Berlin

Jubel in Berlin: AfD zieht erstmals ins EU-Parlament ein

Lucke
AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke hat Grund zum Feiern. Foto: Hannibal Hanschke

Bei der ersten Prognose bricht im Maritim Hotel in der Berliner Friedrichstraße Jubel aus. Einige Hundert Mitglieder der Alternative für Deutschland skandieren lauthals „AfD“. Nach etwas mehr als einem Jahr ihres Bestehens hat die junge Partei es tatsächlich ins Europaparlament geschafft.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

Bei 6,5 Prozent sieht sie die erste Hochrechnung, sechs Sitze in Straßburg sind den Euro-Gegnern damit sicher. Zum ersten Mal zieht damit eine erklärt europakritische Partei aus Deutschland ins europäische Parlament ein.

Der Hamburger Ökonomieprofessor und Parteichef Bernd Lucke hat die letzten Stunden in einem Ruheraum des Hotels verbracht, heißt es. Seine Rede war ursprünglich erst für halb sieben angekündigt gewesen. Doch nun ist er wenige Sekunden nach der ersten Hochrechnung doch schon auf der Bühne.

Er lächelt, aber er jubelt nicht, trotz der Sensation. Mit 6,5 Prozent ist die AfD leicht hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Manche hatten den Euro-Skeptikern bis zu 9 Prozent zugetraut. In der Friedrichstraße spricht ein Mitglied dennoch von einem „Sensationsabend“. Die Feindbilder sind klar: Als das Wahlergebnis der FDP mit nur 3 Prozent über die Bildschirme läuft, jubeln die AfDler lauter als bei ihren eigenen Werten.

Lucke vergleicht EU mit Kind

Ein Dutzend Kinder und Jugendliche steht jetzt mit Lucke auf der Bühne und winkt. Lucke selbst hat fünf Kinder, weitere Jugendliche wurden im Saal zusammengetrommelt. Kinder seien schließlich „das Wertvollste und der Grund, warum wir all das hier machen“, erklärt Lucke. „Die AfD ist aufgeblüht als eine neue Volkspartei“, sagt er zufrieden. Eine „soziale und wertorientierte Partei“ sei sie. Mit der scharfen Generalkritik an Europa und Euro ist vorerst Schluss. Lucke schlägt heute auffallend sanfte Töne an. Was für Kinder gilt, gilt auch für Europa, stellt er fest: „Man darf über Fehler nicht hinwegsehen.“ Das Kind Europa will er deshalb „künftig da loben, wo es gut ist, und es kritisieren, wo es der Korrektur bedarf“.

Der sonst eher kühle Wissenschaftler Lucke, der bei Wahlveranstaltungen vorrechnet, warum die Euro-Rettung nicht funktionieren wird, heute Abend ist er Familienmensch. Die Partei, die bei Pressekonferenzen nichts dem Zufall überlässt, hat an der Choreografie gefeilt. Lucke dankt den Familien der Wahlhelfer für „die vielen Entbehrungen der vergangenen Monate“. Die Kinder stehen noch immer hinter ihm. Die AfD war bei ihren Wahlveranstaltungen massiven Störungen durch ihre Gegner ausgesetzt. Ihre Wahlplakate wurden zu einem Großteil zerstört, hatte Lucke in den vergangenen Wochen beklagt. Lucke betont heute die wertkonservative Seite seiner Partei. Im Saal unten beklatschen ihn einige Hundert AfDler, die meisten Männer über 50 im Anzug, wenige Frauen, davon viele in Abendgarderobe. Ein Mann im blauen T-Shirt schwenkt eine AfD-Fahne. Gleich soll noch der frühere BDI-Präsident und Befürworter eines Nord- und eines Süd-Euro, Hans-Olaf Henkel, sprechen. Die „Professoren-Partei“, wie sie wegen ihrer akademischen Prominenz im Vorstand genannt wird, hatte sich schon einmal hier versammelt, ohne am Ende etwas zu feiern zu haben. Bei der Bundestagswahl kam die AfD nur auf 4,7 Prozent und damit nicht in den Bundestag.

Kein „Weiter so“ mit dem Euro

Jetzt ist alles anders. „Das ist ein wichtiges Zeichen aus Deutschland“, sagt Thomas Orth aus dem Landesverband Hessen. Was die AfD jetzt im Europaparlament bewirken will? „Die EU verschlanken, das Freihandelsabkommen mit den USA verändern und Parallelwährungen einführen“, sagt Orth. Ein „Weiter so“ könnte es mit dem Euro jedenfalls nicht geben.

Mit welcher anderen europäischen Partei die AfD zusammenarbeiten wird, ist am frühen Abend noch völlig unklar. „Mit ausländerfeindlichen Parteien werden wir nicht zusammenarbeiten. Dabei bleibt es“, stellt die Berliner AfD-Frau Beatrix von Storch klar, die dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet wird. Üblicherweise schließen sich gleichgesinnte Parteien aus verschiedenen Ländern im Europaparlament zusammen.

Der erste Wahlsieg der AfD wird aber nicht nur das Parlament in Straßburg verändern. Parteienforscher Karl-Rudolf Korte sieht auch „große Auswirkungen für die innerdeutsche Parteienlandschaft“. Mit der AfD werden vor allem die konservativen Parteien nun zu rechnen haben.