Berlin

Jugend-Doping war DDR-Staatsprogramm

Jugend-Doping war DDR-Staatsprogramm
Drei wichtige Männer im Sportsystem der DDR: Thomas Köhler (großes Foto) war als Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes der zweite Mann im Sportstaat hinter Manfred Ewald (unten). Als medizinische Spitze fungierte Manfred Höppner in der Umsetzung des Doping-Programms „Staatsplan 14.25“. Foto: dpa

Der Spruch von der Deutschen Doping Republik DDR gilt für alle Altersklassen. Erstmals hat einer der ranghöchsten Sportfunktionäre des Ostens Doping von Minderjährigen eingeräumt. In einem Buch liefert der ehemalige Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes, Thomas Köhler, die Rechtfertigung für die Vergehen gleich mit.

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Von unserem Redakteur Volker Boch

Berlin – Der Spruch von der Deutschen Doping Republik DDR gilt für alle Altersklassen. Erstmals hat einer der ranghöchsten Sportfunktionäre des Ostens Doping von Minderjährigen eingeräumt. In einem Buch liefert der ehemalige Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes, Thomas Köhler, die Rechtfertigung für die Vergehen gleich mit.

20 Jahre sind eine lange Zeit. Die Mauer ist lange weg, die Schrecken des DDR-Systems sind beinahe vergessen. Weil Menschen wie Thomas Köhler so getan haben, als sei alles nicht so schlimm gewesen. Köhler als Stellvertreter von DDR-Sportchef Manfred Ewald und andere tragende Säulen des Ost-Sportsystems hatten jahrzehntelang für Top-Ergebnisse bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gesorgt. Mithilfe von Doping.

Ein Buch zum Geburtstag

Noch vor knapp zehn Jahren war in den Berliner Prozessen zur Beteiligung der Spitzenfunktionäre am Doping-Staatssystem vor allem geschwiegen worden von den feinen Herren. Nun hat Thomas Köhler, der frühere Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes, ein Buch vorgelegt, quasi nachträglich als eigenes Geschenk zu seinem 70. Geburtstag. Ab heute ist das Werk mit dem Titel „Zwei Seiten der Medaille“ im Handel erhältlich.

Der Glanz der DDR-Medaillen hatte – für den Westen gilt das übrigens ganz genauso – ein dunkles, schäbiges, mitunter ekelerregendes Spiegelbild. Vielen Erfolgen lag strukturell organisiertes Doping zugrunde, in den Berliner Prozessen wurde von Staatsdoping auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse gesprochen. Köhler gibt in seinem Buch nun erstmals zu, dass es dieses System gegeben hat, und gesteht Kinderdoping im Schwimmen ein.

Köhlers Last-minute-Geständnis ist an sich überflüssig, weil aufgrund der Erkenntnisse aus vielen Akten des Überwachungs- und Archivierungs-Staates DDR und Sportlerschilderungen feststeht, dass es Doping in allen Disziplinen und Altersklassen auf Staatsrezept gegeben hat. Dennoch ist der – zur öffentlichen Selbstdarstellung benutzte – Vorstoß ein wichtiger Stein im düsteren Mosaik.

In den Prozessen von Berlin und bei vielen anderen Gelegenheiten haben sich die Funktionäre schließlich zu gern nach dem gleichen Muster verhalten, das in den Nürnberger Prozessen von Naziverbrechern angewendet wurde. Es sprachen meist nur die Anwälte, die zwar eine systemische Schuld erkannten, aber nur wenig davon auf ihre Mandanten übertragen wissen wollten. „Ich bin dankbar für die Worte meines Anwalts. Dem habe ich nichts hinzuzufügen“, lautete das Schlusswort von DDR-Sportchef Manfred Ewald vor dem Berliner Urteilsspruch im Juli 2000. Warum auch etwas zugeben? Bis heute reagieren Zeitzeugen wütend, wenn sie auf die Urteile angesprochen werden – Ewald wurde wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit 22 Monaten auf Bewährung am höchsten bestraft. Die Körperverletzung hatte das System, dem er und Köhler vorstanden, angeordnet.

Gefühlte Chancenlosigkeit

Köhler erklärt in seinem Buch nun, dass Anfang der 70er-Jahre die Chancengleichheit für DDR-Sportler im Ost-West-Vergleich nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Dies soll andeuten, dass im Westen entweder besser trainiert oder besser gedopt wurde. Dass im Westen ebenfalls heftig manipuliert wurde, ist hinreichend bekannt, spielt in diesem Zusammenhang aber keine Rolle. Aufgrund dieser gefühlten Chancenungleichheit „entschied sich die damalige Sportleitung für den Einsatz ausgewählter anaboler Substanzen in einer Reihe von Sportarten“, schreibt Köhler. „Wenn also die DDR weiterhin im internationalen Sportgeschehen erfolgreich mithalten wollte, blieb nichts weiter übrig, als den Einsatz von Dopingmitteln zu gestatten.“

„Kontrollierte Anwendung“

Diese Verharmlosung der Dopingschuld ist ebenso Teil des Buches wie die Behauptung, dass „sachgerechte und medizinisch kontrollierte Anwendung ausgewählter Dopingmittel“ praktiziert worden sei. Strengste Einhaltung der ärztlichen Sorgfaltspflicht habe es gegeben – und: „Schwere gesundheitliche Zwischenfälle oder sogar Todesfälle, die in anderen Ländern durchaus vorkamen, passierten in der DDR nicht.“ Dies dürfte für Betroffene ein Schlag ins Gesicht sein.

Selbst das eingestandene Doping von Minderjährigen entschuldigt Köhler: „Wenn Sportler bereits ab dem 16. Lebensjahr beteiligt wurden, geschah das vor allem unter Beachtung ihres biologischen Reifegrades.“ Angesichts dieses „Verantwortungsbewusstseins“ wäre es für Köhler selbstverständlich gewesen, Doping bei noch jüngeren Sportlern nicht zu dulden, wenn er denn davon Kenntnis gehabt hätte. Es wäre zudem für Athleten möglich gewesen, in den DDR-Kadern zu bleiben, falls sie Doping abgelehnt hätten. Mit dieser fabelhaften Behauptung widerspricht sich der Autor indirekt selbst, indem er die leistungsbezogenen Prämien nennt, die es für Trainer und Sportler beim Erreichen bestimmter Medaillenziele gab, unter anderem mehrere Tausend West-Mark für einen Olympiasieg.

Auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer hat sich eines nicht geändert: Die Rechtfertigung rechtfertigt Unrecht nicht.