Interview: Angela Merkel will Politik mehr erklären

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wirbt knapp eine Woche vor der Bundestagswahl entschieden für eine Neuauflage ihrer Regierungskoalition mit der FDP. Die vergangenen vier Jahre seien „gute Jahre“ gewesen, sagt sie im Interview:

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Die Fragen stellten Chefredakteur Christian Lindner und unsere Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

Frau Bundeskanzlerin, muss eine Volkspartei wie die Union heute flexibler entscheiden als noch vor 20 Jahren, auch wenn sie dabei Gefahr läuft, beliebig zu werden?

Die Grundwerte der Union bieten seit jeher eine verlässliche und unverrückbare Orientierung. Allerdings dreht sich die Welt weiter, und wir stehen heute vor anderen Fragen als damals. Ein Beispiel: Erfreulicherweise haben wir in Deutschland immer mehr gut ausgebildete Frauen. Die allermeisten wollen ihre Fähigkeiten auch beruflich nutzen.

Das ist schon deshalb zu begrüßen, weil sonst noch größerer Fachkräftemangel droht. Also stärken wir heute noch mehr als früher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – etwa mit dem Rechtsanspruch auf Kitaplätze für Ein- und Zweijährige.

Was ist Ihrer Regierung in den vergangenen vier Jahren gelungen, was nicht?

Sehr vielen Menschen geht es heute besser als vor vier Jahren. 42 Millionen Menschen sind erwerbstätig – so viele wie nie zuvor. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf weniger als drei Millionen gesunken, die Jugendarbeitslosigkeit ist die niedrigste in Europa. Die Bundesregierung hat massiv in Bildung und Forschung investiert.

Wir haben den Bundeshaushalt in Ordnung gebracht, sodass wir im nächsten Jahr keine neuen Schulden mehr aufnehmen müssen. Gleichzeitig konnten wir die Menschen und die Betriebe um etwa 30 Milliarden Euro entlasten: höheres Kindergeld, höherer Steuerfreibetrag, Abschaffung der Praxisgebühr, stabile Lohnzusatzkosten. Unter dem Strich hat ein Arbeitnehmer mit 42 000 Euro Jahresbrutto heute rund 1300 Euro mehr in der Tasche als 2009. An diese Erfolge wollen wir anknüpfen. So werden wir erneut versuchen, die sogenannte kalte Progression zu beseitigen und dadurch die Beschäftigten steuerlich zu entlasten.

Wir setzen darauf, dass der Bundesrat das nach der Bundestagswahl nicht erneut verhindert.

Bundespräsident Joachim Gauck beklagt eine wachsende Distanz zwischen Politikern und Bürgern – sehen Sie diese Entwicklung auch als ein Problem für die Demokratie?

Wo immer ich in Deutschland unterwegs bin – und nicht nur jetzt im Wahlkampf –, erlebe ich Bürger, die interessiert und oft leidenschaftlich engagiert sind. Ich mache mir daher keine Sorgen um unsere Demokratie. Ich spüre allerdings, dass es immer nötiger wird, Politik zu erklären, denn viele Themen und Probleme sind heute sehr komplex.

Denken Sie nur an die Energiewende. Deshalb haben wir zum Beispiel beim geplanten Bau von Stromtrassen ganz bewusst die Möglichkeiten ausgeweitet, sich frühzeitig zu informieren und mitzureden. Ich denke, das ist der richtige Weg.

Das Wahlprogramm der Union könnte bis auf wenige Akzente die Überschrift tragen „Weiter so“. Braucht Deutschland keine größeren Reformen?

Deutschland hatte vier gute Jahre, und ich möchte, dass auch die nächsten Jahre gut werden. Wir haben in Deutschland große Aufgaben zu bewältigen; ich nenne nur zwei: Antworten auf die Bevölkerungsentwicklung zu geben und die Energiewende zu gestalten. Dazu gehört, dass die Stromversorgung sicher und bezahlbar bleibt, wenn wir bis 2022 alle Atomkraftwerke abschalten.

Für beide Themen haben wir gute Konzepte, die wir Schritt für Schritt umsetzen müssen. Dazu werden wir die Reform des Erneuerbare-Energien- Gesetzes gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode in Angriff nehmen, damit die Kosten für den Ökostrom bezahlbar bleiben.

Brauchen wir in diesen „Neuland“- Zeiten ein eigenes Internet- Ministerium?

Mir ist seit Langem bewusst, dass die Bedeutung des Internets immens zunimmt. Es ist heute schon fast allgegenwärtig. Deshalb habe ich gleich zu Beginn meiner Kanzlerschaft den IT-Gipfel ins Leben gerufen. In diesem Jahr organisiert das Bundeswirtschaftsministerium den achten Gipfel – in enger Zusammenarbeit mit anderen Ministerien. Die digitale Welt berührt die Arbeit vieler Ministerien, die sich gut abstimmen. Ich kann keinen Mehrwert in einem Internet- Ministerium erkennen.

Andere europäische Länder werden zu einem rigorosen Sparkurs gezwungen. Warum geht Deutschland selbst nicht mit ehrgeizigeren Sparzielen voran?

Wir sind ehrgeizig beim Sanieren unseres Haushaltes. Wir senken 2014 die strukturelle Neuverschuldung auf null, danach werden wir erstmals seit Jahrzehnten Schulden tilgen. Die Vorgaben der Schuldenbremse im Grundgesetz erfüllen wir Jahre früher als verlangt.

Die AfD fordert „eine geordnete Auflösung des Euro- Währungsgebietes“ und sagt: „Deutschland braucht den Euro nicht.“ Was halten Sie von solchen Positionen?

Wir sichern den Euro, weil er gut ist für Deutschland, weil er unsere Arbeitsplätze sichert, weil er unsere Garantie für ein erfolgreiches Deutschland ist. Gerade wir Deutschen haben ein geradezu lebenswichtiges Interesse daran, dass der Euro eine stabile Währung bleibt. Unsere exportorientierten Unternehmen und ihre Beschäftigten profitieren davon in besonderem Maße – und damit letztlich wir alle. Euro und Binnenmarkt bilden das Herzstück der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.

Fehler sind bei der Einführung des Euro schon gemacht worden. Wie können diese korrigiert werden?

Es hat in Europa lange an finanzpolitischer Verlässlichkeit gemangelt. In Deutschland etwa hat die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Schröder den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgeweicht und leichtfertig Griechenland in den Euro-Raum aufgenommen, aber wir schauen jetzt nach vorn. Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung zeigen in Europa erste Früchte.

Die Schlüsselfrage bleibt die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Mitgliedstaaten. Bei den Beratungen über den Haushalt der EU habe ich deshalb durchgesetzt, dass wir mehr in Forschung und Zukunftstechnologien investieren.

Die FDP erwähnen Sie im Wahlkampf nicht. Was verbindet die Liberalen und die Christdemokraten noch?

Natürlich setze ich mich zuallererst für ein gutes Wahlergebnis der Union ein, dafür bitte ich um beide Stimmen für die CDU. Mein Ziel ist es zugleich, die christlich-liberale Koalition fortzusetzen. Die vergangenen vier Jahre waren vier gute Jahre. Deutschlands Wirtschaft ist stark, den Menschen bieten sich immer bessere Chancen.

Natürlich ist das vor allem der Erfolg der Menschen und der innovativen Unternehmen, aber ohne die richtigen Weichenstellungen der Politik hätten wir die große Finanz- und Wirtschaftskrise nicht so gut überwunden und könnten die europäischen Staatsschuldenkrise nicht so entschlossen meistern. Das zeigt: Union und FDP arbeiten erfolgreich zusammen. Deshalb möchte ich diese Zusammenarbeit gern fortsetzen.

Sie stellen sich für eine weitere ko- Amtszeit zur Wahl. Wie würden Sie das Feld der möglichen Nachfolger in Ihrer Partei beschreiben?

Wenn die Frage ansteht, wird es ganz gewiss Frauen und Männer in der Union geben, die den Willen und auch die Fähigkeiten haben, Kanzler zu werden.