Griechenland muss sich neu erfinden

Die griechische Regierung hat sich offenbar eine Sprachregelung verordnet: Ja, in der Vergangenheit wurden viele Fehler gemacht. Ja, wir sind noch nicht so weit, wie sich das die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) wünscht. Aber wir haben eine Menge getan. Und sobald die Wirtschaft wieder anspringt, kommt alles in Ordnung. RZ-Redakteur Jörg Hilpert hat sich in Athen ein Bild von der Lage Griechenlands verschafft und analysiert, wo die größten Probleme liegen.

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Die griechische Regierung hat sich offenbar eine Sprachregelung verordnet: Ja, in der Vergangenheit wurden viele Fehler gemacht. Ja, wir sind noch nicht so weit, wie sich das die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) wünscht. Aber wir haben eine Menge getan. Und sobald die Wirtschaft wieder anspringt, kommt alles in Ordnung.

RZ-Redakteur Jörg Hilpert hat sich in Athen ein Bild von der Lage Griechenlands verschafft und analysiert, wo die größten Probleme liegen.

Ein bisschen demütige Reue, gepaart mit der Entschlossenheit, es ohne Staatspleite zu schaffen: Das ist die Grundhaltung der regierenden Pasok-Sozialisten. Doch im Grunde muss sich das Land völlig neu erfinden. Und die Probleme auf dem Weg dahin sind enorm.

1 Die Bevölkerung glaubt der politischen Klasse nicht. 83 Prozent der Griechen misstrauen laut „Eurobarometer“ der Regierung, 82 Prozent allerdings auch dem Parlament mit der konservativen Nea Dimokratia als größter Oppositionspartei. 90 Prozent sagen, die Regierung in Athen habe seit Beginn der Krise absolut nicht effektiv gearbeitet. Die Menschen leiden unter den harten Einschnitten, „aber sie sehen kein Licht am Ende des Tunnels“, sagt ein EU-Vertreter in Athen. So lässt sich der nötige Schwenk schlecht bewältigen.

2 Die Menschen sind finanziell überfordert. Die Arbeitslosigkeit ist auf 16 Prozent gestiegen, unter den Jüngeren ist bald jeder zweite ohne Job. Auch angesichts der Lohneinschnitte sind viele kaum in der Lage, die höheren Steuern zu bezahlen. Zwar wurde im Bemühen um eine neue Solidität der Staatsfinanzen „in den vergangenen 16 Monaten mehr getan als in den 20 Jahren zuvor“, lobt ein Repräsentant der EU-Kommission und fügt hinzu: „Wir sollten große Achtung davor haben.“ Doch statt die Ausgaben stark zu senken, wurden vor allem Steuern erhöht. Das würgt die Wirtschaft endgültig ab, die in diesem Jahr um mehr als 5 Prozent schrumpfen wird – und 2012 um weitere 2,5 Prozent, so die pessimistische Einschätzung des IWF.

3 Die Verwaltung ist nicht willens oder nicht in der Lage, die beschlossenen Schritte umzusetzen. „Es ist die Wurzel allen Übels, dass der öffentliche Sektor so schlecht funktioniert“, sagt der Kommissionsexperte. „Es gibt zu viele Häuptlinge und zu wenig Soldaten.“ Die neue Sonder-Immobiliensteuer soll jetzt beispielsweise mit der Stromrechnung eingezogen werden – wogegen sich Gewerkschafter prompt sträuben. Um Abgaben künftig zeitnah einzutreiben, erwägt die Regierung ein „Outsourcing“ dieser Aufgabe an Private – das wirkt grotesk angesichts des riesigen Staatsapparats. Unser Reisebegleiter illustriert die tiefe Kluft zwischen Gesetzesbeschlüssen und deren Umsetzung mit einem Kuriosum: Neuerdings seien Feuerbestattungen erlaubt, was die griechisch-orthodoxe Kirche lange zu verhindern wusste. Doch es gebe kein Krematorium in Griechenland.

4 Die Banken sind kaum in der Lage, einen Aufschwung zu finanzieren. Das liegt nicht daran, dass sie sich mit Zockerpapieren verspekuliert hätten. Sie leiden aber unter den Beständen an immer wertloseren griechischen Staatsanleihen und den schlechten Noten, die sie von Ratingagenturen bekommen. Die griechischen Mittelständler geraten deshalb in die Kreditklemme. Weit überwiegend handelt es sich um Klein- und Kleinstunternehmen, die auf die örtlichen Geldinstitute angewiesen sind und jetzt kaum noch Luft zum Atmen haben. Erste Banken suchen ihr Heil in der Fusion mit inländischen Konkurrenten. Wirklich helfen würde aber nur Kapital aus dem Ausland, meint der IWF-Repräsentant: „Man heiratet nicht Bruder oder Schwester, es ist frisches Blut nötig.“

5 Die wirtschaftliche Struktur bietet keine Aussicht auf schnelles Wachstum. Der Staat dominiert alles, die versprochenen Privatisierungen kommen kaum voran. Firmengründer sehen sich bisher mit einer überbordenden Bürokratie konfrontiert. Der IWF-Mann greift zu einem drastischen Vergleich: „Es ist wie ein Mercedes, der 200 km/h fahren könnte, aber nur 30 läuft, weil so viel Sand im Getriebe ist.“ Die Regierung kontert, dass sie „One-Stop-Shops“ geschaffen hat, bei denen Gründungswillige schnell zum Zug kommen sollen. Zudem habe sie die Zugangsbeschränkungen abgebaut, die es bisher für rund 150 Berufe gab. Doch auch hier ist die Umsetzung entscheidend.

Hoffnung machen angesichts all dieser Probleme derzeit vor allem zwei Entwicklungen. Zum einen zieht der Export an. Doch in absoluten Zahlen gemessen, ist er für einen starken Wachstumsimpuls zu unbedeutend. „Der Motor läuft, aber er ist einfach noch zu klein“, resümiert der IWF-Repräsentant.

Zum anderen steuert das Land auf einen Tourismusrekord zu, mit 16 Millionen Gästen wird die Saison 2011 wohl abgeschlossen. Aber es gibt auch hier noch einiges zu tun. Viel Land liegt in der Hand des Staats, würde es privatisiert, könnten Investoren es touristisch nutzen. Ein Problem: Der Grundbesitz ist teils ungeklärt, weil es kaum funktionierende Katasterämter gibt. Mittelfristig mag hier Licht leuchten. Für die nächsten, schwierigen Monate gibt Jens Bastian von der Denkfabrik Eliamep aber zu bedenken: „Das Licht am Ende des Tunnels kann auch der entgegenkommende Zug sein.“