Nairobi

Hoffnung für Straßenkinder in Nairobi

Slumkinder in Nairobi: Das Leben findet auf der Straße statt. HELFT UNS LEBEN will mit dazu beitragen, dass diese Mädchen und Jungen wieder lachen können.
Slumkinder in Nairobi: Das Leben findet auf der Straße statt. HELFT UNS LEBEN will mit dazu beitragen, dass diese Mädchen und Jungen wieder lachen können. Foto: Wolfram Kiwit

Der Geruch setzt sich in Hirn und Kleidern fest. Die Bilder nehmen gefangen. Wer die Augen schließt, sieht weiter die ewige Tristesse der Wellblechhütten. Blickt in erwartungshungrige Kinderaugen. Stolpert über Steine und Menschen. Riecht faulenden Unrat, auch frische Wäsche und heiße Kohlen der Feuerstellen.

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Nairobi – Der Geruch setzt sich in Hirn und Kleidern fest. Die Bilder nehmen gefangen. Wer die Augen schließt, sieht weiter die ewige Tristesse der Wellblechhütten. Blickt in erwartungshungrige Kinderaugen. Stolpert über Steine und Menschen. Riecht faulenden Unrat, auch frische Wäsche und heiße Kohlen der Feuerstellen. Das Leben in den Slums von Nairobi findet auf der Straße statt.

Auf rotem Lehmboden. Im Dreck. Wo auch sonst? Viele Wellblechhütten sind nur finstere Löcher für den Schlaf.

Leben über einer Abflussrinne. Kariua ist ein Slum auf einer kleinen Straße mitten in Nairobi. 60 Hütten kleben an der Rückwand einer Häuserflucht. Ohne Strom und Wasser. Ohne Hoffnung.

Wolfram Kiwit

Slumkinder in Nairobi: Das Leben findet auf der Straße statt. HELFT UNS LEBEN will mit dazu beitragen, dass diese Mädchen und Jungen wieder lachen können.

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Etwa fünf Millionen Menschen leben in der kenianischen Hauptstadt. Viele von ihnen in Slums. Wie viele, weiß keiner so genau. Allein in Kibera, eine der großen Hütten-Ansiedlungen der afrikanischen Großstadt, sollen nach Schätzungen der Uno bis zu 700 000 Menschen leben. Slum-Ansiedlungen finden sich überall in diesem Stadt-Moloch aus Staus, Smog und Stacheldraht. Die Oberschicht lebt in Villen hinter hohen Mauern. Tür an Wellblech mit der Armut. Die Kriminalität ist hoch, Entführungen sind Alltag.

Auch Kariua ist ein Slum und war früher eine Straße. Die 60 Hütten kleben an der Rückwand einer Häuserflucht. Lassen gerade einen schmalen Gang frei, Platz für das Leben über einer stinkenden Abflussrinne. Joseph Gachagui (46) ist der Chef hier, eine Art Bürgermeister, gewählte Autorität des Slums. Auch Garant für unsere Sicherheit. Als Mzungu, also Weißer, hat man hier nichts verloren. „Ich zeige Ihnen, woher wir Wasser bekommen“, sagt er: Zwei Wasserhähne für 60 Hütten, einer ist seit Wochen defekt.

Es sind Behausungen wie diese, in denen Anne Wanjugu die ersten Kinder gefunden hat. Straßenkinder, Waisen, Verstoßene. Tiere gelten in Nairobi mehr. 1994 gründete die kenianische Schauspielerin „Shangilia Mtoto Wa Africa“, übersetzt: Freue dich, Kind Afrikas. Shangilia bedeutet für einige wenige Kinder in Nairobi Hoffnung. 2002 starb Anne Wanjugu, doch Shangilia lebt weiter.

Es ist eine Insel mitten im Slum. In Kangemi, rund 15 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Wer aus Lärm und Chaos der Hütten-Siedlung durch die mit einem Schlagzeug bemalte Stahltür tritt, kann aufatmen. Ein Hof, eine Bühne, umrahmt von kleinen Steinhäusern. Wäsche flattert zum Trocknen im Hof-Himmel. Kinder trainieren Akrobatik. Ein Junge übt Trompete. Aus einem Raum klingt der Singsang von Kinderstimmen, die im Chor die Sätze ihrer Lehrerin wiederholen.

Die Unterbringung der Heimkinder ist mehr als einfach. 18 Kinder in einem kleinen Raum, Dreifachbetten, das private Leben passt in eine Stahlkiste. Für jedes Kind eine. Wasser aus Tanks. Latrinen. Aber Ordnung. Sicherheit. Geborgenheit. Über 80 Jungen und Mädchen leben hier. Shangilia ist eine Familie. Ihre Familie. 200 Kindern und Jugendlichen kann Shangilia eine Zukunft geben. Die Kleinen wohnen hier, die Großen gehen zur Schule, sind in einer Ausbildung oder auch an Universitäten.

Zum Beispiel Elisabeth Kalunde (25). Die sich Lizah nennt. Und aus Dankbarkeit den Namen der Shangilia-Gründerin Anne Wanjugu angenommen hat. Lizah Wanjugu ist in Shangilia aufgewachsen. Ihre Familie stammt aus West-Kenia, die Mutter stand nach dem Tod ihres Mannes mit fünf Kindern allein da. Sie versuchte ihr Glück in Nairobi. Und scheiterte. Lizah und ihr Bruder Katololo kamen bei Shangilia unter. Sie hatten Glück: Lernen in der Schule statt Überleben auf der Straße. „Wie es mir ohne diesen Ort ergangen wäre, möchte ich mir nicht vorstellen“, sagt Lizah. Sie hatte gute Noten, schaffte den Sprung auf die Daystar University Nairobi und studierte mithilfe von Shangilia Informatik.

Ausbildung in Kenia ist teuer. Weiterführende Schulen sind kostenpflichtig, Universitäten sowieso. Familien von Slumkindern können sich keine Bildung leisten. Ihre Kinder sitzen ein, zwei Jahre in dunklen Schul-Wellblechhütten, eng gequetscht auf maroden Holzbänken. Mehr Schule ist nicht. Dann folgt die Straße. Überleben in Nairobi.

Seit Jahren versucht Shangilia eine neue Schule im Slum zu bauen, am besten zusammen mit einem neuen Heim. Eine Schule für Heimkinder und Kinder aus dem Slum. Ein Grundstück ist da und inzwischen auch ein deutscher Sponsor: „Ein Herz für Kinder“ stellt das Geld für den Schulbau zur Verfügung. Die Aktion HELFT UNS LEBEN unterstützt den Bau der Küche und des Essraums. Wenn alles gut geht, ist nächstes Jahr Eröffnung.

Shangilia ist ein kenianisches Hilfsprojekt, von Anne Wanjugu gegründet, um Straßenkindern ihr Selbstwertgefühl, ihr Leben zurückzugeben. Doch ohne den deutschen Förderverein könnte sich das Hilfsprojekt kaum um 200 Kinder und Jugendliche kümmern. Geschweige denn eine Schule bauen. „Wir halten engen Kontakt zu unseren Partnern in Kenia. Wir mailen fast täglich und fliegen regelmäßig nach Nairobi – auf eigene Kosten natürlich. Eine diplomierte Finanzwirtin prüft die Bücher, was für unsere Sponsoren sehr wichtig ist“, sagt Anja Faber. Die Physiotherapeutin ist die Vorsitzende des Vereins mit Sitz in Troisdorf, der nur neun Mitglieder hat, die eins vereint: unermüdliches Engagement für Shangilia.

Lizah hat übrigens ihr Studium erfolgreich beendet. Sie wird ihrer „Familie“ etwas zurückgeben. Vielleicht Geld, wenn sie das irgendwann mal kann. Wichtiger aber noch: Sie wird da sein. Für Kinder, die früh Pech hatten – und dann das Glück, wie sie durch das Tor mit dem Schlagzeug einzutreten. In die Geborgenheit von Shangilia. Wolfram Kiwit