es gibt auch Verantwortung für die Union“. Söder sichert Laschet seine Unterstützung in einem „außerordentlich schwierigen Wahlkampf“ zu – seinen Worten nach „ohne Groll“. Ob es so kommt? Söder ist nicht der Typ, der Rivalen durch eigenes Zutun noch stärker macht, als sie sind.

Laschet sagt eine Stunde nach Söders erklärtem Rückzug von der Kanzlerkandidatur: „Wir haben es uns nicht leicht gemacht, weil es schließlich um etwas geht.“ Die CSU habe mit ihrer Entscheidung wiederum das Votum der CDU erst möglich gemacht. Laschet weiß, dass manche eine andere Entscheidung gewünscht hätten. Er dankt Söder für den „Vertrauensbeweis“. Vertrauen ist nach diesen Tagen des zertrümmerten Porzellans ein schwieriges Wort. Laschet verspricht: „Markus Söder wird eine Rolle dabei spielen für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland.“ Im Team Laschet. Im Bundestagswahlkampf. Das muss das Team Söder erst noch verdauen.

Jan Drebes/Birgit Marschall/Holger Möhle/Jana Wolf