Hautkrebs – die unterschätzte Gefahr

Alle zehn Jahre, sagt der Hautarzt Dr. Ralph von Kiedrowski, verdoppelt sich die Zahl der Neuerkrankungen bei Hautkrebs. Und der Chef des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen in Rheinland-Pfalz ist skeptisch, dass sich das in Zukunft ändern wird.

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„Es gibt eben immer noch viele, die um die Gefahren wissen, aber glauben, dass bei ihnen schon nichts passiert“, sagt er im Interview mit unserer Zeitung:

Der Sommer steht vor der Tür. Müssen die Menschen ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie jetzt viel Zeit in der Sonne verbringen?

Nein. Ein schlechtes Gewissen ist der falsche Ansatz. Man muss sich grundsätzlich nur des Risikos bewusst sein. Und das ist nicht nur an einem schönen Sonnentag vorhanden, sondern übers ganze Jahr hinweg. Wir reden nicht von einer Sonnen-, sondern von einer UV-Belastung. Und UV-Licht haben wir den ganzen Tag über – von Sonnenaufgang bis -untergang und vom 1. Januar bis zum 31. Dezember. Natürlich ist die UV-Belastung sehr unterschiedlich. An einem schönen Sommertag ist sie ungleich höher. Der UV-Index dürfte schon jetzt im Frühjahr zwischen fünf und sechs liegen, im Hochsommer erreichen wir auch in unserer Region an einem wolkenlosen Tag Werte von sieben bis acht auf einem Spektrum von null bis zwölf. Nur nachts liegt er bei null. Den Index kann man sich tagesaktuell auf der Internetseite des Deutschen Wetterdienstes. Dort gibt es sogar eine Prognose für die nächsten Tage.

Was kann man damit anfangen?

Man sollte seinen eigenen Risiko-, also Hauttyp kennen und kann dann abschätzen, wie lange man sich ungeschützt im Freien aufhalten kann, ohne gefährdet zu sein. Bei erhöhter Belastung kann man zu Schutzmechanismen greifen wie einem Hut, Kleidung und Sonnencreme. Wenn ich das nicht tue, bekommt meine Haut einen Schaden, im Extremfall also einen Sonnenbrand.

Es kann also auch bei bewölktem Himmel sinnvoll sein, Sonnencreme aufzutragen? Etwa bei einer Wanderung auf dem Rheinsteig.

Ja. Das kann auch bei einem normalen Hauttyp der Fall sein, nicht im Winter, aber im Sommer durchaus, wenn man sich lange Zeit im Freien aufhält. Beim Rheinsteig kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: Die zusätzlichen Höhenmeter steigern die UV-Strahlung. Das Gleiche gilt für den Aufenthalt am Strand oder im Gebirge. Betroffen sind insbesondere die Körperpartien, die dem UV-Licht immer ausgesetzt sind wie das Gesicht, die Handrücken oder die Ohren und bei uns Männern bei schwindender Behaarung auch der Kopf. Wenn ich ein Risiko-Hauttyp bin und mich dann nach einer langen Zeit ohne stärkere UV-Strahlung mit dem T-Shirt oder Spaghettiträgern zu lange in der Sonne aufhalte, bekomme ich sehr schnell einen Sonnenbrand. Ein einzelner Sonnenbrand macht noch keinen Hautkrebs. Aber es bleibt eine Zellschädigung, die Restschäden in der Haut hinterlässt.

Und die Haut erinnert sich.

Ja. Die Haut ist nachtragend. Lichtschädigungen besonders in frühen Jahren werden Betroffene später sehen. Entscheidend ist jedoch die Schädigung über das ganze Leben. Doch die Lebenserwartung nimmt eben zu. Die Bevölkerung wird älter, was ein erfreuliches Phänomen ist. Das heißt aber auch, dass die Haut diese Belastungen über eine deutlich längere Zeit aushalten muss. Deshalb tritt häufiger Hautkrebs auf.

Sie sprachen von Hauttypen. Ist es sinnvoll, seinen Typ bei einem Hautarzt bestimmen zu lassen?

Die meisten können das selbst feststellen, weil die Einteilung der Hauttypen relativ einfach ist. Wir unterscheiden zwischen sechs Typen. In Mitteleuropa gibt es vor allem die Typen eins bis drei. Die große Masse der Bevölkerung ist Hauttyp zwei. Das ist der blonde bis hellbraune Haartyp, der meist keine Sommersprossen hat und auf UV-Kontakt mit normaler Hautbräunung reagiert. Hauttyp drei geht hinein ins Südeuropäische, Italienische. Er hat schwarze oder dunkle Haare und bräunt deutlich stärker. Hauttyp eins wird indes nie braun, ist übersät mit Sommersprossen und meist auch rothaarig. Dieser Typ ist der größten Gefahr durch Sonne ausgesetzt. Anhand der Hauttypen sind die Eigenschutzzeiten definiert, wie lange man sich der Sonne ungeschützt aussetzen kann – die Sonnenverweilzeiten.

Wie lang ist diese Zeit bei den einzelnen Hauttypen?

Beim Hauttyp eins sind das vielleicht fünf bis zehn Minuten. Nach dieser Zeit in der prallen Sonne haben einige Menschen dieses Typs bereits mit Sonnenbrand zu kämpfen. Bei Typ zwei beträgt die Zeit eher 15 bis 20 Minuten, Typ drei hat 30 bis 40 Minuten. Hauttyp vier wäre etwa der Spanier, Typ fünf ist der Inder, Typ sechs der Afrikaner. Die Hautpigmentierung dieser Menschen schützt sie deutlich besser vor dem UV-Licht.

Hat die Zahl der Hautkrebsfälle in den vergangenen Jahren in Ihrer Praxis zugenommen?

Ja. Und zwar aus zwei Gründen. Einerseits durch die Alterung der Bevölkerung. Darüber hinaus haben wir durch die Einführung des gesetzlichen Hautkrebsscreenings viele zusätzliche Melanome und helle Hautkrebse entdeckt.

Experten wie Prof. Grabbe von der Uniklinik Mainz prognostizieren, dass die Zahl der Hautkrebsfälle angesichts der besseren Vorsorge zurückgehen wird. Sehen Sie das ähnlich optimistisch?

Es würde mich sehr freuen, wenn dies einträte, weil die flächendeckende Aufklärung, die wir Hautärzte und viele andere Akteure betreiben, dann gefruchtet hätte. Ich bin jedoch skeptisch. Es gibt heute immer noch viele Solarienbesucher. Und es gibt Solarien in jedem noch so kleinen Ort, die wirtschaftlich bestehen können. Außerdem leiden immer noch viele Menschen unter schweren Sonnenbränden. Zudem sieht man immer noch viele Menschen, die draußen mit freiem Oberkörper in der Sonne arbeiten. Und wenn man dann noch bedenkt, was sich Jahr für Jahr an den Stränden abspielt, dann muss man Zweifel haben, ob die Bevölkerung dazugelernt hat. Es gibt eben immer noch viele, die um die Gefahren wissen, aber glauben, dass bei ihnen schon nichts passiert. Derzeit ist es immer noch so, dass sich die Zahl der Hautkrebserkrankungen alle zehn Jahre verdoppelt.

Gibt es vermehrt Hautkrebsfälle unter Jüngeren?

Ja, das gibt es. Doch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ja reagiert, indem sie UV-Licht für krebserregend erklärt hat. Das hat dazu geführt, dass Jugendliche unter 18 Jahren Sonnenbänke nicht mehr besuchen dürfen. Das wird sicherlich eine Verbesserung zur Folge haben. Denn wir wissen, dass insbesondere frühkindliche und UV-Belastungen im jugendlichen Alter vor allem den schwarzen Hautkrebs fördern. Aber nach dem 18. Lebensjahr sind Solarien natürlich wieder zugänglich. Und leider gilt Hautblässe weiterhin als uncool. Hinzu kommt, dass gut Gebräunte in den Medien immer noch als Erfolgsmenschen dargestellt werden. Das ist nicht sehr hilfreich. Man muss allerdings sagen: Gegen einen gesunden Umgang mit Solarien ist nichts einzuwenden. Es gilt aber, Maß zu halten. Und man sollte als Solariumsbesucher darüber nachdenken, schon vor dem 35. Lebensjahr, wenn das von den Kassen finanzierte gesetzliche Screening beginnt, auf eigene Kosten zur Früherkennung zu gehen.

Ist das Screening erfolgreich?

In der öffentlichen Diskussion wird der Erfolg nur an einem Absenken der Sterblichkeit gemessen. Das ist aber zu kurz gegriffen und versteht das Screening falsch. Wir waren auch schon vor Einführung des gesetzlichen Screenings in der Situation, dass wir viele dünne Melanome entdeckt haben, bei denen die Überlebenschancen besonders hoch sind. Dazu hat auch die gute Aufklärung der Patienten beigetragen, die ihre Haut beobachtet haben. Und gerade diesen erzieherischen Aspekt hat das Screening verstärkt. Natürlich wurden durch das Screening aber auch etliche große Tumore entdeckt, die vorher unentdeckt blieben. Das gilt besonders für den weißen Hautkrebs, den viele Patienten nicht so leicht selbst entdecken können, weil die Tumore zunächst nicht jucken und auch nicht bluten.

Hautkrebs gilt seit Beginn des Jahres als anerkannte Berufskrankheit. Spielt das Thema in Ihrer Praxis eine Rolle?

Wir arbeiten ja schon seit Jahren als Berufsdermatologen und haben uns dabei früher zumeist auf berufsbedingte Ekzeme konzentriert. Hauterkrankungen sind in allen Berufsgenossenschaften die am häufigsten gemeldeten Verdachtsdiagnosen für Berufskrankheiten. Der helle Hautkrebs ist da allerdings noch ein sehr junges Pflänzchen. Hier ist es so, dass die Dermatologen eher die Patienten auf das Thema ansprechen. Wenn wir verdächtige Befunde haben, fragen wir die Patienten auch nach ihrer beruflichen Vergangenheit. Bei den Patienten ist das Thema jedoch noch gar nicht so bekannt. In der Zukunft ist allerdings damit zu rechnen, dass über die Betriebsärzte und die Firmen selbst Schutzmaßnahmen getroffen werden und Verdachtsfälle auch zu uns geschickt werden.

Welche Folgen wird das für die Unternehmen haben?

Das wird noch dauern. Doch auch die Arbeitgeber müssen dann in die Pflicht genommen werden. Klar ist, dass da eine Kostenlawine auf die Berufsgenossenschaften zurollt, die noch gar nicht absehbar ist. Die gesetzliche Unfallversicherung hat aktuell bereits vorsorglich einen Betrag von jährlich 20 Millionen Euro zurückgestellt, um die Kosten zu decken. Viele Arbeitgeber haben natürlich auch Angst, dass die Arbeit von Dachdeckern oder Bauarbeitern enorm eingeschränkt werden muss. Das wird man aber langsam und mit Vernunft regeln müssen. Es gibt allerdings bereits Messungen von Berufsgenossenschaften, wie hoch die UV-Belastung eines Arbeiters unter freiem Himmel ist. Das sind Sonnenzeiten, bei denen ein Dermatologe erschrickt.

Das Gespräch führte Christian Kunst