Immer neue Lebensmittelskandale: Experten fordern dringend mehr Überwachung
Die staatliche Lebensmittelkontrolle ist Ländersache. In Rheinland-Pfalz ist diese Aufgabe seit 1993 kommunalisiert, für das übergeordnete Fachministerium teilen sie sich die Ministerinnen Ulrike Höfken (Ernährung) und Anne Spiegel (Verbraucherschutz). Das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz (LUA) als obere Landesbehörde ist laut Internetauftritt „ein staatlicher Dienstleister im Verbraucherschutz und im Gesundheitsschutz für Mensch und Tier“. Die Fachbehörde ist zuständig für die Lebensmittelüberwachung, Tierseuchenbekämpfung und Infektionsprävention beim Menschen im Land verantwortlich. Es gibt Standorte in Mainz, Speyer, Landau, Trier und Koblenz, wo das Referat für Lebensmittelüberwachung untergebracht ist. Hierher werden Proben geschickt, die Lebensmittelkontrolleure und Veterinärmediziner einreichen, die wiederum bei den Landkreisen angestellt sind.
„Die Zusammenarbeit verläuft gut, jedoch werden die Aufgaben immer komplexer, die Handelsströme immer globaler, und die Auswirkungen und Verflechtungen reichen in der Regel über die Kreisgrenzen hinaus. Unsere Mitarbeiter werden auf allen Ebenen der Lebensmittelüberwachungsbehörden zurzeit ständig mit neuen Aufgaben vonseiten der Bundes- und EU-Ebene konfrontiert und gebunden, ohne dass die Bundesregierung den Ländern hierfür entsprechende Finanzmittel zukommen lässt“, heißt es dazu aus dem Umwelt- und Ernährungsministerium in Mainz. Und: „Notwendig wäre auch die Verstärkung der Forschung durch den Bund und die Möglichkeit, teure Hightechkontrollverfahren zur Verfügung zu stellen oder zu fördern, weil die Länder im Regelfall finanziell nicht dazu in der Lage sind, sich diese allein zu leisten.“
„Wir sind eine Landesbehörde und tun mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, was wir können“, betont Achim Ginkel, Sprecher des LUA in Koblenz. In Rheinland-Pfalz erheben 130 Kontrolleure über das Jahr rund 20.000 Stichproben in Restaurants, Gasthäusern, Imbissbuden, Brauereien, Molkereien, Supermärkten und bei Pizzakartonherstellern. Für Fleisch- und Wurstbetriebe oder Nutztierhalter übernehmen diesen Job Tiermediziner.
Die Zahl der Kontrolleure ist seit Jahren stabil – man könnte auch sagen, sie stagniert. Denn laut Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands (BVLK) könnte die Republik, gemessen am Bedarf, 1500 bis 2500 Kontrolleure mehr vertragen. „Mit dem vorhandenen Personal schaffen wir nur rund 45 Prozent der notwendigen Kontrollen“, erklärte die BVLK-Vorsitzende Anja Tittes nach dem jüngsten Skandal. Da ist es fast logisch, dass es im statistischen Mittel keinen wesentlichen Anstieg der Auffälligkeiten gibt: Die Zahl der Beanstandungen liegt im Land bei rund 12 Prozent, überwiegend, zu 90 Prozent, geht es dabei um Kennzeichnungsmängel. „Die Lebensmittel- und Weinkontrolleure haben im Jahr 2018 rund 46.500 Kontrollbesuche in gut 26.100 rheinland-pfälzischen Betrieben absolviert. Bei etwas mehr als 4200 Betrieben – also etwa jedem sechsten – wurden Verstöße wie etwa mangelnde Hygiene, bauliche Mängel oder Fehler bei der Kennzeichnung von Speisen festgestellt“, bilanziert das LUA.
Anruf beim Landesverband der Lebensmittelkontrolleure in Speyer. Frank Schaubel, seit drei Monaten dessen Vorsitzender, warnt vor Illusionen: „Wir machen nur Stichproben, Garantie auf Sicherheit können wir keine geben“, stellt er klar. In erster Linie (und qua EU-Gesetz) sei der Unternehmer, der ein Lebensmittel herstellt oder in den Verkehr bringt, für dessen Sicherheit verantwortlich, betont er. „Aber es gibt einfach zu viele Möglichkeiten, Fehler zu machen, oft passiert das aus Unwissen.“ Dass mit Keimen kontaminierte Wurst oder Milch wie bei den jüngsten Skandalen zum Verbraucher gelangt, ließe sich nicht auf null reduzieren. „Man kriegt solche Keime nicht aus der Welt“, stellt er klar. Man setze auf das Hürdenprinzip: Eine Kombination aus Eigenkontrolle und staatlicher Überwachung soll bestehende Risiken ausschalten oder minimieren.
Meist klappt das: Am häufigsten vergeben Lebensmittelkontrolleure die Note befriedigend bis ausreichend. Kontrolliert wird nach einem Algorithmus, den der Computer aufgrund von Betriebsgeschichte und Anfälligkeit ausspuckt. Geht es nicht um heikle Ware wie rohes Hackfleisch oder anfällige Kundschaft (Kinder oder Kranke), liegen zwischen den Kontrollbesuchen im Schnitt 12 bis 15 Monate. Eingestellt werden die Kontrolleure von den Landkreisen, die den Bedarf nach einem Schlüssel gemäß ihrer Fläche und Einwohnerzahl bestimmen. Voraussetzung ist ein Meister-, Techniker oder FH-Abschluss in einem Lebensmittel verarbeitenden Beruf, dazu kommen zwei Jahre Ausbildung, bezahlt wird gemäß mittlerem Dienst. Besonders lukrativ ist das nicht, findet Schaubel. „Adäquaten Nachwuchs zur Ausbildung zu finden, ist schon problematisch. Dann müssen die Kreise diese Ausbildungsstellen ja auch noch zur Verfügung stellen, also finanzieren.“ Nicole Mieding