Achtelsbach

Jahrestag: Jerry Huber und Kennedys Traum vom Mond

Am 21. Juli 1969 sitzt der Amerikaner Jerry J. Huber vor einem Fernseher in einer Kneipe in Birkenfeld. Knapp 385 000 Kilometer entfernt schreibt sein Landsmann Neil Armstrong gerade Menschheitsgeschichte.

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Von unserem Redakteur Christian Kunst

Als der Astronaut seinen Fuß auf den Mond setzt, sagt er: „Das ist ein kleiner Schritt für den Menschen, aber ein riesiger Schritt für die Menschheit.“ Huber sagt zu seinen Kameraden von der US-Airforce und den Deutschen in der Kneipe: „Ich habe daran mitgewirkt, dass der da oben ist.“ Keiner glaubt dem Mann mit der Brille und dem Bart.

Heute sagt der 68-jährige Mann aus Michigan: „Ich habe dabei geholfen, dass der Traum Kennedys vom ersten Amerikaner auf dem Mond in Erfüllung gegangen ist.“ Der US-Präsident ahnte dies wohl, als er Huber am 21. November 1963 – einen Tag vor dem Attentat in Dallas – besuchte und fast eine halbe Stunde mit ihm sprach.

Rückblick: Am 25. Mai 1961 hielt der frisch gewählte US-Präsident John F. Kennedy vor dem US-Kongress seine legendäre Mond- Rede: „Ich glaube, dass dieses Land sich dem Ziel widmen sollte, noch vor Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn wieder sicher zur Erde zurückzubringen. Kein einziges Weltraumprojekt wird in dieser Zeitspanne die Menschheit mehr beeindrucken oder wichtiger für die Erforschung des entfernteren Weltraums sein; und keines wird so schwierig oder kostspielig zu erreichen sein.“

Kennedys Rede war eine Kampfansage im Kalten Krieg mit der Sowjetunion, die am 12. April den Kosmonauten Juri Gagarin als ersten Menschen ins All geschickt hatte. JFK versuchte, der geschockten amerikanischen Nation wieder eine Vision zu geben. Eineinhalb Jahre später kommt der 18-jährige Jerry Huber nach seiner Grundausbildung als Freiwilliger in die School of Aerospace Medicine, die Teil der Brooks Airforce Base in San Antonio (Texas) war.

„Wir waren Versuchskaninchen für die Astronauten.“ Vier Wochen vor dem Attentat auf Kennedy wird Huber zusammen mit drei weiteren Soldaten in eine neun Meter lange sowie drei Meter hohe und tiefe Kompressionskammer eingeschlossen. Darin werden die Verhältnisse, die Astronauten in 9300 Kilometer Höhe vorfinden, simuliert.

Vor allem sollte getestet werden, wie der Körper mit reinem Sauerstoff umgeht, den auch die Astronauten atmen mussten.

42 Tage müssen Huber und seine Kameraden in der Kammer ausharren. „600 Leute hatten sich für diesen Job gemeldet“, berichtet Huber. Und er ergänzt stolz: „Es war weltweit das erste Mal, dass so etwas auf der Erde getestet wurde.“ Er verschweigt aber auch nicht, dass ihm das im Weltall stark vorhandene radioaktive Barium injiziert wurde.

Es wurde getestet, wie lange der Stoff braucht, bis er im Knochenmark angekommen ist, erzählt Huber. Außerdem überprüfte ein Arzt ständig Blutwerte und die körperliche Fitness der Männer. Die mussten im Wechsel jeweils zu zweit entweder nachts oder tagsüber schlafen. Am 21. November hat Jerry Huber Tagschicht. Vor dem kleinen Fenster, über das die Männer Kontakt mit der Außenwelt haben, steht am frühen Nachmittag USPräsident John F. Kennedy, ausgerüstet mit Mikrofon und Kopfhörer.

Eigentlich wollte er in der Airforce Base ein Gebäude eröffnen und zu den Soldaten sprechen. Doch als er von den Männern in der Kammer hört, ändert er kurzerhand seine Pläne. Mit dabei ist natürlich auch seine Frau Jackie. Die fragt sofort erstaunt, wer denn der Mann mit dem Bart ist, und zeigt auf Huber. Es ist für Soldaten insbesondere bei der Luftwaffe ungewöhnlich, dass sie einen Bart tragen, erklärt Huber.

Doch rasieren durfte er sich nicht. Ein Funke hätte gereicht, und die Kammer wäre explodiert.

Stolzes Versuchskaninchen

Dann unterhält sich JFK lange Zeit mit Huber. Der kann sich nur noch daran erinnern, dass Kennedy fragte, wie lange Huber schon in der Kammer sei und ob alles in Ordnung ist. Das stolze Versuchskaninchen sagt: „Es ist alles einwandfrei hier drin.“

Huber ist fasziniert von der Begegnung mit dem jungen Präsidenten. Deshalb lässt er sich einen Tag später einen Fernseher vor das Fenster stellen, um die Parade seines Präsidenten durch Dallas verfolgen zu können. Während sein Kamerad ein Buch liest, sieht Jerry Huber, wie mehrere Schüsse John F. Kennedy verletzen und dann das Leben nehmen. Huber platzt vor Wut: „Ich wollte am liebsten ein Gewehr holen und auf die Jagd gehen.“

Er ist verzweifelt, sieht, wie um die Kammer herum Hektik ausbricht. Sehr schnell wird dort darüber nachgedacht, das Experiment abzubrechen. Doch dann entscheiden Hubers Vorgesetzte: Wir machen weiter. Zwei Wochen lang sitzen die vier Männer noch in der Kompressionskammer. Als Huber in seinem Wohnzimmer in Achtelsbach (Kreis Birkenfeld) von Kennedys Tod erzählt, stehen Tränen in seinen Augen.

Als würde es ihn noch heute umwerfen, lehnt er sich in seine Couch zurück. Dann sagt er: „Damals ist ein Teil meines Vertrauens in die Menschen verloren gegangen. Wie verrückt muss eine Gruppe von Leuten sein, um so etwas zu tun?“ Jerry Huber glaubt nicht, dass Lee Harvey Oswald allein die Tat begangen hat.

„Der war nur der Sündenbock. Und er musste sterben, bevor er etwas über die Hintermänner verraten konnte.“ Als Jerry Huber 1968 als Elektroniker zur US-Airforce-Base nach Birkenfeld kam, lernte er seine deutsche Frau kennen. Er blieb in Deutschland, arbeitete im Luftrettungsbunker Börfink, später in verschiedenen Nato-Projekten und wieder für die Raumfahrtbranche, bei der ESA in Darmstadt. Huber hat bis heute nur einen US-Pass. Doch sein Verhältnis zu seiner Heimat ist seit den tödlichen Schüssen auf JFK gespannt.

Nur einmal, bei der Wahl von Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson, gab Huber seine Stimme bei Wahlen ab. „Heute würde mir nur die Wahl zwischen zwei Übeln bleiben.“ Johnson verwirklicht Vision „Für John F. Kennedy war es egal, welche Religion oder Hautfarbe jemand hat. Für ihn zählte der Mensch“, sagt der Mann mit dem Bart und der Brille.

Als er sich einmal zu einem schwarzen Kameraden in Mississippi in einen Bus setzte, sagte ihm der Busfahrer, dass er dort nicht sitzen dürfe. Das sei die Bank für Schwarze. „Kennedy wollte diese Ungleichheit aufheben.“ Sein Nachfolger Lyndon B. Johnson verwirklichte später Kennedys Vision – so wie Jerry Huber, das Versuchskaninchen in der Kompressionskammer in San Antonio, ein wenig dazu beitrug, dass John F. Kennedys Traum vom ersten Menschen auf dem Mond in Erfüllung ging.