Berlin

Hermann: „Es darf nicht noch mehr getrickst und getäuscht werden“

"Es darf nicht noch mehr getrickst und getäuscht werden" Foto: picture alliance

Die Abgasaffäre scheint sich in immer größerem Umfang auch auf den Stuttgarter Autobauer Daimler auszuweiten. Der grüne Verkehrsminister Baden-Württembergs, Winfried Hermann, bezeichnet die Manipulationsvorwürfe gegen Daimler im Interview mit dem Deutschlandfunk als „sehr irritierend“. Ihm gegenüber hätte Daimler zuvor beteuert, nicht manipuliert zu haben.

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Herr Hermann, haben Sie es schon immer geahnt, dass auch Daimler Dreck am Stecken hat?

Nein. Wir haben gleich nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals von VW in Baden-Württemberg Kontakt mit den Herstellern Mercedes, Porsche und Audi aufgenommen und auf höchster Ebene von den Verantwortlichen erfahren, dass sie auf gar keinen Fall vergleichbare Manipulationen vorgenommen hätten, wie sie bei VW zutage gekommen sind. Wir haben gezielt nachgefragt, weil wir wissen wollten, ob das auch unsere Unternehmen betrifft, und haben die Antwort bekommen, dass das nie und gar nicht der Fall war und alles immer legal war. Insofern ist das sehr irritierend, dass jetzt diese Untersuchungen stattfinden. Die Vorwürfe sind ja schwerwiegend. Es sind erst mal Vorwürfe, die jetzt natürlich gerichtlich überprüft werden müssen. Insofern muss man etwas zurückhaltend sein. Ich verstehe auch, dass mein Bundesministerkollege da zurückhaltend ist und auf die Justiz verweist. Aber er hat natürlich auch eine eigene Verantwortung mit dem Kraftfahrtbundesamt.

Haben die Daimler-Manager in Ihren Augen im Gespräch mit Ihrem Ministerium damals gelogen?

Das kann ich im Moment nicht sagen. Entweder sie haben nichts gewusst oder sie haben es nicht gesagt. Das muss überprüft werden. Deswegen kommt es bei der Aufklärung jetzt darauf an, ob das wirklich illegale Abschalteinrichtungen waren, die da eingesetzt wurden, und wenn ja, wie viele es waren und wer das veranlasst und davon gewusst hat. Man hat bei den Unternehmen ja ein bisschen den Eindruck, dass irgendwie keiner schuld ist und niemand die Verantwortung übernimmt. In der Politik würde das auf keinen Fall funktionieren, dass ein Minister sagt, ich habe von allem nichts gewusst, ich bin unschuldig. Ich will das schon genau wissen. Das ist auch die Aufgabe der Justiz zu klären, wie die Verantwortungslinien in den Unternehmen sind. Denn wenn das eine Million Fahrzeuge wären, die manipuliert wurden – dann wäre es nicht sehr glaubwürdig, dass die ohne Kenntnis von irgendjemandem irgendwie so hergestellt wurden.

Grünen-Chef Cem Özdemir sieht im Abgasskandal grundsätzliche Verantwortung beim Bundesverkehrsminister. Hat Alexander Dobrindt diesmal alles richtig gemacht, indem er sofort reagierte?

Naja, jetzt hat er am Donnerstag schnell reagiert. Aber in der Summe des Skandals in den vergangenen zwei Jahren muss man sagen, dass man den Bundesminister und seine Behörden anschieben musste, und eigentlich hat man erst gehandelt, als genügend schlechte Schlagzeilen zu lesen waren. Die Aufklärung war zögerlich und die Reaktionen waren zum Teil offenbar unvollständig. Denn man hat ja mit Daimler vereinbart, dass ein Teil der Fahrzeuge freiwillig korrigiert werden. Aber das war ja höchstens ein Bruchteil dessen, worum es jetzt vermutlich geht. Insofern hätte er mehr tun müssen. Ich habe öffentlich sehr früh gefordert, dass der Bundesminister und die unabhängigen Institutionen des Bundes gefragt sind bei den Nachuntersuchungen. Wenn man so viele Informationen aus den Medien hat, dann kann man sich nicht allein auf schöne Aussagen von Managern verlassen, sondern muss selbst handeln. Als Landesminister habe ich da begrenzt Kompetenzen. Genau deswegen habe ich gesagt, dass das Kraftfahrtbundesamt gefragt ist und nachgemessen werden muss auf dem Rollenprüfstand wie im Realverkehr. Das ist zu spät passiert.

Ihr Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat gesagt, er glaube an die Zukunft des Diesels. Glauben Sie auch daran? Können Fahrverbote noch vermieden werden?

Ich glaube nicht. Jedenfalls versuche ich, das sehr rational zu beurteilen. Und wenn ich das so sehe, dann kann ich sagen, es gibt Technologien, die einen sauberen Diesel ermöglichen. Insofern wird der Diesel auch in Zukunft eine Rolle spielen können, wenn er denn tatsächlich sauber ist, wenn alle technischen Möglichkeiten, die wir haben, eingesetzt werden, und wenn nicht der Motor geschützt wird, sondern die Gesundheit der Menschen. Wir sind in einer großen Krise, und Krisen sind auch Chancen. Es ist die Chance zu emissionsfreier Mobilität, sprich zu elektrisch oder mit Brennstoffzellen betriebenen Fahrzeugen. Ich sehe in der Dieseltechnologie eine wichtige Übergangstechnologie, aber das ist nicht das Ziel. Mittelfristig müssen wir zu einer emissionsfreien Mobilität kommen, und die sieht anders aus. Die ist nicht Diesel.

Die große Frage, die sich natürlich jetzt jeder Dieselbesitzer stellt, ist: Wer bezahlt für die Nachrüstung der Fahrzeuge? Muss ich bezahlen als Besitzer eines Diesels oder werden die Konzerne vollständig in die Pflicht genommen?

Ich bin ja sehr froh, dass die Konzerne, auch Dieter Zetsche, öffentlich bekannt haben, dass die Nachrüstung der Euro-5-Diesel in die Herstellerverantwortung geht, also dass sie die Kosten übernehmen. Das ist nur recht und billig, denn die Hersteller haben ein schlechtes Produkt verkauft. Sie haben teilweise ihre Kunden getäuscht. Sie haben einiges gutzumachen.

Was mich oft sehr ärgert, ist, dass nicht wenige aus der Branche, die eigentlich selbst Verantwortung haben, jetzt auf die Politik zeigen, weil wir über Fahrverbote diskutieren und über Einschränkungen, die Folge dieser Unzulänglichkeiten sind. So als wären wir, die Verkehrsminister, diejenigen, die Feinstaub und Stickoxide ausstreuen, um die Automobilindustrie zu ärgern.

Die Verantwortung liegt sehr stark bei der Branche selbst. Sie muss jetzt auch einen großen Beitrag dazu leisten, dass wir erstens aus dieser Krise rauskommen – das ist ja auch eine Glaubwürdigkeitskrise der Branche – und dass wir zweitens vor allen Dingen den Städten und den Ländern helfen, dass die Luft sauber wird. Das heißt schnelle Nachrüstung und wirksame Nachrüstung. Es darf nicht noch mal getrickst oder getäuscht werden.

Das Gespräch führte Stefan Heinlein vom Deutschlandfunk